Duisburg/Hamminkeln. Wegen Totschlags durch Unterlassen hat das Landgericht eine Duisburgerin (24) verurteilt. Psychiatrisches Gutachten: Angeklagte gab sich naiv.

Zu Beginn des fünftägigen Verfahrens vor dem Landgericht hatte eine 24-jährige Duisburgerin noch viel geweint. Zuletzt blickte sie meist nur mit gesenktem, leicht schief gehaltenem Kopf Richtung Boden. Genau so nahm sie auch das Urteil entgegen: Die 5. Große Strafkammer hat die Frau zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis wegen Totschlags durch Unterlassen verurteilt. Am 26. Oktober 2021 hatte sie ihr Neugeborenes in einer Toilettenschüssel sterben lassen.

[Duisburg-Newsletter gratis abonnieren + Seiten für Duisburg: Stadtseite + Blaulicht-Artikel + MSV + Stadtteile: Nord I Süd I West + Themenseiten: Wohnen & Immobilien I Gastronomie I Zoo]

Nach einer Sturzgeburt, die sie im Haus der Eltern ihres damaligen Freundes in Hamminkeln überraschte, hatte die 24-Jährige einfach gar nichts getan. Sie blieb auf dem Klo hocken, sagte niemandem, dass unter ihr ein Baby lag, und ließ das Kind ersticken, das höchstwahrscheinlich aufgrund seiner verkrümmten Lage nicht genügend Luft bekam.

Sachverständige: Angeklagte gibt sich naiver, als sie ist

Immer wieder war die Frau im Laufe des Verfahrens von Zeugen und in älteren Arztberichten als dümmlich-naiv beschrieben worden. Doch ein abschließendes psychiatrisches Gutachten entlarvte diesen Eindruck als Irrtum: Die Angeklagte sei nur leicht unterdurchschnittlich intelligent und habe sich daran gewöhnt, nach außen einen unbeholfenen und hilflosen Eindruck zu vermitteln, so eine Sachverständige. „Sie kann sich Situationen anpassen, wenn sie es möchte.“

Eindeutige pathologische Umstände, die es der Angeklagten unmöglich gemacht hätten, bei der Tat angemessen zu reagieren, sahen zwei psychiatrische Sachverständige nicht. Der Staatsanwalt hatte aufgrund der Beweisaufnahme keinen Zweifel daran, dass die Frau sich entgegen ihrer Beteuerungen vor Gericht auch nicht auf das Kind gefreut hatte. „Sie hat das Kind, das Jill heißen sollte, nicht gerettet, weil es nicht in ihre Lebensplanung passte.“

Strafkammer ging von einem minderschweren Fall aus

Vergeblich forderte die Verteidigerin Freispruch. „Meine Mandantin war nicht handlungsfähig.“ Die Strafkammer sah das völlig anders. Es gebe nicht den geringsten Beweis dafür, dass die Angeklagte aufgrund einer körperlichen Beeinträchtigung oder eines psychischen Ausnahmezustandes nicht in der Lage gewesen sei, das Kind zu retten.

„Ein Griff in die Kloschüssel, um das Baby heraus zu ziehen, hätte gereicht, um dem Kind das Leben zu retten“, so der Vorsitzende in der Urteilsbegründung. Als die Frau sich dazu entschloss, das nicht zu tun, habe sie den Tod des besonders schutzbedürftigen Wesens billigend in Kauf genommen.

Allerdings ging das Gericht in der Strafzumessung von einer Fülle von Faktoren aus, die zu Gunsten der Angeklagten sprachen: Sie war bislang noch nie bestraft worden, beging die Tat spontan, legte ein Teilgeständnis ab, zeigte Reue und hat einen schwierigen Lebensweg hinter sich. Die Kammer ordnete die Tat daher als minderschweren Fall in einen deutlich niedrigeren Strafrahmen ein.

>> BLICK INS GESETZ

  • Totschlag findet sich in Paragraf 212 des Strafgesetzbuches. Für die vorsätzliche Tötung eines Menschen – mit Ausnahme von Mord – ist eine Strafe von fünf bis 15 Jahren vorgesehen. Für das Strafmaß ist es unerheblich, ob die Tat aktiv oder durch Unterlassen geschieht.
  • Ein minderschwerer Fall liegt grundsätzlich dann vor, wenn die Tat so sehr vom Normalfall abweicht, dass die Anwendung des Regelstrafrahmens nicht angemessen wäre. Beim Totschlag sinkt der Strafrahmen dann auf ein bis zehn Jahre.