Duisburg-Neudorf. Die Duisburger Sängerin Anja Lerch ist der Überzeugung: „Musik stärkt das Immunsystem.“ Und so verlegt sie ihren Singabend kurzerhand ins Netz.

400 Leute passen normalerweise in den Steinhof, wenn die Duisburger Sängerin Anja Lerch zu einem ihrer beliebten Singabende lädt. Am Dienstagabend kann sie die Zuschauerinnen, die sie direkt sehen, an einer Hand abzählen: Es ist ihre Nachbarin Katja, die Fotografin Alexandra Roth und meine Wenigkeit, Fabienne Piepiora. Alle anderen rund 200 Zuschauer sitzen in ihren Wohnzimmern oder womöglich im Badezimmer und verfolgen das Online-Konzert via Facebook. Darunter meine Kollegin Annette Kalscheur, Hobbysängerin mit Sopranstimme und Kneipenchor-Mitglied. Das Bild steht, die Texte werden via Ipad nachgeschlagen, der Wein ist geöffnet, die Stimmung gut. Es ist ein besonderes Konzert in einer besonderen Zeit.

Duisburger Sängerin stellt E-Piano bei Nachbarin auf

Fotografin Alexandra Roth ist ziemlich textsicher – und feier mit Nachbarin Katja dieses sehr private Live-Konzert.
Fotografin Alexandra Roth ist ziemlich textsicher – und feier mit Nachbarin Katja dieses sehr private Live-Konzert. © RR | Foto: Fabienne Piepiora

„Ich hab ja gedacht, dass ich einfach auf den Knopp drücke und dann wird das schon“, erzählt Anja Lerch, für die Musik eine gute Möglichkeit ist, den Krisenmodus ein paar Minuten anzuhalten. „Ich wünsche mir einen fröhlichen Abend.“ Weil bei ihr zu Hause die Technik streike, hat sie ihr E-Piano kurzerhand in einem der Nachbarhäuser aufgestellt. Darauf liegt eine Orange, gespickt mit Nelken: „Das ist mein Coronavirus“, scherzt Anja Lerch.

Bewohnerin Katja hat Disco-Beleuchtung installiert, der Gatte muss arbeiten und klinkt sich irgendwann in den Familienchat ein, als er das Konzert live sieht: „Wer sind die ganzen Leute in unserem Wohnzimmer?“, fragt er überrascht. Alles halb so wild natürlich, selbst die anderen Nachbarn des etwas hellhörigen Altbaus können sich mit der Aktion anfreunden – nur Hund Bruno findet die ganze Sache gar nicht lustig, der Labrador würde am liebsten toben und mitsingen. Nun ist er im Nachbarzimmer eingesperrt, damit Anja Lerch in Ruhe musizieren kann.

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Die legt los mit „Volare oh, oh“ und „Karma Chamäleon.“ Viele wollten auch unbedingt etwas von Abba hören. „Mamma Mia“ ist zum Beispiel dabei. Anja Lerch hält bei ihren Ansagen kurz ihr Ipad, das den nächsten Titel verrät, in die Kamera. „Es ist schon ein bisschen komisch, wenn man die Zuschauer gar nicht sehen kann.“ Die virtuellen Herzen fliegen ihr aber scharenweise zu. „So toll, dass du das machst“, schreibt einer. Eine andere Nutzerin hat sich extra für das Konzert bei Facebook angemeldet. Die Betreiber des Accounts „Kulturspielhaus Rumeln“ loben: „Tolle Auszeit von allem gerade. Neue Zeiten, neue Möglichkeiten.“

Online-Grüße auch in die Niederlande

Reporterin Annette Kalscheur singt selbst im Kneipenchor und verfolgt das Konzert im heimischen Wohnzimmer. Die Stimmung ist gut.
Reporterin Annette Kalscheur singt selbst im Kneipenchor und verfolgt das Konzert im heimischen Wohnzimmer. Die Stimmung ist gut. © RR | Foto: Annette Kalscheur

Die Zuhörer kommen nicht nur aus Duisburg, Anja Lerch grüßt auch nach Mülheim, nach Holland oder an den Niederrhein. In ihrem Wohnzimmer sitzt derweil Annette Kalscheur mit einer Freundin. Das letzte Mal, dass sie bei einem der Singabende dabei war, ist etwa ein Jahr her. „Aber Anja ist online genauso authentisch und sympathisch wie live.“ Sie findet: „Auch in Zeiten von Corona darf man Spaß haben.“

Eine Freundin hat dennoch kurzfristig abgesagt und sich in häusliche Quarantäne begeben. Die andere, die nun mit ihr die Lieder anstimmt, sieht sie ohnehin regelmäßig beim Sport. Sie halten eine Fernseherlänge Abstand und haben jede Menge Spaß. „Die Musicalstücke sind ehrlich gesagt nicht so meins. Aber ,Shallow‘ war toll. Das proben wir nämlich gerade mit dem Kneipenchor“, erklärt die Reporterin, die sich derzeit tagtäglich mit dem Thema Corona auseinandersetzt.

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„Beim Singen kann man mal alles vergessen.“Fünf Konzerte von Anja Lerch wurden für die nächste Zeit abgesagt. „Wie es danach weiter geht, weiß ich noch nicht. Aber vielleicht wiederhole ich so ein Konzert nochmal, dann in meinem Garten“, denkt sie schon an die nächsten Wochen. „Muddi ist am Start.“ Einer der letzten Song könnte besser nicht passen – es ist Abba: „Thank you for the music.“