Duisburg. Nach 15 Jahren als Intendant der Duisburger Philharmoniker geht Alfred Wendel jetzt in den Ruhestand. Im Gespräch blickt der 63-Jährige zurück.

Als Alfred Wendel 2006 Intendant der Duisburger Philharmoniker wurde, hatte er zwar schon viele Erfahrungen als Kulturmanager gesammelt, etwa beim Rheingau Musik Festival und ab 1999 beim Klavier-Festival Ruhr. Der 2018 verstorbene Duisburger Kulturdezernent Konrad Schilling aber habe ihn ermuntert, sich als Intendant zu bewerben. Der Ausgang ist bekannt. „Glück gehabt“, sagt der 63-Jährige am Ende seiner Amtszeit, unter die er mit der Haydn-Oper „Der Apotheker“ einen heiteren Schlusspunkt gesetzt hat.

War die Eröffnung der neuen Mercatorhalle 2007 nicht gleich eine große Aufgabe in Duisburg?

Alfred Wendel: Erstmals ging es ja im Theater am Marientor los, ich war noch an der Planung etwa der Inneneinrichtung beteiligt. Der Umzug in die Mercatorhalle war wirklich ein Fest. Dabei sollten wir bei der Eröffnung ja gar keine große Rolle spielen. Wir haben dann nur losgelegt mit Mozart Gran Partita – zwölf Bläser und Kontrabass. Dann flogen die Türen auf, die Sirene ging los: Feueralarm, der Saal musste geräumt werden. Und da haben wir uns gedacht: War vielleicht doch nicht so schlecht, dass Howard Carpendale der Stargast des Abends war.

Wie erinnern Sie sich an den Aufschlag der Philharmoniker in der Mercatorhalle?

Wir hatten eine Woche später unsere philharmonische Eröffnung mit einem Riesenkonzert: „Heaven Earth Mankind“ von Tan Dun mit dem riesigen Glockenspiel aus Wuhan, zwei Chöre auf der Bühne. Und Bruckner Neunte. Das hat ewig lange gedauert, das war so ein Spezialprogramm mit Jonathan Darlington.

Und wie hat die neue Halle auf Sie und das Publikum gewirkt?

Sie hat enorm viel Auftrieb gegeben. Wir waren alle glücklich, so einen tollen Saal zu haben. Und dann zu merken, dass er auch wirklich so klasse ist, wie uns der Akustiker immer gesagt hat. Wir haben auch sehr anständige Programme gemacht. Viel englische Musik, viele Mahler-Sinfonien. Das hat auch beim Publikum eingeschlagen. Und es gab eine große Werbekampagne: Jetzt ist Duisburg neben Essen, Dortmund und Köln mit einer gleichwertigen Halle da.

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Sie haben mit Jonathan Darlington sehr stark an einem Strang gezogen. Ist das eine Voraussetzung für Erfolg, dass die Chemie zwischen dem Intendanten und dem Generalmusikdirektor stimmt?

Das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen. Man muss sich vertrauen können. Wir führen hier einen großen Laden mit 100 Leuten, die meisten sind Künstler, auch das künstlerische Betriebsbüro ist mit Leidenschaft dabei. Vertrauen ist die Voraussetzung, um kreativ und offen arbeiten zu können. Man muss sagen können, was man denkt. Dann kommt etwas raus, was spannend ist und funktioniert. Mit Jonathan Darlington hat sich eine herzliche Freundschaft entwickelt. Mit dem konnte man Pferde stehlen – genau wie jetzt mit Axel Kober.

Duisburg: Die Rückkehr ins TaM war hart

Dann kam 2012 mit der Schließung der Mercatorhalle die Rückkehr ins TaM. War das kein Tiefschlag?

Das war fürs Publikum natürlich hart, und da sind dann auch einige weggeblieben. Wobei es doch sehr fürs Publikum spricht, dass 70 Prozent dabei geblieben sind. Wir haben dann auch gleich diese Akustikanlage eingebaut, als klar wurde: Das dauert länger als ein halbes Jahr. Es waren dann vier Jahre.

