Duisburg. Dr. Wolfgang Görgens praktiziert noch mit 71 Jahren. Für seine Praxis in Duisburg hatte er keinen Nachfolger gefunden. Das sind die Gründe.
Wenn einer den Wandel der Zeit in der Medizin kennt, dann ist es Allgemeinmediziner Dr. Wolfgang Görgens. Er praktiziert immer noch mit mittlerweile 71 Jahren. Einerseits als leidenschaftlicher Arzt, weil für ihn die Patienten an Nummer 1 stehen. Andererseits aber auch, weil es alles andere als einfach war, eine Nachfolge für seine große Praxis zu finden. Denn ans Aufhören hat er längst gedacht. Auch die Familie würde gerne mal Zeit mit dem Mann verbringen, der eigentlich nur seine Praxis kennt. Aber daran ist die nächsten Jahre wohl noch nicht zu denken. Vorerst geht es so weiter wie bisher. Und das hat Gründe.
1984 übernahm der damals 35-Jährige eine Nachkriegspraxis von Dr. Gottfried Eich auf der Hochfelder Straße 9. „Mein Vorgänger selbst hatte mich im damaligen Bertha-Krankenhaus auf die Welt geholt“, schildert Görgens die Zufälle seines Lebens. „Als ich 65 Jahre alt war, habe ich angefangen, mich nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin für die Praxis umzusehen. Denn eigentlich wollte ich rechtzeitig gehen.“ Das gestaltete sich aber alles andere als einfach. Als ein Handicap stellte sich heraus, dass viele potenzielle Nachfolger nicht mehr wollen, dass Praxis und Wohnung in einem Haus sind.
„Viele wollen nicht mehr so viel arbeiten“
Das „alte Modell“ aber war bei Wolfgang Görgens der Fall. Und das in einer Gegend, die von jungen Medizinern nicht mehr als besonders attraktiv angesehen wird. „Außerdem war meine Praxis immer sehr groß, ich hatte immer viele Patienten, es macht natürlich auch extrem viel Arbeit“, räumt der Hausarzt ein. Und genau das sei das Problem heute bei vielen jungen Ärztinnen und Ärzten. „Die wollen alle nicht mehr so viel arbeiten, da kommt die sogenannte Work-Life-Balance ins Spiel“, sagt der Rheinhauser. Und er stellt fest, dass man da ja auch nicht böse sein kann. „Die Älteren können zwar oft nicht anders, aber ob so viel Arbeit immer die richtige Einstellung ist, weiß man auch nicht.“
Wunsch nach festen Arbeitszeiten
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Außerdem, sagt der 71-Jährige, werde die Medizin weiblich. Auch eine gravierende Änderung zu früheren Zeiten. Vor 35 Jahren sei unter 30 Ärzten vielleicht eine Frau gewesen. Heute gebe es unglaublich viele Ärztinnen, die aber überwiegend fest angestellt sein wollten. Dafür sprächen mehrere Argumente: „Sie wollen feste Arbeitszeiten haben, möchten das wirtschaftliche Risiko nicht eingehen, nicht so extrem viel arbeiten, damit sie mehr von der Familie und dem Privatleben haben.“ Das treffe übrigens auch für die Männer zu. Schließlich hatte Wolfgang Görgens endlich einen Mediziner für seine Praxis gefunden, berichtet er. Über vier Jahre sei sein Kollege mit in der Praxis gewesen. „Um dann kurz vor der Übernahme zu erklären, dass er die Nachfolge doch nicht antreten möchte.“
Also ging die Suche wieder von vorne los, sagt Görgens, der dadurch wieder Jahre verlor und weiterarbeiten muss, anstatt endlich den Ruhestand mit Frau und Familie genießen zu können. Er schaltete daraufhin einen speziellen Makler ein, der sich in Sachen Praxisübernahmen auskennt. „Der machte mir klar, dass ich keine Chance habe, mit der alten Praxis in der Wohngegend einen Nachfolger zu finden.“ Also drehte der Arzt, der 2020 das 60-jährige Bestehen der Praxis auf der Hochfelder Straße 9 gefeiert hatte, noch einmal das ganz große Rad und verlagerte seinen beruflichen Standort in die Schwarzenberger Straße in Rheinhausen.
