Duisburg. Ein Duisburger (23) soll nach Afghanistan abgeschoben werden – wenn es wieder möglich ist. Anwalt bewertet Schritt der Behörden als „bedrohlich“.

Die Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban hat dazu geführt, dass Deutschland vor dem Hintergrund der derzeitigen Sicherheitslage Abschiebungen nach Afghanistan bis auf Weiteres aussetzt. Doch so bald es wieder möglich ist und sofern keine freiwillige Ausreise erfolgt, soll ein 23-jähriger Duisburger abgeschoben werden. Das geht aus einer Niederschrift der Ausländerbehörde der Stadt Duisburg vor, die dieser Redaktion vorliegt.

Als „bedrohlich“ beschreibt Michael Gödde die Formulierungen. Der Rechtsanwalt aus Marxloh mit dem Schwerpunkt Migrationsrecht ist mit dem Fall vertraut, vertritt den jungen Duisburger. Anfang September war der abgelehnte Asylbewerber aus Afghanistan von der Ausländerbehörde vorgeladen. Niederschriftlich wurde er zur „unverzüglichen Ausreise“ aufgefordert.

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Abschiebestopp? Ausländerbehörde spricht Abschiebung nach Afghanistan aus

Sollte er das Land nicht freiwillig verlassen, würden „unverzüglich Abschiebungsmaßnahmen eingeleitet“, heißt es weiter. Eine Abschiebung erfolge unangekündigt, das konkrete Datum werde dem Duisburger nicht mitgeteilt. Im letzten Absatz heißt es noch: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine Abschiebung nicht möglich. Sollte eine Abschiebung wieder möglich sein, wird ein Abschiebungsflug gebucht.“

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Der 23-jährige ledige Mann lebt seit sechs Jahren in Deutschland. Seit zwei Monaten sei er in einem sozialversicherten Arbeitsverhältnis angestellt, stehe unter Jugendhilfe. Laut seinem Anwalt ist er nicht vorbestraft. Seine Asylklage war vom Verwaltungsgericht Düsseldorf im April dieses Jahres abgelehnt worden. Die Tatsache, dass er der in Afghanistan diskriminierten Volksgruppe der Hazara angehört, reichte zum damaligen Zeitpunkt nicht für die Gewährung eines Schutzstatus aus.

Afghanistan: Gefährdet Machtübernahme der Taliban Minderheiten?

Doch die Lage hat sich durch die Machtübernahme der Taliban verändert: Hazara fürchten sich erneut vor Verfolgung und Massakern an ihrer Minderheit, wie etwa die Deutsche Welle berichtet. Hazara sind überwiegend Schiiten und werden von der sunnitischen Mehrheit in Afghanistan ausgegrenzt. Als die Taliban in den 1990er-Jahren an die Macht kamen, begannen sie, die Hazara systematisch zu verfolgen.

„Das Vorgehen der Ausländerbehörde zeigt die prekäre aufenthaltsrechtliche Situation auf, in der sich afghanische Staatsangehörige nach negativem Ausgang ihrer Asylverfahren befinden. Daran ändert der Umstand nichts, dass Abschiebungsflüge nach Afghanistan gegenwärtig ausgesetzt sind“, urteilt Gödde.

Stadt Duisburg gesteht Fehler in der Niederschrift ein

Wie die Stadt Duisburg mitteilt, sei dem 23-Jährigen „in einem persönlichen Gespräch“ mitgeteilt worden, dass die Abschiebung aufgrund der Sicherheitslage ausgesetzt werde, er jedoch weiterhin nach geltender Rechtslage und durch das rechtskräftige negativ abgeschlossene Asylverfahren zur Ausreise verpflichtet sei.

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Bei der Erstellung der Niederschrift sei jedoch ein Fehler unterlaufen: „Leider wurde der Passus zur derzeitigen Sicherheitslage in Afghanistan und die ausgesetzte Abschiebung nicht in die Niederschrift aufgenommen, sondern lediglich die grundsätzliche Ausreiseverpflichtung.“ Für das Versehen entschuldigt sich die Stadt.

Asylfolgeantrag für jungen Duisburger möglich

Die Stadtverwaltung weist auch darauf hin: „Durch die veränderte Sicherheitslage bestünde die Möglichkeit eines Asylfolgeantrages.“ Einen Weg, den auch Rechtsanwalt Michael Gödde aus Marxloh nicht ausschließt.

Drei Monate sei dafür nun Zeit, ein Gespräch mit dem 23-Jährigen steht bevor. Solch ein Folgeantrag müsse durch das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geprüft werden. „Die städtische Ausländerbehörde ist grundsätzlich an die Entscheidung des BAMF bzw. des Verwaltungsgerichtes gebunden“, teilt ein Stadtsprecher mit.

>> 40 ABSCHIEBEFLÜGE IN FÜNF JAHREN

  • In den vergangenen fünf Jahren fanden 40 Abschiebeflüge afghanischer Flüchtlinge von Deutschland nach Kabul statt, erklärt Gödde. Wie die Tageschau im August berichtete, leben nach Angaben des Innenministeriums derzeit knapp 30.000 ausreisepflichtige Afghanen in Deutschland. Seit 2016 wurden mehr als 1000 Migranten nach Afghanistan zurückgebracht, überwiegend Straftäter.
  • Das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Migration des Landes NRW weist darauf hin, dass „ausschließlich Straftäter und Gefährder nach sorgfältiger Einzelprüfung“ abgeschoben werden sollen. Das Ministerium habe sich dabei „eng an der Lageeinschätzung des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums des Inneren orientiert und wird dies auch weiterhin tun.“