Aber hat das Umfeld des TaM nicht abgeschreckt?

Das ist das Hauptproblem. Wenn es eine Infrastruktur mit Kneipen nebenan gäbe oder vielleicht auch ein besseres Parkhaus, wo man nicht ewig lange Schlage stehen muss, dann wäre es noch besser gelaufen. Das Haus selbst ist ja schön. Und nachdem wir die Akustik verbessert haben, konnte man die Konzerte genießen. Da wuchs die Besucherzahl auch wieder.

Ab 2012 sind Sie gern wieder zurück.

Da gingen die Publikumszahlen wieder nach oben. Wir waren ja oft ausverkauft. Das ist jetzt wieder weniger geworden, das wird eine Herausforderung – für alle Orchester. Die Tendenz hatten wir früher erwartet. Jetzt kommt es, das Aussterben des Publikums. Wobei die Abonnenten irrsinnig lange durchgehalten haben. Und das Publikum wächst nicht mehr so schnell nach wie es verloren geht.

2019 der nächste Schlag: Das Theater unter Wasser.

Scheibenkleister. Aber dann haben wir uns wieder aufgerappelt. Ruckzuck kam die Idee auf, den „Ring“ konzertant zu machen, der ja geplant war. Dann aber auch richtig und mit großer Besetzung. Was gerade in der Halle den entsprechenden Sound gebracht hat, das hat die CD-Ausgabe phänomenal eingefangen. Es ist etwas Großes entstanden, was es sonst nicht gegeben hätte.

In der Corona-Zeit vier CDs eingespielt

Wie wichtig sind CD-Aufnahmen für ein Orchester?

Wir dokumentieren damit unsere Arbeit und den künstlerischen Standard, den wir erreicht haben. Und man hat etwas in der Hand, womit man werben kann. Wir schicken die CDs auch ans WDR-Archiv, und manchmal wird daraus etwas gesendet. Außerdem gibt es auch Leute, die CDs kaufen – unsere Fans hier kaufen viel.

Was hat das Orchester in der Corona-Zeit gemacht?

Wegen Corona werden wir mit vier neuen CDs rauskommen, die wir erarbeitet haben, teilweise auch als Streaming, um sofort etwas fürs Publikum zu haben. Es gibt aber immer noch HiFi-Fans, die sich zu Hause hinsetzen und CD hören.

Wie schwierig waren die Lockdown-Spielzeiten?

Das war verhältnismäßig spaßfrei. Es war mehr Arbeit als sonst. Mit dem ständigen Hin-und-Her-Planen, neue Verordnungen, Sitzpläne machen, mit dem Zollstock abmessen. Erst große Hoffnungen, dass man wieder spielen kann, dann Pustekuchen, das war schon schwierig. Ich habe erstmal gemerkt, wie sehr mir Konzerte fehlen. Wenn das wegfällt, wird das Leben doch trist. Das war für alle eine Herausforderung.

Bei Festivals überregional aufhorchen lassen

Was bedeutet es für ein Orchester, an Festivals wie der Ruhrtriennale teilzunehmen?

Nur so kann man seine überregionale Bedeutung unter Beweis stellen. Wenn wir nicht eingeladen würden, dann wären wir nur das Orchester in der Stadt, das ist natürlich die Hauptsache. Aber fürs Orchester ist es natürlich eine Herausforderung, wenn man zum Beispiel bei der Ruhrtriennale dabei ist. Das ist bis heute eines der Highlights, dass wir den Tristan unter Kyrill Petrenko gemacht haben. Sieben Vorstellungen, alle voll, internationales Publikum, besondere Kenner – die Musiker sind da so über sich hinaus gewachsen! Das fand ich immer wichtig: Wo es geht die Chancen wahrnehmen. Das erweitert den Horizont, auch mal woanders hinzugehen und neue Ideen zu entwickeln. Wir bemühen uns, das Orchester leuchten zu lassen.

