Duisburg. Dr. Nikolaus Büchner hat über 800 Covid-Patienten behandelt. Ein Gespräch über Risiko- und Erfolgsfaktoren, Sterberaten und Folgeerkrankungen.
In Duisburg kennt wohl kein Mediziner Covid-19 so gut wie der Pneumologe Dr. Nikolaus Büchner (53). Der Chefarzt der Lungenklinik im Helios St. Johannes in Alt-Hamborn und sein Team haben inzwischen über 800 Corona-Patienten behandelt – Ende 2020 bis zu 95 Erkrankte gleichzeitig stationär. Inzwischen liegen in der St.-Johannes-Klinik etwas weniger Covid-Erkrankte – am 15. Februar waren es immer noch 30 –, und Büchner kann auch mal wieder eine Stunde Zeit hergeben: für ein Telefongespräch über Risiko- und Erfolgsfaktoren, Covid-Rätsel und -Folgeerkrankungen, die Unterschiede zwischen Influenza und Corona.
Haben Sie sich mit Covid-19 angesteckt?
Dr. Nikolaus Büchner: Nein, obwohl ich seit März Corona-Patienten behandle. Ich bin ein Beispiel dafür, dass man sich zuverlässig schützen kann. Es war wichtig, dass wir das schnell gelernt haben. Ängste und Sorgen begleiten auch uns, wir haben ja alle selbst Familien. Ich halte mich konsequent an die Hygienevorschriften – deren Einhaltung kontrolliere ich hier in meiner Abteilung persönlich. Ich bin sehr vorsichtig. Unser Grundvertrauen in die Vorsorge ist gewachsen. Dabei schützen wir uns nicht wesentlich anders als die Bevölkerung, etwa mit FFP-2-Masken, im direkten Kontakt mit Corona-Patienten zusätzlich mit Einmalhandschuhen und Kittel, gegebenenfalls mit Kopfhaube und Visier. Wir halten uns an die Regeln, und der Erfolg gibt uns Recht. Wir hatten auch infizierte Mitarbeiter, aber noch keine Ausbrüche im Haus, die uns Schwierigkeiten gemacht hätten.
Und anteilig weniger Verstorbene soll Ihre Lungenklinik auch haben.
Das stimmt. Die Sterblichkeit der stationären Covid-Patienten in Kliniken liegt in Deutschland im Durchschnitt bei etwa 20 Prozent. In St. Johannes sind es etwa 15 Prozent. Das ist ein motivierendes Ergebnis, gerade für uns als Maximalversorger, denn wir sind zwar entsprechend spezialisiert und ausgestattet, bekommen deshalb aber auch die eher schwerer erkrankten Patienten zugewiesen. Ein Grund ist unser Stufenkonzept in der Beatmungstherapie, mit dem wir als spezialisierte Lungenfachabteilung auch außerhalb der Intensivstation besondere Beatmungsleistungen und Sauerstofftherapien durchführen können. Wir können Patienten mit hohem Risiko gut erkennen, man entwickelt über die üblichen Parameter hinaus ein Gespür. Ein Erfolgsfaktor sind auch die berufsgruppenübergreifend fest zusammengestellten Teams. Zudem haben wir schon früh eine klare Trennung von infektiösem und nicht-infektiösem Bereich vorgenommen, Mitarbeiter geschult und zusätzliche Beatmungsgeräte angeschafft.
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Wer ist nach Ihrer Erfahrung besonders gefährdet?
Natürlich haben wir viele betagte Patienten und sehen vor allem Ältere sterben. Vor kurzem haben wir aber auch einen 97-Jährigen als genesen entlassen. Internistische Erkrankungen und Erkrankungen, die mit einer Immunschwäche einhergehen, spielen eine große Rolle. Wir hatten aber auch jüngere Patienten und solche, die keinen bekannten Risikofaktor hatten. Wir haben auch eine Schwangere länger betreuen müssen, Schwangere haben im dritten Trimester ein leicht erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf. Wen es wie schwer erwischt, das hängt auch von der Virusdosis ab, die jemand abbekommt. Das ist ein Unterschied, ob man mit einem Infizierten nur spricht oder kräftig angehustet wird. Möglicherweise sind einige Menschen auch immun, weil sie Antikörper gegen verwandte Erkältungsviren gebildet haben, die sie auch vor dem Coronavirus schützen. Das ist noch nicht eindeutig erforscht. In jedem Fall gibt es eine hohe Dunkelziffer an Menschen, die nicht wissen, dass sie bereits infiziert waren.
