Duisburg. „Geister & Genies“ stellt das Duisburger Stadthistorischen Museum nun vor. Sie bescherten der Stadt einst den Beinamen „Gelehrtes Duisburg“.

Mehr Wertschätzung der tiefen Geschichte Duisburgs forderte unlängst Duisburgs neuer oberster Wirtschaftsförderer Rasmus C. Beck, Geschäftsführer von „Duisburg Business & Innovation“ (DBI): „Viele verbinden die Stadt immer noch mit Schimanski und Industriegeschichte, dabei ist Duisburg viel älter. Ich fände es reizvoll, wenn man davon als Besucher viel mehr erfährt.“ Dem Manne und allen, die genauso denken, kann geholfen werden. Ihnen sei hiermit die neue Ausstellung „Geister & Genies“ im Kultur- und Stadthistorischen Museum wärmstens ans Herz gelegt. Sie stellt Persönlichkeiten vor, die in der Frühen Neuzeit hier lebten und wirkten und die der Stadt den Beinamen – man mag es kaum glauben – „Duisburgum doctum“ („Gelehrtes Duisburg“) bescherten.

Stadtbekannte Persönlichkeiten

„Zu ihrer Zeit waren all diese Personen in Duisburg stadtbekannt“, sagt Dr. Andrea Gropp, Kuratorin der Ausstellung. „Aber heute sind sie in Vergessenheit geraten.“ Dass sie nun wieder ins Bewusstsein der Duisburger gelangen können, ist der Bürgerinitiative „Mercators Nachbarn“ zu verdanken. In ihrem Bemühen, die Zeit, als Mercator in Duisburg seine berühmten Kartenwerke und Globen schuf, lebendig und humorvoll zu vermitteln, stießen die Mitglieder der Initiative bei ihren Recherchen auf eine Reihe von Gelehrten, die tatsächlich Nachbarn des berühmten Kartographen waren oder mit diesem im regen geistigen Austausch standen. Infolge dessen ist 2020 ein Buch über dieses Gelehrtennetzwerk im 16. Jahrhundert erschienen, das die einzelnen Persönlichkeiten und deren Wirken in der damaligen Zeit vorstellt und einordnet. Auf diesem hochinformativem Band fußt die Ausstellung im Stadthistorischen Museum, die entlang der Biografien der entscheidenden Personen aufgebaut ist.

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Unter der Knute der Katholischen Kirche

Die Welt ist im Wandel Mitte des 16. Jahrhunderts, als es viele kluge Köpfe aus den spanisch besetzten niederländischen Provinzen gen Osten an den Niederrhein zieht. Hier garantiert ihnen der humanistisch erzogene Herzog von Kleve-Jülich-Berg, Wilhelm V., genannt der Reiche, die Freiheit des Denkens, während sie in ihrer Heimat unter der Knute der Katholischen Kirche verfemt, enteignet und verfolgt werden. Sie aber sind alle Freigeister, Humanisten, Anhänger des grenzenlosen Denkens, die sich für Bildung einsetzen. „Dass Duisburg für sie eine so große Anziehungskraft besaß, lag auch daran, dass die Stadt sich für die Gründung einer Universität stark machte“, erklärt Andrea Gropp. Doch die – angewiesen auf die Erlaubnis von Kaiser und Papst – erfolgte erst 1655.

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Erst Fleischhalle, dann „Akademisches Gymnasium“

Einstweilen entsteht in Duisburg das „Akademische Gymnasium“ direkt am Alten Markt, dort wo sich heute über den archäologischen Ausgrabungen durch ein weißes Gestänge die Umrisse eines alten Hauses erheben. Im Mittelalter Marktstand und später Fleischhalle, Mitte des 16. Jahrhunderts eine Bildungseinrichtung, an der zeitweilig auch Gerhard Mercator Geometrie, Mathematik und Kosmologie lehrt. Rektor wird Heinrich Castritius Geldorp, ein Flüchtling aus Nordbrabant, der schon in Delft Schulleiter war, als ihn der Kirchenbann traf. Sowohl das Landfermann-Gymnasium als auch das Adolfinum in Moers gehen auf sein Wirken zurück.

