Duisburg. In Duisburg gibt es immer weniger Metzger: nur 15 sind es noch. Um zu überleben, setzen sie auch auf ungewöhnliche Ideen – wie veganes Essen.

Vor ein paar Jahrzehnten gab es in Duisburg noch um die 420 Metzgereien, heute zählt die Innung gerade noch 15 – Tendenz abnehmend. Ende des Jahres schließt mit Diel in Bissingheim der nächste Traditionsbetrieb. Seit fast 35 Jahren hat in der Stadt kein neuer Metzger mehr eröffnet, der letzte war Ganzenmüller 1985. Damit bildet Duisburg einen bundesweiten Trend ab: Jedes Jahr schließen mehr Fleischereien, als neue eröffnen. Wer weiter bestehen will, muss sich etwas einfallen lassen. So setzen gestandene Fleischereien auf einmal auf Veganes.

Die Metzgerei Simon Berns hat überlebt. Sie ist die älteste Fleischerei der Stadt, seit 1870 in Familienbesitz – da wurde Deutschland noch vom späteren Kaiser Wilhelm I. regiert. Seit fast 150 Jahren geht das Geschäft am Sonnenwall mit der Zeit. Der jüngste Beweis: Ein Steak-Automat, den die Inhaber 2018 im benachbarten Mülheim-Speldorf aufstellten. Seitdem gibt’s dort Fleisch, Wurst und Grillwaren rund um die Uhr und auf Knopfdruck wie sonst Kaugummi.

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Juniorchefin Annett Simon steht seit 15 Jahren hinter der Theke der Traditionsmetzgerei Simon Berns in Duisburg.
Juniorchefin Annett Simon steht seit 15 Jahren hinter der Theke der Traditionsmetzgerei Simon Berns in Duisburg. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Im Laden selber gibt es alles von Huhn bis Wild, von Schnitzel bis Filet. Die Auslage kredenzt auch Waren, die sich vom Massenangebot abheben: Innereien und Bries vom Kalb sind immer vorrätig, zur Adventszeit gibt es Eigenkreationen wie Schinkenwurst mit Cranberries und Walnüssen oder Tonkabohnen-Pistazien-Salami. „Zu uns kommen die Leute, wenn sie etwas Besonderes möchten“, sagt Juniorchefin Annett Simon. Hausgemacht ist jede einzelne Wurstscheibe in der Auslage – bis auf Spezialitäten wie Parma- oder Serranoschinken, deren Namen sind geografisch geschützt.

Simon Berns: Kunden der Duisburger Metzgerei kommen extra aus Köln

Es sind vor allem Stammkunden, die hier zugreifen. Und die für den Einkauf beim Metzger in Duisburg weite Wege in Kauf nehmen: „Wir haben Leute, die von hinter Köln kommen für ihren Monatsbedarf“, sagt Annett Simon. Doch solche Kunden sind die Ausnahme – hier wie bei allen Fleischereien.

Fachleute nennen es verändertes Konsumverhalten: Supermärkte und Discounter haben längst die Metzgereien als Haupteinkaufsquelle für Essbares vom Tier abgelöst. Bis auf eine eins hinter dem Komma haben deutsche Privathaushalte im Jahr 2018 Würstchen, Steaks und Aufschnitt zu 70 Prozent fertig abgepackt aus den meterlangen Kühltheken der Ketten gegriffen. Seit 1990 hat sich dieser Anteil mehr als verdoppelt, hat der Deutsche Fleischer Verband (DFV) ermittelt.

Jedes Schnitzel, jedes Filet, das beim Discounter an der Kasse liegt, ist eines, das beim Metzger um die Ecke weniger verkauft wird. Annett Simon bestätigt den Eindruck, den die Zahlen des DFV vermitteln: „Das Kaufverhalten der Kunden besonders in den letzten zehn, 15 Jahren, hat sich stark verändert. An Wochenenden gehen die Leute essen, statt für den Sonntagsbraten einzukaufen. Unter der Woche kaufen sie belegte Brötchen statt Aufschnitt für die Mittagspause.“

