Duisburg. Polizei und Staatsanwaltschaft wollen bei ihren Ermittlungen gegen kriminelle Clans nun an die mächtigen Familienbosse. Was die Ermittler wissen.

Sie agieren in einer strengen patriarchalischen Hierarchie, machen ihr Geld längst nicht mehr nur im Drogenhandel und investieren es dann in Unternehmen und Immobilien: Die Polizei beobachtet derzeit in Duisburg 75 kriminelle Clans. Die Staatsanwaltschaft arbeitet mit zwei Sonderermittlern gegen die Machenschaften der Großfamilien. Nun wird dabei ein neues Ziel ausgerufen: Die verantwortlichen Köpfe sollen in den Fokus rücken.

Im Juni 2018 sind in Duisburg als erste Stadt in Nordrhein-Westfalen zwei „Staatsanwälte vor Ort“ angetreten. „Weil hier die Unruhe in der Bevölkerung stark spürbar war“, erinnert sich dreieinhalb Jahre später NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU). Die Stellen wurden zusätzlich geschaffen. „Das war ein wichtiger Schritt in diesem Erfolgsprojekt. Denn wir machen uns jetzt daran, die Verantwortlichen im Hintergrund zu ermitteln“, zieht Biesenbach Bilanz.

1950 Ermittlungsverfahren haben die „Staatsanwälte vor Ort“ eingeleitet. Das Ergebnis: 148 vollstreckte Haftbefehle und insgesamt unter anderem 139,5 Jahre Freiheitsentzug ohne Bewährung gegen die Täter.

Clan-Kriminalität in Duisburg: Kontrollen in Cafés, Shisha-Bars und Teestuben

Dabei hat sich das Arbeitsfeld der Spezialkräfte in den vergangenen Jahren durchaus verändert – „aufgrund der neuen Erkenntnisse“, wie Oberstaatsanwalt Nils Wille betont. Er leitet das Sonderdezernat.

Zunächst rückten die „kleinen Fische“ ins Visier. Diejenigen, die auf Straßen und Schulhöfen mit Drogen dealen und durch Raub, Erpressung und Körperverletzungen auffallen. Oft handelt es sich dabei um die jungen Familienmitglieder. „Etwa ein Drittel der Clan-Kriminalität geht von jugendlichen und heranwachsenden Tätern aus“, berichtet Experte Wille.

NRW-Justizminister Peter Biesenbach, Dr. Christina Wehner, Leiterin der Duisburger Staatsanwaltschaft, und Oberstaatsanwalt Nils Wille (von rechts) bei der Pressekonferenz in Duisburg.
NRW-Justizminister Peter Biesenbach, Dr. Christina Wehner, Leiterin der Duisburger Staatsanwaltschaft, und Oberstaatsanwalt Nils Wille (von rechts) bei der Pressekonferenz in Duisburg. © FUNKE Foto Services | Foto: Oliver Müller

Bei ihren Ermittlungen stoßen Polizei und Staatsanwaltschaft immer wieder auch auf Drogenplantagen im größeren Stil. Denn mit dem Drogenhandel lasse sich weiterhin viel Geld machen, erklärt der Oberstaatsanwalt. Immer wieder kontrollieren die Einsatzkräfte in Schwerpunktaktionen Cafés, Teestuben, Shisha-Bars und Spielhallen. Es sind diese Einsätze, die als „Razzien“ für Schlagzeilen sorgen. Dabei zeigt sich auch NRW-Innenminister Herbert Reul, etwa in Duisburg-Marxloh, mehrfach vor den Kameras.

Schwierige Ermittlungen: In den Großfamilien gilt die „Omertà“

Für die Ermittler bringen diese Kontrollen wichtige Erkenntnisse. Denn ihr Auftrag ist auch die sogenannte „Strukturermittlung“. Wer arbeitet innerhalb dieser sich abschottenden Systeme mit wem zusammen? Wer sind die Leute im Hintergrund? Wie kommunizieren die Familien miteinander und untereinander? Wichtige Antworten auf diese Fragen habe das Projekt in dreieinhalb Jahren gesammelt. Wenngleich Nils Wille auch weiter sagt: „In die Clans einzudringen ist extrem schwierig“.

