Duisburg. Wie geht man mit dem ersten Weihnachtsfest im Rollstuhl um? Eine Pfarrerin erzählt, wie in der Duisburger Unfallklinik gefeiert wird.
Auf der Station der Rückenmarkverletzten in der Duisburger Unfallklinik gibt es viele Patienten, die wirklich Schlimmes erlebt haben in dem Jahr, das sich nun langsam dem Ende zuneigt. Da wird die Schülerin behandelt, die einen Snowboardunfall hatte und nun ihre Beine nicht mehr spürt. Und es gibt eine anstrengende Therapie und ein Rollstuhltraining für den fast 90-Jährigen, der unglücklich fiel und nur langsam versteht, dass er nicht mehr aus eigener Kraft aufstehen wird. Karin Holdmann, die evangelische Pfarrerin und Klinikseelsorgerin, geht auf der Station ein und aus. Und weiß, wie sich Weihnachten im Krankenhaus anfühlt.
„Ich komme schon früh auf die Intensivstation und baue Kontakt zu solchen Patienten kurz nach dem Unfall oder der Erkrankung auf, wenn sie noch beatmet sind und nicht sprechen können“, sagt sie, „dazu benutze ich eine Buchstabentafel.“ Sie bekommt die kleinen Veränderungen mit, die den Patienten Hoffnung geben, dass ihr Leben nicht ganz verschwunden ist. Wieder spontan atmen, ohne Schlauch im Hals. Das erste Mal ein eigenes Kleidungsstück tragen, statt OP-Hemd. Aufrecht sitzen. Aus dem Bett rauskommen und über den Flur fahren.
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Klinikseelsorgerin berichtet: Manche fallen in ein tiefes Loch
Viele dieser Veränderungen stellen sich nicht von selber ein, sie sind hart erarbeitet. Die Klinikseelsorgerin und vor allem die Ergotherapeutin Ina Schwarze sind dabei, wenn die Menschen Stück für Stück versuchen, mit ihren neuen Lebensumständen zurecht zu kommen. „Hier gibt es wenig Smalltalk, man kommt ganz schnell zum Eingemachten“, sagt Schwarze. „Werde ich je wieder tanzen, laufen, meine Blase kontrollieren können?“ fragen die Patienten. Die Therapeutin antwortet einfühlsam, aber ehrlich. „Ganz viele Patienten schaffen es, die neue Situation bewundernswert zu meistern, aber es gibt auch welche, die in ein ganz tiefes Loch fallen“, sagt sie.
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Es wird viel gefrotzelt und gelacht in den Therapiestunden, der Sarkasmus kommt zum Vorschein. Der Galgenhumor braucht einen Platz, ganz ohne Bitterkeit geht es nicht, wie Schwarze weiß. Im Büro der Klinikseelsorgerin steht ein Engel aus einem Holzscheit, Gips und Draht. Den hat eine Patientin in der Ergotherapie gemacht und der Pfarrerin geschenkt. Der ist auf das Wesentliche reduziert, für Kitschiges und Rosiges war an dem rauen Burschen kein Platz, genauso wenig wie im Leben der Patienten.
Das erste Weihnachtsfest im Rollstuhl
Das erste Weihnachtsfest im Rollstuhl kommt von ganz allein auf einen zu, ob man will oder nicht, daran kann man nichts machen. Aber wie sich das anfühlen wird, kann man vorher nicht wissen. „Viele Patienten ziehen in diesen Tagen eine innere Bilanz, sie denken darüber nach, wie sie früher Weihnachten gefeiert haben, und was sich nun alles für sie verändert hat“, sagt Karin Holdmann.
Im Aufenthaltsraum der Rückenmarksverletzten halten Holdmann und Schwarze am Heiligen Abend einen Weihnachtsgottesdienst. Bis zu der Kapelle, die außerhalb des Hauptgebäudes liegt, könnten nicht alle kommen. Deshalb kommt Weihnachten zu ihnen auf die Station. Da wird es richtig voll. Manche Gottesdienstbesucher liegen noch fest im Bett, andere rangieren schon im Rollstuhl umher. Die Verwandten kommen und feiern mit.
Raum lädt sich mit besonderer Stimmung auf
In allen Patientenzimmern sieht Holdmann Adventskalender oder kleine Weihnachtsdekorationen. „Weihnachten ist für uns alle eine besondere Zeit, ganz gleich, wie religiös wir sind“, sagt sie. Schwarze spielt Flöte und singt, und sie bringt Jahr für Jahr zwei Musikerkollegen mit. Wenn die im Gottesdienst zusammen musizieren, öffnen sich die Schleusen. Manche Leute können endlich weinen. Andere halten sich bei den Händen. Manche bedanken sich für die Unterstützung ihrer Angehörigen. Andere sind einfach glücklich über alle Teile ihres Lebens, die sie sich selber zurück holen konnten.
Wo der ganze äußerliche Schnickschnack seine Bedeutung verloren hat, da lädt sich der Raum mit einer besonderen Stimmung auf. Von der wollen auch die etwas mitnehmen, die selber nicht betroffen sind. Das Pflegepersonal und die diensthabenden Ärzte stehen in der Türe – wenigstens bis zur nächsten Schelle oder dem nächsten Piepersignal aus dem OP.
Es gibt sogar Anwohner, die treu jedes Jahr dabei sind. Alle, die diesen besonderen Weihnachtsgottesdienst geteilt haben, grüßen sich nachher, wenn sie sich auf den Fluren über den Weg laufen oder fahren, als spürten sie eine neue Verbundenheit. „Für mich wird es erst Weihnachten, wenn wir diesen Gottesdienst gefeiert haben“, sagt Schwarze.