Was man beim Ausräumen so findet: Alfred Wendel mit einem Taktstock, der beim Rheingau Musik Festival mal ins Gras geflogen war und in Duisburg zum Einsatz kam, wenn ein Dirigent seinen Taktstock vergessen hatte.
Was man beim Ausräumen so findet: Alfred Wendel mit einem Taktstock, der beim Rheingau Musik Festival mal ins Gras geflogen war und in Duisburg zum Einsatz kam, wenn ein Dirigent seinen Taktstock vergessen hatte. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Haniel Open Air, Sommerkino, das sind sehr populäre Veranstaltungen. Wollen Sie damit auch Leute ansprechen, die sonst nicht ins Konzert kommen?

Das ist die Idee. Wenn ich zur Triennale gehe, stellt das die internationale Klasse des Orchesters unter Beweis. Wenn wir hier Open Air spielen oder Sommerkino oder mit David Garret bei der Kanu-WM spielen – das soll viele Menschen in Duisburg erreichen. Wenn hier 7000 Menschen vor der Tür stehen, dann gibt es doch die Hoffnung, dass mal einer zum Konzert kommt. Bessere Werbung kann man nicht machen.

Was soll ein eigenes Festivals wie „Eigenzeit“ bewirken?

Das war ein Glück, dass die „Neue Wege“-Förderung rauskam. Wir wollen mit wechselnden Kuratoren zeigen, dass Neue Musik auch Spaß machen kann. Mit Hauke Berheide, dem ersten Kurator, haben wir schon einiges gemacht, der nächste ist Johannes Fischer, das wird ganz anders, aber auch er ist dem Publikum zugewandt. Wir wollen Musik, die das Publikum auch erreicht und zeigt: Aha, das ist ja nicht nur furchtbar. Und es macht den Musikern Spaß.

Wenn Sie Ihren Nachfolger beraten sollten, wie macht man ein gutes Programm, was würden Sie sagen?

Also das würde ich ihm nie raten, das weiß der ganz gut selbst, er ist sehr erfahren. Ich glaube, wir haben eine ähnliche Grundausrichtung, dass wir Musik fürs Publikum machen. Natürlich kann es nicht sein, dass wir uns komplett danach richten, was die Leute hören wollen, das wäre zu langweilig. Man kann das Publikum schon beanspruchen, aber nicht überfordern. Es gibt eine große Offenheit im Publikum, da staunt man manchmal.

Machen Sie selbst noch Musik?

Nein schon ganz lange nicht mehr. Das könnte was sein, wenn ich lange genug Langweile gehabt habe. Ich will endlich mal Langeweile haben. Der Job hier ist schon sehr umfassend, deswegen denkt man ständig dran. Jetzt soll mal der Kopf durchgelüftet werden, ich will mal frei sein von Verpflichtungen. Vielleicht kram ich auch meine sehr schöne Connstellation-Trompete raus und gehe in einen Posaunenchor.

>>DIE NEUE SAISON TRÄGT NOCH WENDELS HANDSCHRIFT

  • Die Saison 2021/22 trägt noch die Handschrift von Alfred Wendel, er hat sie mit GMD Axel Kober komplett geplant. Sie beginnt am 8. und 9. September mit dem Werk, das die Aktivitäten der Duisburger Philharmoniker im Beethoven-Jahr 2020 krönen sollte: der Missa Solemnis mit dem Chorus Musicus unter Christoph Spering.
  • Wendels Nachfolger Nils Szczepanski wurde 1977 in Oldenburg geboren. Der Musikwissenschaftler und Kulturmanager ist bei den Symphonikern Hamburg als Künstlerischer Betriebsleiter und Persönlicher Referent des Intendanten tätig. Er war von 2007 bis 2013 als Dramaturg am Aalto-Theater Essen engagiert.