Im Johanniterorden fand er einen Investor für sein neues Projekt, das jetzt Medizinisches Versorgungszentrum heißt. Nun ist der Arzt, der jahrzehntelang selbstständig war, leitender Arzt, ist angestellt und hat zwei weitere Ärztinnen an seiner Seite. Das heißt für ihn zurzeit nicht weniger Arbeit als in früheren Jahren. Aber durch den Vertrag ist das Ende seiner beruflichen Zeit tatsächlich abzusehen. „Drei Jahre arbeite ich jetzt noch im Angestelltenverhältnis, dann ziehe ich mich definitiv zurück.“ Bis er für seine Frau und seine Familie aber endgültig mehr Zeit hat, lebt und arbeitet er weiter wie immer: „Mein Herz schlägt für die Patienten. Ihr Wohl ist für mich die Hauptsache.“
Drei Generationen unter einem Dach
Ein Leitspruch, der auf viele Mediziner zutrifft. Auch Dr. Klaus-Willy Erdmann, Zahnarzt aus Homberg, ist mit 76 Jahren noch immer für seine Patienten da. Die Nachfolge in seiner Praxis ist aber längst geregelt. Drei Zahnarztgenerationen unter einem Dach. Und dann noch aus einer Familie. Das klingt faszinierend, ist es ja auch. „Aber, man darf sich nicht täuschen. Es ist unglaublich schwierig, Nachfolger zu finden, wenn sich ein Arzt zur Ruhe setzt oder sich verändert“, gibt Zahnärztin Anja Christina Erdmann zu. Sie ist mit 49 Jahren die mittlere der Mediziner, Vater Klaus-Willy ist mit 76 Jahren immer noch in der Praxis aktiv, wenn auch nicht mehr so stundenintensiv. Die dritte im Bunde ist Eva Marlene (22), Zahnmedizin-Studentin bereits im siebten Semester.
„Es war ihre freie Entscheidung, dieses Studium zu wählen“, erzählt Mutter Anja. „Sie kennt ja den Betrieb von Kindheit an und hat direkt auf der Schule daraufhin gearbeitet, ein super Abitur zu machen.“ Mit ihrem Einser-Zeugnis konnte sie nicht nur den Studienplatz auswählen, sondern komfortabel auch noch den Studienort. Der liegt gleich nebenan in Düsseldorf. Zusammen betreiben sie schon sehr lange die große Praxis auf ungefähr 800 Quadratmetern mit dem Zahnarzt Thomas Hüttner auf der Paßstraße 6-8 in Alt-Homberg.
Bürokratie schreckt ab
„Das Besondere ist, dass mein Vater Medizin und Zahnmedizin studiert hat, Kieferchirurg und Facharzt für Anästhesie ist“, sagt die 49-Jährige. So konnten in der Praxis immer umfangreiche Eingriffe vorgenommen werden, ohne dass man weitere Fachleute von außen hinzuziehen musste.
Anja Erdmann lässt nichts aus, knüpft Netzwerke nach Düsseldorf und pflegt Kontakte, um genügend Fachleute in die Praxis zu bekommen. Denn medizinischen Nachwuchs zu engagieren, sei mittlerweile wirklich eine hohe Kunst. „Die Zahnmedizin wird weiblich“, sagt die promovierte Ärztin. Das liege wohl daran, dass Mädchen die besseren Zensuren auf dem Abiturzeugnis haben, vermutet sie. Aber für die Nachwuchsprobleme, die alle Praxen haben, sieht sie noch andere Kriterien. „Die junge Generation will heute nicht mehr nur arbeiten. Sie achtet viel mehr auf die Work-Life-Balance in ihrem Leben. Außerdem schreckt sie vor der immensen Bürokratie zurück, mit der wir zu kämpfen haben. Wir müssen uns außerdem um Arbeitsschutz kümmern und Qualitätsmanagement betreiben. Das Personal kann sich mittlerweile den Arbeitsplatz aussuchen“, sagt die Ärztin, die ihre Praxis trotz der Belastung liebend gerne betreibt.
Fünf Zahnärzte und ein Kieferchirurg arbeiten in der Praxis, die im Juli 1981 eröffnet wurde, in diesen Tagen genau seit 40 Jahren besteht. Zwei Belegbetten mit einer Privatklinik gehören zum Betrieb und natürlich fleißige Mitarbeiterinnen, unter anderem zahnmedizinische Fachangestellte. „In dem Bereich kann man sich super weiterbilden“, betont die Zahnärztin und macht gerne Werbung für den Beruf.