Duisburg. Birgitt Keens leitete 27 Jahre lang das Mannesmann-Gymnasium in Duisburg- Süd. Danach hat sie sich in der Marxlohner Regenbogenschule engagiert.

Nach 31 Jahren am Mannesmann-Gymnasium in Huckingen, davon 27 als Schulleiterin, hatte Birgitt Keens noch nicht genug. An der Grundschule Ottostraße in Marxloh, der „Regenbogenschule“, hat sie Förderunterricht in Deutsch erteilt. „Das ist eine andere Welt. Es war eine echte Herausforderung“, sagt die Pädagogin über ihre Erfahrungen an einer Schule, die fast ausschließlich von Kindern mit Migrationsgeschichte unterrichtet.

Verstärkung vom Gymnasium: Haris Kondza
ist Schulleiter der GGS Ottostraße, der Regenbogenschule in Marxloh.
Verstärkung vom Gymnasium: Haris Kondza
ist Schulleiter der GGS Ottostraße, der Regenbogenschule in Marxloh. © FUNKE Foto Services | Foto: Fabian Strauch

„In einer solchen Grundschule würde ich gern mal eine Zeit lang aushelfen“, hatte sie im Sommer 2018 schon bei ihrem Abschiedsgespräch mit dieser Zeitung angekündigt: „Ich möchte etwas sinnvolles tun.“ Nach kurzer Suche, einem Gespräch mit Schulleiter Haris Kondza, Hospitation und Probestunden war schon wenig später klar: Es könnte gehen. Ihre erste Erkenntnis: „Bei einem Migrantenanteil von 96 Prozent fängt der Lehrer an einer ganz anderen Stelle an.“

Schulreife scheitert an der Sprache

Natürlich war auch die Grundschule für Birgitt Keens kein Neuland. Zu ihren Aufgaben am Gymnasium gehörte die Übergangsberatung in den Grundschulen im Süden – keine problemfreie, aber vergleichsweise heile Welt. Auch mit zugewanderten Schülern hat sie Erfahrung – eine internationale Vorbereitungsklasse hatte auch das „Mannesmann“. Zu erkennen, wie groß der Rückstand ist, mit dem Kinder an der Marxloher Grundschule an den Start gehen, hat sie dennoch überrascht, „Schulreif zu sein, was heißt das eigentlich“, fragt sie.

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Frühkindliche Bildung fehlt den meisten Schülern

Weil die frühkindliche Bildung im Kindergarten bei den meisten ebenso fehlt wie der Kontakt mit deutschen Kindern, sind nicht nur die Sprachdefizite erheblich: „Dass ein Baum eine Rinde hat, muss im vierten Schuljahr noch erklärt werden.“ Der erste Schultag nach den Ferien sei deshalb oft auch ein sprachlicher Neustart gewesen, berichtet Keens: „Danach war alles wieder weg.“

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Ihre Hochachtung gilt den Kollegen: „Ich bewundere alle, die dort arbeiten, um das Beste aus der Situation zu machen.“ Die Voraussetzungen für erfolgreiche Arbeit biete die Schule, nicht aber das Quartier: „Es war für mich ein Schock.“ Die Bildungsferne der Eltern führe zu einer täglichen Belastung des Schulalltags: Kinder die verspätet oder erst gar nicht zum Unterricht erscheinen, oft ohne Frühstück, muslimische Grundschüler, die während des Ramadan von ihren Eltern angehalten werden, zu fasten: „Die Regeln in der Schule und zu Hausen hatten oft nichts miteinander gemeinsam.“

Größerer Lernerfolg in kleineren Gruppen

Die Regenbogenschule hat einen Migrationsanteil von fast 100 Prozent. Das Bild entstand im vergangenen Jahr im Unterricht mit Lehrerin Jessica Beerbaum.
Die Regenbogenschule hat einen Migrationsanteil von fast 100 Prozent. Das Bild entstand im vergangenen Jahr im Unterricht mit Lehrerin Jessica Beerbaum. © FUNKE Foto Services | Foto; Fabian Strauch

Was kann diese Situation ändern? Kleinere Lerngruppen, zusammengestellt nach dem Leistungsstand der Schüler, bringen größeren Lernerfolg, sagt Keens: „Diesen Luxus hatte ich in meinem Unterricht.“ Dazu brauche es mehr Personal – doch das sei nicht die alleinige Antwort: „Die Schulaufsicht muss konsequent gegen Schulpflichtverletzungen vorgehen“, fordert Birgitt Keens. Sie packt der Zorn, „wenn Eltern die Chance nicht nutzen, die ihren Kindern geboten wird. Da muss Druck aufgebaut, die Schulpflicht zur Not auch mit Sanktionen durchgesetzt werden. Bei der Durchsetzung staatlicher Autorität sind wir zu tolerant.“

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Zusätzliche Belastungen für die Brennpunktschulen dürfe es nicht geben: „Es kann nicht sein, dass sie jetzt auch noch Kinder mit Förderbedarf aufnehmen müssen.“ Auch eine Vergrößerung sollte unterbleiben, empfiehlt die langjährige Schulleiterin: „Je mehr Problemfälle, desto schwieriger ist das System zu führen.“ Zeit zu verlieren gebe es dabei nicht: „Wir müssen darüber nachdenken, was wir machen müssen, um diese Generation nicht zu verlieren.“

Für die einstige Schulleiterin war dieses Engagement viel mehr als eine pädagogische Grenzerfahrung: „Ich habe unglaublich viel gelernt und zu den Kindern sehr schöne Beziehungen aufgebaut. Es war sehr schade, zu gehen.“ Eine Pause musste aber sein – ein Umzug stand an. Bald ist die letzte Kiste ausgepackt. Geht’s dann nochmal wieder in die Schule. „Es ist nicht ausgeschlossen“, sagt Birgitt Keens.