Eine Studie von AOK und Medizinsoziologen aus Düsseldorf bestätigt amerikanische Untersuchungen, wonach ärmere Menschen häufiger von schweren Verläufen betroffen sind.
Das erheben wir nicht. Meiner Beobachtung nach sind die Krankheit und schwere Verläufe homogen verteilt. Sie trifft Menschen aus allen Bevölkerungsschichten.
Eine Kritik an Schutzmaßnahmen und Gesundheitssystem meint, die Krankenhäuser vernachlässigten wegen Corona Patienten mit anderen schweren Erkrankungen.
In der Ungewissheit des Frühjahrs waren in Erwartung vieler Covid-Patienten viele nicht dringliche Operationen und Behandlungen zurückgestellt worden. Auf die zweite Welle waren wir besser vorbereitet, und obwohl der Krankenhausbetrieb durch die viel größere Zahl an Covid-Patienten stark beeinträchtigt war, konnten wir akut notwendige Behandlungen anderer Patienten weiter durchführen. Wir mussten im Winter große Teile der Kliniken freimachen und quasi jeden Tag eine weitere Covid-Station eröffnen, haben aber trotzdem nur Behandlungen verschieben müssen, die nicht zwingend notwendig waren. Hüftoperationen beispielsweise. Und wir appellieren an alle, die akute Beschwerden haben, weiterhin unbedingt auch in unsere Notaufnahme zu kommen. Auch dort gibt es ein gutes Hygienekonzept.
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Angst haben viele Menschen inzwischen auch vor der künstlichen Beatmung.
Damit haben wir viele Leben gerettet. Bei einigen älteren Patienten haben wir die künstliche Beatmung aber auch gemeinsam mit ihnen ausgeschlossen. Wir haben alternative Beatmungshilfen, etwa über eine Maske, sowie verschiedene Techniken der Sauerstofftherapie. Bei Patienten, die beatmet werden müssen, verschlechtert sich die Prognose oft: erstens, weil es ja ihr schlechter Zustand ist, der die Beatmung erforderlich macht, und zweitens verursacht die Beatmungstherapie zusätzliche Lungenschäden.
Nicht alle, die als genesen gelten, sind gesund. Wie beobachten Sie das bei Ihren Patienten?
Wir haben festgestellt, dass viele nach der überstandenen Akutkrankheit nicht nur gravierende Lungenschäden behalten. Wir sehen auch häufig Langzeitschäden am Herz-Kreislauf- und am Nervensystem. Hinzu kommen nicht organische Störungen wie Schlaflosigkeit und die psychische Belastung. Mindestens zehn bis 20 Prozent aller Infizierten haben mit verschiedensten Langzeitfolgen zu kämpfen, unabhängig von der ursprünglichen Schwere des Verlaufs. Die Corona-Folgeerkrankungen werden uns als neue Krankheitsbilder auf Jahre begleiten.
Wie Dr. Nikolaus Büchner die Unterschiede zwischen Grippe und Influenza erklärt, lesen Sie hier, im zweiten Teil des Interviews.
>> LUNGENARZT DR. NIKOLAUS BÜCHNER
■ Privatdozent Dr. Nikolaus Büchner, 53, hat an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Medizin studiert. Vor seinem Wechsel als Chefarzt in die Lungenklinik des Helios St. Johannes in Hamborn war der habilitierte Pneumologe 18 Jahre lang für die Ruhruniversität Bochum in der Lungenfachklinik des Herner St. Anna Krankenhauses tätig.
■ Büchner ist in der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) Sektionssprecher für Schlafmedizin. Als Hauptautor hat er zuletzt an einem Positionspapier der Sektion mitgeschrieben: „Diagnostik und Therapie schlafbezogener Atmungsstörungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie“.