Duisburg. „Hänsel und Gretel auf Kanakisch“: Ein umgedichtetes Märchen sorgt in Duisburg für Aufregung. Das sagen Schulaufsicht und Sprachforscher.

„Murat und Aische gehen dursch Wald, auf Suche nach korrekte Feuerholz.“ Mit diesen Worten beginnt eine Umdichtung des klassischen Märchens Hänsel und Gretel, die in den sozialen Netzwerken für Zündstoff sorgt. Denn: Sie war Thema im Deutsch-Unterricht eines Duisburger Gymnasiums.

Die Aufgaben, die dazu gehören: Die Sprache analysieren und den Begriff „Kanake“ nachschlagen und erklären. In dem Kurznachrichtendienst Twitter sowie in dem sozialen Netzwerk Reddit erzürnen sich viele darüber, dass auf diese Art „Vorurteile und Stereotype“ bedient werden, dass die Aufgabe rassistisch ist oder schlicht „sch...“.

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Das sagt die Schulaufsicht zum umgedichteten Märchen „Murat und Aische“

Die Schulaufsicht missbilligt den Einsatz des Textes, erklärt eine Sprecherin der Bezirksregierung Düsseldorf auf Anfrage. Der Text sei im Vorfeld insbesondere im Hinblick auf die Schülerschaft mit einem hohen Anteil von Familien mit Migrationshintergrund nicht ausreichend auf die möglichen Wirkungen hinterfragt worden. Für den Einsatz im Unterricht sei er ungeeignet und werde zukünftig nicht mehr verwendet.

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Vielleicht hat sich damit das Schreiben von Ratsherr Bekir Sipahi (SfD) allein wegen der Zuständigkeit schon erledigt. Dieser hat zur Ratssitzung am Donnerstag wegen „rassistischer Hausaufgaben“ am Krupp-Gymnasium eine Anfrage an die Stadtverwaltung gerichtet. Darin fragt er: „Haben Sie den Lehrer untersucht, der diese rassistischen Hausaufgaben gegeben hat?“ und betont: „Das ist nichts weiter als das Lächerlichmachen einer Volksgruppe – sollte sowas nicht verurteilt werden?“

Schulleitung und Lehrkraft äußern ihr Bedauern

Dass der Text Unmut und Irritationen ausgelöst hat und als diskriminierend empfunden wurde, bedauern die Lehrkraft und die Schulleitung, heißt es in einer Stellungnahme der Bezirksregierung. Der „parodistisch angelegte Text wurde im Deutschunterricht für 9. Klassen als zusätzliches Material im Rahmen der mehrwöchigen Unterrichtsreihe „Nachdenken über Sprache – Sprachgebrauch, Sprachwandel, Sprachkritik” eingesetzt“.

Auf Anregung aus der Schülerschaft sei als Ethnolekt auch über Formulierungen aus dem sogenannten „Kanakischen“ gesprochen worden, die Eingang in die Jugendsprache gefunden haben, und in diesem Zusammenhang wurde „Murat und Aische“ gemeinsam gelesen.

Die Lehrkraft habe die Zusatzqualifikation Deutsch als Fremdsprache, bilde sich aktuell zum Thema Sprachbildung für neu Zugewanderte fort und engagiere sich in den Internationalen Vorbereitungsklassen, betont die Bezirksregierung. „Der Text wurde von der Lehrkraft nicht mit einer diskriminierenden Intention im Unterricht eingesetzt.“

20 Jahre alter Text im Stil von Erkan und Stefan

Der Text ist über 20 Jahre alt und wird in Wellen immer mal wieder deutschlandweit diskutiert. Er stammt aus einer Zeit, als die Comedians Erkan und Stefan und auch das Duo Mundstuhl populär waren. Sie sind bekannt für ihre Gags in einer erfundenen „Kanak Sprak“, die Linguisten auch als Kiezdeutsch bezeichnen, eine Mischung aus Deutsch, Englisch und Türkisch, mit ganz eigener, verkürzter Grammatik, eingebauten Fremdwörtern und kurzen Sätzen.

Was als gebrochenes oder falsches Deutsch wahrgenommen wird, ist nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft aber lediglich Teil eines sprachlichen Repertoires, das in bestimmten Situationen mit der Peer Group verwendet wird. „Jugendsprachen sind daher nicht einfach ,falsches Deutsch’ – genauso, wie Bairisch, Schwäbisch oder Kölsch kein ,falsches Hochdeutsch’ sind: Die Sprachvarianten des Deutschen ergänzen das Hochdeutsche, anstatt mit ihm zu konkurrieren und in vielen Fällen bereichern sie es sogar!“, erklären die Sprachforscher.

Das Urheberrecht für das umgeschriebene Märchen reklamiert der Tag24-Journalist Oliver Wunder für sich und zwei seiner Klassenkameraden, die 2000 in der 11. Klasse an einer Schule nahe Hamburg in einer Deutschstunde Märchen umformuliert haben. Der Text „hat keinen fremdenfeindlichen oder rassistischen Hintergrund“, betont Wunder auf seiner Webseite. Und er wurde Teil des Buches „Ali zum Dessert“ der Duisburger Autorin Hatice Akyün.

>>DER BEGRIFF „KANAKE“

  • Die Geschichte des Begriffs „Kanake“ war Teil des Unterrichts, betont die Bezirksregierung. Ursprünglich stammt er aus dem Hawaiianischen, in den 1960er bis 70er-Jahren wurde er abwertend für Menschen aus südeuropäischen Ländern benutzt, darauffolgend auch für Menschen mit orientalischen Wurzeln verwendet.
  • Der Begriff erfuhr in den 1990er-Jahren durch Comedians und Anfang der 2000er-Jahre auch durch Musiker eine Bedeutungsumwandlung. „Heute ist er zum Teil für jugendliche Migranten zum Ausdruck einer eigenen, positiv verstandenen Identität geworden“, so die Bezirksregierung.

>> RASSISMUS-VORWÜRFE

  • Erst im Februar hatte es einen Eklat in Siegburg gegeben, weil in einem Philosophie-Buch als Gruppenarbeit vorgeschlagen wurde, über diesen Fall zu diskutieren: Ein türkischstämmiges Mädchen in Deutschland wird von ihrem Vater zur Hochzeit mit einem Cousin gezwungen, damit dieser aus der Türkei nach Deutschland kommen kann.
  • Türkische Elternvereine kritisierten die „vorurteilsbehaftete Aufgabenstellung“. Das Schulministerium erklärte, dass es gegen das Kriterium der Diskriminierungsfreiheit verstoße.