Duisburg. Fast 100 Corona-Patienten hat Dr. Nikolaus Büchner behandelt. Der Chefarzt der Duisburger Helios-Lungenklinik berichtet über seine Erfahrungen.

Er ist wohl der Duisburger Mediziner, der die meisten Covid-19-Patienten behandelt hat: Rund 100 in den vergangenen Monaten. Die Lunge und die Atemwege sind das Fachgebiet von Dr. Nikolaus Büchner. Das Coronavirus hat auch ihn vor die größte Herausforderung seiner ärztlichen Laufbahn gestellt. Mit dem habilitierten Pneumologen, seit sechs Jahren Chefarzt der Lungenklinik im Helios St. Johannes in Hamborn, haben wir über seine Arbeit, seine Patienten und seine Gefühle in den kritischen Tagen der Corona-Pandemie gesprochen.

Was dachten Sie, als die ersten Nachrichten zum Coronavirus Sie erreichten?

Dass uns irgendwann eine neue Infektionskrankheit treffen wird, war uns Medizinern klar. Das wird auch in Zukunft so sein. Im Falle der Corona-Viren ist es bisher alle zehn Jahre so: 2002 hatten wir die Sars-, 2012 die Mers-Epidemie, jetzt Sars-Cov2. Ganz am Anfang habe ich eine Pandemie diesen Ausmaßes noch nicht befürchtet. Aber dass es sich um eine schwere Erkrankung handelt, war schnell klar. Niemand war geschützt, denn es gab keine Grundimmunität, keinen Impfstoff. Sie verläuft öfter schwer als eine Grippe.

Duisburger Mediziner: „Da war mir klar, das kommt schon zu spät“

Wann war Ihnen klar, dass es einen Lockdown geben würde?

Als ich hörte, dass man in China versucht, eine Großstadt abzuriegeln. Da war mir klar: Das kommt schon zu spät, die Virusträger sind schon unterwegs. Das Problem sind die bis zu 14 Tage lange Zeit zwischen Infektion und Erkrankung und die oft fehlenden oder nur geringen Beschwerden. Das machte es so schwierig, die Ausbreitung etwa durch Skiurlauber und Karnevalisten aufzuhalten.

Wann haben Sie den ersten Corona-Patienten gesehen?

Mitte März, ein älteres Ehepaar. Beide hatten Begleiterkrankungen. Der Mann ist nach schwerem Verkauf verstorben, die Frau hat es überstanden, konnte nach einer Reha mittlerweile wieder nach Hause.

War Covid-19 für Sie vor allem eine professionelle Herausforderung oder hatten Sie auch Angst?

Ein wenig Angst und ein mulmiges Gefühl hat man schon. Ich bin auch Mensch und Familienvater. Heute wissen wir, wie wir uns wirksam schützen können, ich gehe wieder beruhigt zur Arbeit. Aber es ist wie mit dem Feuerwehrmann beim Waldbrand: Da kann man nicht wegrennen.

Wie war das, als die Zahlen exponentiell stiegen, als Sie wussten, es kann eng werden?

An Herausforderungen fehlt es in der Lungenmedizin gerade in dieser Region nie. Corona war etwas Besonderes. Ich habe Respekt gespürt, da war auch Unruhe. Wir haben täglich verschiedene Szenarien durchgerechnet, das komplette Haus vorbereitet, Personal geschult und Technik herangeschafft. Irgendwann wurde klar: Wir haben noch ein wenig Vorsprung. Es war wie vor einem Tsunami: Man weiß, die Welle kommt, aber nicht, wann und wie hoch sie wird.

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Wie haben Sie sich persönlich vorbereitet?

Schon in den ersten Tagen habe ich einen Rucksack mit einer Luftmatratze und einem Schlafsack eingepackt, um eventuell eine Zeit lang die Klinik nicht zu verlassen. Es gab Sorgen, aber keine Panik. Wir wussten nicht, wie viele Mitarbeiter durch die Krankheit ausfallen würden.

Es gab keine standardisierte Behandlung. Wie hat sich das entwickelt?

Am Anfang haben wir uns täglich getroffen, um alle Informationen zu sammeln und zu bewerten. Im Helios-Verbund haben sich alle Lungen-Chefärzte ausgetauscht. Derzeit gilt es, die belastbaren Informationen für unsere Arbeit zu nutzen. Heute machen wir vieles anders als Mitte März, weil wir dazugelernt haben. Im Moment ist das Virusmedikament Remdesivir das Medikament, auf das wir die größte Hoffnung setzen, wir erwarten da bald Studienergebnisse. Ansonsten steht die intensivmedizinische Behandlung mit viel Überwachung im Vordergrund.

Der Zustand von Patienten verschlechtert sich mitunter sehr schnell, binnen weniger Stunden

Welche Erfahrungen haben Sie mit der Krankheit gemacht?

Der Zustand von Patienten verschlechtert sich mitunter sehr schnell, binnen weniger Stunden. Auch wenigen jungen Menschen ist das passiert, ohne dass man es ihnen vorher angesehen hat. Die Patienten, die bei uns verstorben sind, waren allerdings alle hochbetagt und hatten Vorerkrankungen.

Was haben Sie gelernt?

Man darf das Risiko nicht unterschätzen. Niemand ist bei Covid-19 auf der sicheren Seite. Die Lernkurve war sehr steil in kurzer Zeit, weil normalerweise nie so viele Patienten mit der gleichen Erkrankung kommen und weil es einen weltweiten Fokus auf die Krankheit gibt. Und wir haben gelernt, wie mit solchen Krisen umzugehen ist. Mit Mitarbeitern, wochenlang isolierten Patienten, mit der Information der Bevölkerung. Den Zusammenhalt zwischen den Berufsgruppen im Gesundheitswesen, die alle die Herausforderung angenommen haben, habe ich sehr positiv erlebt.

Welche psychischen Auswirkungen hat die Erkrankung?

Die außergewöhnlich lange Isolation ist ein Problem. Leider gibt es noch keine zuverlässigen Schnelltests für den Nachweis der Ansteckungsfähigkeit. Das kann Lagerkoller verursachen, der Bewegungsmangel kommt dazu. Sorgen macht mir, dass andere aus Angst vor einer Infektion auch bei sonstigen schwerwiegenden Erkrankungen nicht oder zu spät zum Arzt oder ins Krankenhaus kommen.

Covid-19-Patienten werden nach drei bis sechs Monaten noch mal untersucht

Sind Spätfolgen bei schweren Covid-19-Verläufen schon absehbar?

Das weiß man naturgemäß noch nicht. Von den ersten Patienten wissen wir, dass ein Teil der Lungenveränderungen möglicherweise zurückbleibt. Ob es Folgeschäden auch an anderen Organen, am Gefäßsystem gibt, das werden wir erst später erfahren. Das gilt auch für die seelischen Folgen. Unsere Patienten werden wir uns nach drei bis sechs Monaten erneut anschauen, um das herauszubekommen.

Wo sind diese Patienten jetzt, wie geht es ihnen?

Sie sind zu Hause, aber durch die Erkrankung noch geschwächt. Der Infekt belastet den ganzen Körper. Einige haben wir in Reha-Einrichtungen wie die Rheinklinik verlegt, sie brauchen eine umfassende Kräftigung. Wir konnten da schnell reagieren.

Tut Covid-19 eigentlich weh?

Die Spanne ist sehr breit. Wir sehen viele, die infiziert sind, aber keine Symptome haben. Andere haben schwere Luftnot, und wenige, bei denen intensivmedizinische, manchmal wochenlange Behandlung erforderlich ist.

Eine Beatmung ist sehr belastend. Wie schwierig ist die Entscheidung für oder gegen eine solche Therapie?

Man steht oft mit dem Rücken zur Wand. Wenn der Patient es möchte, muss man es machen, auch wenn sie einen Schaden verursachen kann. Die Quote derer, die so die Infektion trotz Begleiterkrankungen überwinden, ist gut. Es gab aber auch Patienten, die sich gegen die Beatmung entschieden haben und es trotzdem geschafft haben. Aber vor solchen Entscheidungen stehen wir auch ohne Corona ganz oft. Als Arzt sollte ich Patienten und Angehörige einbeziehen, aber am Ende muss ich die Verantwortung für die Entscheidung tragen.

Zur Person: Dr. Nikolaus Büchner

An der Uni Münster hat Priv. Doz. Dr. Nikolaus Büchner Medizin studiert, vor seinem Wechsel als Chefarzt in die Lungenklinik des Helios St. Johannes in Hamborn war der 52-jährige Pneumologe 18 Jahre lang für die Ruhruniversität Bochum in der Lungenfachklinik des Herner St. Anna Krankenhauses tätig.

Büchner engagiert sich in der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), dort ist er Sektionssprecher für Schlafmedizin. Als Hauptautor hat er an einem jüngst veröffentlichten Positionspapier der Sektion zum Umgang mit Corona-Patienten mitgewirkt.

Hat Corona eine soziale Komponente?

Unterschiede in der medizinischen Versorgung gibt es hier nicht. Aber es gibt natürlich Faktoren, die die Ausbreitung begünstigten, etwa der enge Kontakt. Menschen in wirtschaftlich schwieriger Lage leben eher in kleineren Wohnungen zusammen. Da gibt es dann gleich mehrere Infizierte in einer Familie. Das haben wir hier auch erlebt. Dabei: Ein nennenswerter Anteil aller Infektionen in Deutschland geht offenbar auf Skiurlauber in Ischgl zurück – das sind vermutlich nicht die wirtschaftlich Schwächsten.

Was sagen Sie den Zweiflern, die weiterhin die Schwere der Krankheit bezweifeln?

Es ist der Fluch erfolgreicher Präventivmaßnahmen, am Ende dennoch zu sagen, dass sie notwendig waren. Wenn es uns so getroffen hätte, wie andere, würde sich diese Frage gar nicht stellen. Die Zweifel sind mit Zahlen zu widerlegen. Das Sterblichkeitsrisiko ist tatsächlich nicht so hoch, wie man es anfangs beziffert hat, aber es ist drei bis fünfmal höher als bei einer schweren Grippe. Auch daran sterben viele Menschen, sie ist nicht zu verwechseln mit einen einfachen grippalen Infekt.

Man kann vernünftig sein und trotzdem Spaß haben

Wie hat sich Ihr persönlicher Alltag verändert?

Ich halte die Hygieneregeln sehr streng ein, versuche aber auch, weiterzuleben. Am Wochenende war ich an der Ostsee mit guten Freunden, wir waren gemeinsam im Restaurant. Es geht: Man kann vernünftig sein und trotzdem Spaß haben.

Was erhoffen Sie sich?

Ich hätte nicht erwartet, dass so viele Menschen vernünftig und vorsichtig sind. Wir dürfen jetzt nicht leichtsinnig werden, nur weil es uns nicht so hart getroffen hat wie andere Länder. Meine Sorge ist, dass dem Druck, wieder Großveranstaltungen zuzulassen, zu früh nachgegeben wird. Eine wirkliche Entspannung kann es erst geben, wenn es entweder einen Impfstoff oder eine ausreichende Grundimmunität in der Bevölkerung gibt. Medikamente werden helfen, aber sie werden das Problem wohl nicht lösen.

Wo ist eigentlich Ihr Schlafsack jetzt?

Er bleibt vorerst noch im Kofferraum meines Autos. Ich bin aber relativ zuversichtlich, dass ich ihn zumindest vor dem nächsten Winter nicht benötigen werde.