Duisburg. Kinder und Jugendliche sind durch die Corona-Pandemie psychisch belastet, Duisburger Psychotherapeuten führen lange Wartelisten.
Isolation, Distanzunterricht, Stress in der Familie: Die Corona-Pandemie hinterlässt in der Psyche von Kindern und Jugendlichen in Duisburg deutliche Spuren. Insbesondere nach den Herbstferien und kurz vor dem zweiten Lockdown sei die Zahl der Anmeldungen bei allen Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten deutlich gestiegen, sagt Marcel Hellmich, Psychiatrie-Koordinator im Gesundheitsamt Duisburg.
Zum Glück habe sich die Versorgung in Duisburg deutlich verbessert, das war jahrelang ein „massives“ Problem. Inzwischen gebe es 29 niedergelassene Therapeuten für die jüngeren Patienten. Belastend seien für die Kinder innerfamiliäre Konflikte etwa bei Trennungsproblematiken, sagt Hellmich. Etliche leiden unter den Folgen des Distanzunterrichts. Lange Wartelisten gebe es auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und bei den 128 kassenzugelassenen Psychotherapeuten in Duisburg. Manche von ihnen führten Videosprechstunden ein, um helfen zu können.
Durch Kontaktreduzierung bleiben psychische Probleme verborgen
Die Pandemie hatte im vergangenen Jahr unterschiedliche Einflüsse auf psychisch kranke Menschen, sagt Hellmich. Da es zum Krankheitsbild schwer Depressiver gehöre, wenige soziale Kontakte zu haben und das Haus kaum zu verlassen, habe sich ihr Leben nicht grundsätzlich verändert. Für viele sei die Telefonseelsorge ein Anker gewesen.
Gerade für Depressive sei jedoch eine Tagesstruktur wichtig. Wegen der häuslichen Isolation blieben manche gleich ganz im Bett, „dabei sind mehr als acht Stunden Schlaf nicht förderlich, der Lockdown hat ihr Krankheitsbild daher oft verschlimmert“, weiß der Psychiatriekoordinator. Aktuelle Statistiken gehen von fünf Millionen depressiven Menschen in Deutschland aus.
Der sozialpsychiatrische Dienst habe ihm berichtet, dass sich die Anfragen im vergangenen Jahr nicht signifikant erhöht hätten, so Hellmich. Da aber zwei Drittel der Neuanmeldungen durch Nachbarn oder Angehörige erfolgen, sei es denkbar, dass die Kontaktreduzierung hier ein falsches Bild ergibt. „Da können wir nur spekulieren, ob viele Menschen deshalb unversorgt sind.“
Selbstheilungskräfte sind wegen der Dauer der Krise überfordert
Je länger die Krise dauere, desto eher seien die Selbstheilungskräfte überfordert, weiß Hellmich. Dies bestätigt eine Umfrage des größten Berufsverbandes DPTV. Demnach habe es bis zu 40 % mehr Nachfragen nach Psychotherapien durch Corona gegeben. „Ich glaube, da wird noch einiges auf uns zukommen.“
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Im ersten Lockdown wurden Selbsthilfegruppen verboten, später konnten Gesundheitsämter Ausnahmeregelungen für jene Gruppen erlassen, die therapeutisch wirksam sind. Das betraf vor allem Gruppen von Kreuzbund und Anonymen Alkoholikern, „für Suchtkranke sind die Gruppen oft der einzige Stützpfeiler“, sagt Hellmich. Schaden und Nutzen von Begegnungen habe man deshalb gut abwägen müssen. Die Gruppen erhielten entsprechende Hygiene-Auflagen. „Ich hatte das Gefühl, dass die Menschen sehr geschätzt haben, dass sie sich überhaupt treffen konnten.“
Bei Selbsthilfegruppen für psychisch Erkrankte, etwa Depression oder Angststörung, habe es eher weniger Treffen gegeben, weil die Angst vor Ansteckung groß war. Hier sei per Telefon oder in Whatsapp-Gruppen kommuniziert worden.
Herausforderungen im Gesundheitsamt durch die Pandemie
Das Gesundheitsamt stand pandemiebedingt Kopf, auch Hellmich half monatelang bei der Kontaktnachverfolgung am Bürgertelefon, war in der Zeit als Kontaktperson zwei mal selbst in Arbeits-Quarantäne. Als 62-Jähriger habe er sich jedoch nicht als Teil der Risikogruppe erlebt.
Trotz vieler sachfremder Arbeit sei es gelungen, zumindest einige Angebote anzustoßen. Für Kinder psychisch kranker Eltern wurde ein Hörspiel-Projekt angeleiert. Ab März soll außerdem eine Krabbelgruppe für psychisch belastete Eltern beginnen, um die frühe Bindung zum Kind zu fördern.
Positiv sei auch der stark spürbare Zusammenhalt im Gesundheitsamt gewesen, wo viele Mitarbeiter aus anderen Abteilungen halfen, Studierende und Bundeswehr-Soldaten eingesetzt wurden. Bei aller Belastung, plötzlich Teil einer anordnenden Behörde zu sein, die Menschen in Quarantäne schickt, so Hellmich, habe das Zusammengehörigkeitsgefühl überwogen.
>> SELBSTHILFE-KONTAKTSTELLE
■ Die Selbsthilfe-Kontaktstelle bestätigt, dass Depressions- oder Angstbetroffene, die einigermaßen durch den ersten Lockdown kamen, inzwischen vielfach Belastungsgrenzen erreicht hätten. „Der erzwungene Rückzug, das Problem nicht regelmäßig einmal die Woche vor die Tür zu kommen und in Selbsthilfe mit Gleichbetroffenen reden zu können, dazu noch Ängste vor Ansteckung und vor finanzieller Not, erhöhen die Gefahr einer Verschlimmerung des psychischen Gesundheitszustands“, berichten Anja Hoppermann und Kendra Zwickler. Gruppenmitglieder würden sich auch in Sorge um Mitstreiter, von denen sie lang nichts mehr gehört haben, an das Team wenden.
■ Weil Hinweise oder auch nur ein gutes Gespräch helfen können: Die Kontaktstelle ist telefonisch erreichbar: 0203 / 60 99 041, weitere Infos unter www.selbsthilfe-du.de