Duisburg. Niklas (28) war jahrelang computerspielsüchtig. Bis zu 38 Stunden am Stück saß er am PC. So hat er sich aus dem Sog der virtuellen Welt befreit.

An der Konsole, am PC oder immer häufiger mit dem Smartphone: Viele Menschen verbringen ihre Zeit mit Videospielen. Doch einige verlieren sich in den tückischen Vorzügen der virtuellen Welt. Sie werden süchtig. So ist es auch Niklas Buchwald ergangen, der eigentlich anders heißt, aber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

„In intensiven Phasen hab ich bis zu 38 Stunden am Stück gespielt“, sagt der 28-Jährige. Mehr als sechs Jahre hat ein Echtzeitstrategiespiel sein Leben bestimmt. In dieser Zeit erlebt er immer wieder Kontrollverluste. Phasen, in denen sein geschaffener Avatar in der virtuellen Welt die Macht über sein reales Ich hat.

Computerspielsucht: Zocken bis zur Erschöpfung

An so manchen typischen Tagen steht Niklas Buchwald um 12 Uhr mittags auf – und bleibt bis 5 Uhr morgens am PC. Für die eigene Ernährung interessiert er sich nicht mehr. Es wird bestellt – „und während des Essens habe ich weitergespielt.“

Für ihn zählen zu dieser Zeit nur noch die Augen, die Tastatur und der Verstand. „Wenn ich ein Spiel verloren habe, habe ich solange gespielt, bis ich gewonnen habe“. Dabei habe er auch „die Grenzen der Müdigkeit“ missachtet.

Online-Spiele: Zuflucht in der virtuellen Parallelwelt

Lange hat er versucht, seine Sucht zu verheimlichen, „sie als nicht problematisch weg zu lachen“, sagt der Student. Oft gelingt es ihm. Familie und Freunde ahnen lange nicht, dass Niklas in der virtuellen Welt gefangen ist. Warum auch: Er schafft das Abitur, bekommt einen Studienplatz und hat einen Nebenjob. Er lässt sich auf Partys blicken, gehört augenscheinlich dazu.

Nicht sichtbar sind die innerlichen Konflikte: Niklas ist unzufrieden mit seinem Leben, familiäre Probleme belasten ihn. Immer wieder verfällt er in tiefe Löcher, hat Depressionen. Zuflucht findet er in diesen Phasen im Spiel, das „vermeintliche Geborgenheit“ suggeriert. Zwischen den Spielern entsteht ein Zusammengehörigkeitsgefühl. So, wie es Niklas aus Vereinen kennt. „Doch der Weg zum Monitor sind nur zwei Schritte.“

„Ich habe alles vernachlässigt“

Hinzu kommt: Als Spieler ist Niklas Buchwald in der Online-Welt omnipotent. Der Duisburger besiegt Feinde, gewinnt mehr und mehr Bewunderer – das verschafft ihm ein starkes Grandiositätsgefühl. „Ich wollte der Geilste sein.“ Während er im Spiel ein Held ist, fühlt er sich im realen Leben „innerlich klein“, sieht sich als Verlierer. Durch das Eintauchen in die digitale Welt versucht er, der für ihn ernüchternden Realität zu entkommen.

Irgendwann gelingt es Niklas Buchwald nicht mehr, die von ihm verlangten Aufgaben zu bewältigen. Auf der Arbeit kommt er zu spät, weil er sich nicht vom Spiel lösen kann. Ihm wird zunehmend gleichgültig, wie es seiner Familie geht. Statt an seiner Abschlussarbeit zu schreiben, spielt er weiter. Letztlich fällt er durch. Soziale Kontakte, Sport, Körperhygiene – „ich habe alles vernachlässigt“, sagt der 28-Jährige.

Student findet therapeutische Hilfe in Duisburg

Ein Zustand, der auch nicht mehr vor der Familie zu verbergen ist. „Wenn du Hilfe brauchst, helfe ich dir“, soll sein Vater gesagt haben. Für Niklas Buchwald ist es wie ein „Weckruf“. Von seinem Hausarzt wird er vor drei Jahren an das Alexianer Bürgerhaus als Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen in Rheinhausen verwiesen.

In Gruppen- und therapeutischen Einzelgesprächen versucht er, einen Weg aus der virtuellen Welt zu finden. Phasenweise gelingt es ihm, doch es gibt Rückfälle, gerade während Corona. Im Januar diesen Jahres erlebt er ein Tief, geht nach langem Spielexzess für vier Tage in eine Klinik. Dadurch sei er „wachgerüttelt“.

Game Over: Rückkehr ins reale Leben

Seit Februar hat er laut eigenen Angaben nicht mehr gespielt. Zwölf Wochen Reha, in der es nicht nur um das Symptom, die Computerspielsucht, sondern auch um tieferliegende psychische Probleme im realen Leben geht, liegen hinter ihm. Während dieses Aufenthaltes gelingt es ihm, seinen Spielaccount zu löschen. All seine gespeicherten Erfolge, letztlich seine Identität der vergangenen Jahre, hat er mit wenigen Klicks ausradiert. „Ich war stolz und habe unglaublich viel geweint“, sagt der 28-Jährige.

Game Over. Das Spiel ist aus, Niklas zurück im Leben. Der Student führt nicht nur ein freiwilliges Ehrenamt aus, sondern ist auch in einem Verein für Kampfkunst aktiv. „Ich habe auch engeren Kontakt zu meinen Arbeitskollegen.“ Anderen pathologischen Spielern rät er, über Probleme zu sprechen und sich Hilfe zu holen.