Zum Gelehrtennetzwerk um Gerhard Mercator gehörte auch der Lehrer Konrad Heresbach, hier abgebildet mit seiner Frau Mechtild van Duynen, der lebenslang mit dem großen Humanisten Erasmus von Rotterdam befreundet war. Ganz im humanistischen Sinne erzog Heresbach auch den Herzog von Kleve-Jülich-Berg, Wilhelm den Reichen.
Zum Gelehrtennetzwerk um Gerhard Mercator gehörte auch der Lehrer Konrad Heresbach, hier abgebildet mit seiner Frau Mechtild van Duynen, der lebenslang mit dem großen Humanisten Erasmus von Rotterdam befreundet war. Ganz im humanistischen Sinne erzog Heresbach auch den Herzog von Kleve-Jülich-Berg, Wilhelm den Reichen. © FUNKE Foto Services | Foto: Martin Möller

Castritius, ein ebenso scharfsinniger wie scharfzüngiger Mensch, erfreut sich nicht allgemeiner Beliebtheit, und er verlässt das Gymnasium im Streit. Über Kreuz liegt er aber auch mit Mercator und Johannes Molanus, einem gebürtigem Belgier, den Mercator 1559 im Auftrag des Duisburger Magistrates in die Stadt holt. Molanus folgt Castritius als Rektor nach und heiratet Mercators Tochter Emerentia. Sein Wirken in Duisburg, das er bereits 1563 wieder verlässt, ist nur spärlich bezeugt. Aber in Bremen, wo er zuvor als Lehrer tätig war und 1563 Rektor der Lateinschule wird, hat er tiefe Spuren hinterlassen.

Glühender Gegner der Hexenverfolgung

Diese Reiseapotheke von Johann Weyer, dem Leibarzt des Herzogs Wilhem V., ist ebenfalls in der Ausstellung zu  bewundern.
Diese Reiseapotheke von Johann Weyer, dem Leibarzt des Herzogs Wilhem V., ist ebenfalls in der Ausstellung zu bewundern. © FUNKE Foto Services | Foto: Martin Möller

Molanus hat weitrechende Verbindungen zu Gelehrten in ganz Europa. Darunter ist auch Johann Weyer, Leibarzt von Wilhelm dem Reichen und glühender Gegner der Hexenverfolgung, der mit seiner Haltung den geballten Zorn der Katholischen Kirche auf sich zieht. „Weyer hat nicht behauptet, dass es den Teufel nicht gibt, sondern dass der Teufel es nicht nötig hat, mit Menschen zu paktieren. Die angeblich von ihm Besessenen seien deshalb Opfer, und wer diese verbrenne, vollende somit das Werk des Teufels“, erläutert Andrea Gropp.

Auch Weyer wird in dieser Ausstellung gewürdigt, die liebevoll gestaltet ist mit Häusern und kleinen Gassen, die sich rund um eine Kirche als Mittelpunkt reihen. In Weyers Haus ist Konrad Heresbach sein Nachbar, lebenslanger Freund des großen Humanisten Erasmus von Rotterdam und Lehrer des Herzogs von Kleve-Jülich-Berg, der den Herrscher nach seiner Maßgabe erzog, dass ein Landesherr von allen Dingen etwas verstehen müsse, um seinen Beratern nicht hilflos ausgeliefert zu sein.

Corputius-Plan als Werbeplakat für die Universitätsstadt

Natürlich darf auch Johannes Corputius nicht fehlen, Schüler und Nachbar Gerhard Mercators, der im Auftrag der Stadt Duisburg 1566 die berühmte Duisburger Stadtansicht aus der Vogelperspektive veröffentlichte. „Ein altes Werbeplakat für Duisburg als Universitätsstadt“, nennt sie Andrea Gropp. „Zumindest wird in der Legende unter dem Plan immer wieder auf die Absicht, eine Universität zu gründen, hingewiesen.“ Hätte sie früher umgesetzt werden können, hätten viele der Gelehrten aus dem Netzwerk um Mercator dort ihr Auskommen gehabt, ist die Kuratorin überzeugt.

Doch auch so haben diese Freigeister durch ihr Wirken und ihren regen Austausch untereinander grundlegende Änderungen geschaffen, von denen wir heute noch profitieren. Wer die Ausstellung besucht, kann das sehen und verstehen. „Wenn man sich mit diesen Gelehrten und ihrem Wirken beschäftigt, geht man anders durch die Stadt“, sagt Andrea Gropp. „Das ist unser Ziel, dem Erleben der Stadt Duisburg eine andere Tiefe zu geben.“

Kleine Spielszenen stellen die Gelehrten vor

Lebendig werden die gelehrten Persönlichkeiten des Netzwerkes um Mercator durch kleine Videosequenzen, die „Mercators Nachbarn“ gedreht haben. So lässt sich etwa der Streit zwischen Castritius und Molanus über die Führung des „Akademischen Gymnasiums“ verfolgen oder der Monolog des Theologen Georg Cassander, der leidenschaftlich gegen religiös begründete Gewaltanwendung war und sich für Reformen in der Katholischen Kirche und gegen eine Spaltung einsetzte. „Die Aussagen sind natürlich nicht wortgetreu“, sagt Andrea Gropp. Aber sie basieren auf eingehenden Recherchen und vermitteln einen Eindruck der verschiedenen Charaktere.

Weil viele der Gelehrten damals aus den Niederlanden kamen, wird die Ausstellung komplett zweisprachig präsentiert. Zu sehen ist sie bis zum 9. Januar 2022.