Denn: In den Familien gilt, ähnlich wie in den italienischen Mafia-Familien, die „Omertà“, die Schweigepflicht. Und auch beim Streit zwischen rivalisierenden Clans lehnen die Beteiligten die deutsche Justiz ab. Sie setzen auf Friedensrichter. „Und die werden gut bezahlt“, weiß Wille.

Ein weiterer Punkt, der die Ermittlungen in dem Milieu zur Herausforderung macht: Das illegal erwirtschaftete Geld investieren die Familien in Immobilien und gründen Firmen, die dann auf legale Weise Profit machen sollen. Die Art der Verfahren ändert sich dann: Es geht um Geldwäsche, Steuerhinterziehung, qualifizierte Betrugsdelikte.

Justiz möchte an die illegal erwirtschafteten Vermögenswerte heran

So wie in einem Fall aus den zurückliegenden drei Jahren: Eine Duisburger Familie hatte sich in die Geldtransaktion beim Verkauf eines „hochwertigen Grundstücks“ in der Schweiz gehackt. Sie schleuste für die Überweisung eines Teils des Verkaufsbetrags eine neue Kontoverbindung ein, auf der schließlich 408.000 Euro landeten.

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Der Betrug fiel auf, das Geld konnte an den geschädigten Eidgenossen zurücküberwiesen werden. Aber: Der Kontoinhaber konnte sich ins Ausland absetzen. Die Hintermänner blieben unbekannt.

Das Geld und Vermögen der Clans abzuschöpfen, sei ein entscheidender Prozess, verdeutlicht Justizminister Biesenbach. Seit Mitte 2020 wurden in Duisburg illegal erwirtschaftete Vermögenswerte in Höhe von 1,8 Millionen Euro eingezogen worden. Dazu zählten auch teure Luxuskarossen.

Clan-Kriminalität beschränkt sich nicht mehr nur auf den Duisburger Norden

Was wissen die Staatsanwälte generell über die Wurzeln der Großfamilien und wo sind diese in Duisburg tätig? Als die Sonderermittler im Juni 2018 starteten, konzentrierten sie sich zunächst auf den Norden der Stadt und die Ortsteile Marxloh und Hamborn.

Ihre Informationen ließen sie dann aber schnell auch in andere Stadtteile blicken: zunächst nach Hochfeld, dann nach Laar, Walsum, Hochheide, Rheinhausen-Mitte. Schließlich haben sie ihre Arbeit auf ganz Duisburg und auch Oberhausen, Mülheim sowie den Kreis Wesel ausgeweitet.

Die Mehrzahl der unter Beobachtung stehenden Großfamilien hat laut Staatsanwaltschaft einen arabisch-libanesischen Hintergrund. Viele Mitglieder haben mittlerweile einen deutschen Pass. „In Duisburg finden wir das Clan-Phänomen aber auch bei türkischen, bulgarischen und rumänischen Familien. Unsere Ermittlungen belegen das ganz klar“, unterstreicht Nils Wille.

Bei allen Erfolgen, die Minister Biesenbach bei seinem Besuch in Duisburg lobt, formuliert der Oberstaatsanwalt auch für die Zukunft ambitionierte Ziele: „Wir arbeiten an der Belastungsgrenze, es gibt noch zahlreiche Dunkelfelder. Aber auch in die wollen wir Licht bringen.“

>>Zusammenarbeit unter anderem mit Polizei, Zoll, Jobcenter

  • In den vergangenen dreieinhalb Jahren hat die Besetzung der zwei „Staatsanwälte vor Ort“ mehrfach gewechselt. „Es sind nicht immer die gleichen Personen“, sagt Dezernatsleiter Nils Wille.
  • Bei der täglichen Arbeit stehen die Sonderermittler im engen Austausch mit der Polizei und dem Gericht, Zoll, den Finanzbehörden, dem Jobcenter, dem Ordnungsamt sowie dem Ausländeramt.
  • Sie nehmen an Kontrollen und Einsätzen vor Ort teil, sind auch bei Fallkonferenzen und Arbeitskreisen vertreten.