Duisburg. 100 Mio. Euro wollte die Bahn einst in die Gleishalle des Hauptbahnhofs investieren. Jetzt bietet sie mehr. Wird nicht reichen, sagt ein Experte.

Ein Mitarbeiter der Bahn soll den Duisburger Hauptbahnhof im Sommer bei einer Durchsage als „Lost place“ verspottet haben, sinngemäß als vergessenen Orte also (wir berichteten). Nun hat die DB AG die inzwischen dritte Ausschreibung zum Neubau der wahrscheinlich marodesten Großgleishalle Deutschlands im August tatsächlich veröffentlicht. Bis Ende März 2022 will der Konzern jetzt die Aufträge vergeben. Aus einer Vorinformation für die Bauindustrie geht hervor: Für das neue Dach und die neuen Bahnsteige wird die Bahn deutlich mehr als die 100 Millionen Euro investieren (müssen), die sie noch bei der vorigen, erfolglosen Ausschreibung zu zahlen bereit war. Ein Branchenkenner erwartet außerdem über die neu kalkulierten Kosten hinaus weitere massive Mehraufwendungen.

„Wir können zurzeit kein Preisschild nennen“, hatte ein Bahnsprecher noch Mitte August auf die Frage nach der Summe geantwortet, mit der die Bahn für die Sanierung rechnet. Im April 2019 hatte diese mitteilen müssen, dass es nochmals mindestens drei Jahre länger als geplant dauert, bis die bahnbrechende Modernisierung frühestens beginnen kann. Zum bereits zweiten Mal war damals eine europaweite Ausschreibung der komplizierten Abriss- und Sanierungsarbeiten unter rollendem Rad gescheitert: Zum vorgegebenen Preis wollte kein Unternehmen bauen – 2016 hatte die Bahn ursprünglich 100 Millionen Euro für die Duisburger Welle veranschlagt.

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Duisburger Hauptbahnhof: Gleishalle kostet 140 Millionen Euro – mindestens

Inzwischen ist der Konzern bereit und/oder gezwungen, mindestens 40 Millionen Euro mehr zu investieren. In einer Vorabinformation zur Ausschreibung „Erneuerung der Verkehrsstation Duisburg Hauptbahnhof“ hatte der Bauherr im Sommer zu den sieben Baulosen angegeben: „Geschätzter Gesamtwert: Wert ohne MwSt.: 140 000 000.00 EUR.“

Diplom-Volkswirt Ulrich Knöll ist der Generalbevollmächtigte der Firma „Inlocon AG - Informationslogistik für die Bauwirtschaft“. Er kennt die Baubranche und ihre Preise.
Diplom-Volkswirt Ulrich Knöll ist der Generalbevollmächtigte der Firma „Inlocon AG - Informationslogistik für die Bauwirtschaft“. Er kennt die Baubranche und ihre Preise. © Inlocon AG

140 Millionen Euro netto – und auf eigene Kosten hat die DB-Tochter Station und Service in den vergangenen zwei Jahren nach Angaben der Bahn bereits die komplette Ausführungsplanung erarbeitet.

Das ist ein weiterer Unterschied zu den beiden vorangegangen, gescheiterten Ausschreibungen. Die Ausführungsplanung schließt etwa Genehmigungsverfahren und die Berechnung der benötigten Materialmengen ein. Für viele Bauunternehmen wird ein Auftrag unattraktiver, wenn sie vorab selbst planen sollen. Auch darum waren die ersten beiden Ausschreibungen wohl gescheitert.

„140 Millionen werden vorne und hinten nicht reichen“

Darauf deutet auch die Einschätzung eines Branchenkenners hin: „Es ist bei größeren Bauprojekten üblicherweise so, dass die Ausführungsplanung bereits vorliegt. Dadurch sind die Aufträge einfach attraktiver“, weiß Diplom-Volkswirt Ulrich Knöll, Generalbevollmächtigter der Inlocon AG.

Sein Leipziger Unternehmen betreibt acht Projektinformationsportale im Internet. Diese bündeln die öffentliche Ausschreibung für die Bauwirtschaft transparent, um Bauunternehmen Auftragsrecherchen zu vereinfachen. So verbreitete zuletzt auch Inlocons schienenverkehrsportal.de die EU-weiten Ausschreibungen der Bahn für den Duisburger Hauptbahnhof.

Knöll sagt: „Sie können davon ausgehen, dass die 140 Millionen in der jetzigen Zeit vorne und hinten nicht reichen werden.“ Denn die Baubranche hat unter Corona kaum gelitten und übervolle Auftragsbücher, die Materialkosten seien weiter gestiegen, Fachkräfte Mangelware.

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Deutsche Bahn: Ausführung vom „8. März 2022 bis 25. April 2028“

Und beim Neubau der Gleishalle sei der „Kreis der Bieter stark eingeschränkt“, meint Knöll. „Da kommt der normale Mittelständler nicht mit.“ Auch die „relativ lange Bauzeit“ und die „hohe Komplexität der Arbeiten“ betrachtet der Experte als Gründe dafür, dass die Kosten für das Duisburger Großprojekt weiter steigen dürften. Hinzu kommt: Die Bahn steht nach zwei Fehlversuchen und wegen der weiter bröckelnden Gleishalle unter (Zeit-)Druck.

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Ihr Zeitplan – vorausgesetzt, sie findet im dritten Anlauf endlich Auftragnehmer: Laut Ausschreibung sollen die Arbeiten vom „8.3.2022 bis 25.4.2028“ dauern.

Wenn die Verträge wie geplant bis Anfang März 2022 unterschrieben werden, könnten die ersten sichtbaren Bauarbeiten zwischen Juli und September 2022 beginnen. Liefe ab dann alles glatt, wäre zumindest der überwiegende Teil der Welle laut Bahn zur Internationalen Gartenausstellung (IGA) 2027 fertig. Aber da sind sie wieder: die Bahn-Konjunktive.

So soll es in Zukunft unter der gläsernen Welle in der neuen Gleishalle des Duisburger Hauptbahnhofs aussehen.
So soll es in Zukunft unter der gläsernen Welle in der neuen Gleishalle des Duisburger Hauptbahnhofs aussehen. © DB Station & Service

>> DUISBURG HBF: GLEISHALLE SOLLTE 2020 FERTIG SEIN

• An den architektonischen Plänen fürs Dach – an der schicken „Duisburger Welle“ – hält die Bahn weiter fest, bestätigte ein Bahnsprecher noch Mitte August.

• Als die Bahn und der damalige NRW-Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) 2012 den „großen Wurf“ bekanntgaben, dass Duisburg eine gläserne Welle bekommt, kündigten sie den Baustart für 2017 an, die Fertigstellung für 2020.

• Die Denkmalbehörde hatte die marode Gleishalle, errichtet von 1931 bis 1934, bereits 2011 als nicht mehr standsicher eingestuft. Von 2009 bis 2011 war die Empfangshalle des Bahnhofs saniert worden.

Duisburger Wahrzeichen, Symbol des Sanierungsstaus: Die brüchige Glasfassade an der Ostseite des Hauptbahnhofs wird seit Jahren mit Klebeband zusammengehalten.
Duisburger Wahrzeichen, Symbol des Sanierungsstaus: Die brüchige Glasfassade an der Ostseite des Hauptbahnhofs wird seit Jahren mit Klebeband zusammengehalten. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND