Duisburg. Corona verändert den Alltag in Duisburger Seniorenheimen. Eine Bewohnerin berichtet von strikten Maßnahmen. Chef des Heims nennt Hintergründe.

Christel Loss hat im Zweiten Weltkrieg gekämpft, fährt in ihrem Rollstuhl auf Demos mit, um gegen Pegida zu demonstrieren und hat mit Willy Brandt zu Mittag gegessen. Nun lebt die 93 Jahre alte Frau im Duisburger Awo-Seniorenheim am Innenhafen und fühlt sich einsam: Wegen der Ausbreitung des Coronavirus dürfen ihre drei Kinder sie nur eingeschränkt besuchen.

Altenheime in Duisburg schränken wegen des Coronavirus Besuche ein

Im Altenheim riecht es nach Desinfektionsmittel. Die Wände sind rosa und gelb gestrichen. Christel Loss trägt kurze, weiße Haare und einen beigen Pullover, darüber eine Weste. Auf dem Esstisch im Zimmer liegen Illustrierte, die ihre Tochter vorbei gebracht hat. Auf einem kleinen Tisch neben ihrem Sessel: die Tageszeitung. „Die lese ich jeden Tag — von vorne bis hinten.“

Wenn sie das Seniorenheim aktuell verlassen will, muss sie sich abmelden und in eine Liste eintragen. Höchstens 30 Minuten darf sie wegbleiben, Angehörige dürfen nur eine Stunde lang vorbei kommen – unter der Woche von 13 bis 15 Uhr, am Wochenende von 11.30 bis 12.30 Uhr. Besucher müssen Handschuhe und Mundschutz anziehen, wenn sie ins Altenheim gehen.

Christel Loss fühlt sich fit, ist gerne aktiv und unter Leuten: „Vor Corona bin ich für drei Stunden ins Café gegangen. Das darf ich nicht mehr,“ beklagt sie. Insgesamt wohnen 82 Senioren in der Einrichtung. Zu ihnen hat sie aber wenig Kontakt. „Alle sind auf ihren Zimmern, auf den Gängen ist tote Hose.“ Sie fühle sich hier nicht wohl, das sei nicht ihre Heimat. „Ich bin Freiheit gewöhnt.“

Die Ausbreitung des Coronavirus sei mit dem Krieg nicht zu vergleichen, findet Loss. Während des Zweiten Weltkriegs musste sie nachts mit Scheinwerfern den Himmel nach Bombern absuchen. „Es gab ständig Alarm, wir hatten nur Milchsuppe zu Essen, die Millionen Toten.“

Im Seniorenheim gibt es kein WLAN

Um Kontakt zur Außenwelt zu halten, nutzt die Seniorin ihr Smartphone. Sogar ein eigenes Facebook-Profil hat sie. Loss nutzt ihr Smartphone, um Beiträge in Duisburg-Gruppen zu lesen. Wenn sie beim Kreuzworträtsel nicht weiterkommt, öffnet sie Google, um den Begriff zu finden. Ihre Familie sendet ihr über Whatsapp Nachrichten und Fotos. Aber sie kann nicht mehr gut sehen. Die Zeichen auf dem Smartphone sind zu klein für ihre Augen.

Deswegen haben ihre Kinder ihr ein Tablet geschenkt. Doch sie kann es nicht nutzen. „Ich zahle 2800 Euro im Monat für das Heim und es gibt kein WLAN." Ohne Internet bringt ihr das Tablet nichts. Sie habe das Geld für das Heim lange gespart, damit sie ihren Kindern nicht auf der Tasche liege.

Anke Loss, die Tochter von Christel Loss, stimmt mit ihrer Mutter überein: „Die Situation im Altenheim ist gerade wie im Knast." Noch schlimmer als die Beschränkung für Besucher sei allerdings, dass ihre Mutter nicht mehr wie gewohnt in die Stadt gehen dürfe. „Das ist schrecklich für sie." Früher sei sie viel spazieren gegangen oder habe Bekannte im Café getroffen. Das falle alles weg. „Unsereins kann die Zeit mit Netflix vertreiben. Das geht nicht im Altenheim."

Seniorenheim-Leiter Massold: Besuche komplett verbieten

Der Chef des Seniorenheims, Igor Massold, verteidigt die Maßnahmen. Er hat lange selbst in der Pflege gearbeitet, bevor er auf den Chefsessel wechselte. Hinter ihm hängt ein großes Poster des Boxers Mohammed Ali. Früher hat Massold selbst geboxt. „Ich mag Mohammed Alis Philosophie: Für die Schwachen da sein, nach vorne gucken und positive Stimmung verbreiten.“

Die verschärften Regeln im Altenheim, sagt er, dienten dem Schutz der Senioren. Er plädiert dafür, den Besuch im Altenheim komplett zu verbieten, „bis wir die Epidemie im Griff haben.“ Jeden Tag kämen Menschen in die Einrichtung, die von sich aus ihre Hände nicht desinfizierten. „Die Menschen gehen blind in die Einrichtung, ohne sich was sagen zu lassen.“

Den Bewohnern Abwechslung bieten

Gruppenangebote wie Bingo, Gedächtnistraining und Gymnastik finden nicht mehr wie gewohnt statt, weil Ehrenamtliche nicht mehr kommen dürfen. „Wir versuchen jetzt mit unseren Mitarbeitern die Angebote aufrecht zu erhalten. Möglichst Eins-zu-eins-Betreuung.“

Wie kann er den Bewohnern mehr Abwechslung bieten? „Wir tun hier, was für können“, sagt Massold. „Aber ich habe hier 82 Bewohner, aber nicht 82 Mitarbeiter, die sich rund um die Uhr um sie kümmern können.“