Simon Berns kocht ganze Menüs zum Mitnehmen – Convenience vom Metzger

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Bequemlichkeit lautet das Stichwort – unter dem neudeutschen Begriff Convenience ein Trend; nicht nur im Supermarktregal, sondern auch beim Fleischhandwerker. Eine Entwicklung, die auch die Metzgerei Simon Berns bedient: Einen Mittagstisch serviert sie schon seit Jahren, zu Weihnachten und Ostern bietet das Geschäft „fix und fertig“-Menüs an: Die Mitarbeiter kochen, die Kunden müssen das gekaufte Mahl nur noch aufwärmen – vorbereitet sind Sauerbraten oder Rinderrouladen, Kalbsgeschnetzeltes und Sahnewirsing, Apfelrotkohl und Kartoffelgratin. Simon Berns hat für solche Bestellungen ein Stockwerk über der Auslage mit Fleisch und Wurst eine komplette Küche eingerichtet. Neben privaten Kochmuffeln beliefert das Geschäft auch Firmen zum Mittagessen, für Besprechungen oder Events, auf Wunsch auch mit veganem Essen – vom Metzger.

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„Man muss sich vom normalen Metzger abheben, man muss interessant bleiben“, sagt die Juniorchefin, die seit 15 Jahren im Geschäft steht. Neue Ideen eröffnen neue Geschäftsfelder, dank ihnen bleibt der Umsatz des Traditionsgeschäftes stabil: Sie gleichen den rückläufigen Ladenumsatz aus. Knapp 16,9 Milliarden Euro betrug der Umsatz der Metzgereien in Deutschland 2018; pro Betrieb im Schnitt 1,42 Millionen Euro. Immer mehr Stücke von Rind und Co. allerdings gehen nicht mehr als Ribeye oder sonstige Cuts über die Theke, sondern werden außer Haus verkauft: Liefergeschäft, Imbiss und Catering machten im vergangenen Jahr zusammen 18,4 Prozent des Metzgereiumsatzes in Deutschland aus.

Jeder Deutsche isst im Schnitt 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr

Dabei essen die Deutschen, Vegetariern und Veganern zum Trotz, immer noch 60 Kilogramm Fleisch pro Kopf und Jahr. Dennoch gibt es immer weniger Metzgereibetriebe. Die Fleischerei ist ein aussterbendes Handwerk.

Dafür ist nicht nur das Einkaufsverhalten der Kunden verantwortlich, sondern auch die andere Seite der Ladentheke: Es gibt immer weniger Nachwuchs. Ob als Fleischer oder als Fleischereifachverkäufer: Im Jahr 2000 erreichte die Anzahl der Ausbildungsplätze bundesweit noch fast die 10.000er-Schwelle, acht Jahre später gab es weniger als 3000 neue Azubis. Der Fachkräftemangel ist spürbar, oft kommen neue Angestellte von alten Kollegen, die ihren Betrieb aufgegeben haben.

Fleischereien finden immer weniger Mitarbeiter und Azubis

Zwischen 25 und 30 Mitarbeiter beschäftigt die Duisburger Metzgerei Simon Berns. Die meisten davon arbeiten viele Jahre hier – so wie Elfriede Viehmann.
Zwischen 25 und 30 Mitarbeiter beschäftigt die Duisburger Metzgerei Simon Berns. Die meisten davon arbeiten viele Jahre hier – so wie Elfriede Viehmann. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Zwischen 25 und 30 Mitarbeiter schneiden und verkaufen bei Simon Berns Fleisch und Wurst, „die meisten sind schon ewig hier“, sagt Annett Simon. „Jemanden zu finden, wird immer schwieriger.“ Für die Produktion hat sie zurzeit einen Azubi, ab September, wenn er fertig wird, hätte sie gerne einen neuen. Ob sie einen finden wird? Fraglich. Der Azubi für den Verkauf ist schon fertig; einen neuen hat sie nicht gefunden. Die Gründe? „Es ist ein Handwerk, es ist körperlich anstrengend“, sagt Annett Simon, das schrecke viele ab. Hinzu kämen Eltern, die ihrem Nachwuchs mit auf den Schulweg geben: Ich habe so viel geschuftet, Du hast das nicht mehr nötig. Die Samstagsarbeit mache den Beruf nicht unbedingt attraktiver, auch das Gehalt spiele eine Rolle.

Metzger wollen mit Kinowerbung Nachwuchs gewinnen

Dabei arbeiten die Metzger an ihrem Ruf: Auf dem Internetportal fleischerberufe.de informiert der Deutsche Fleischer Verband über Jobs vor und hinter der Ladentheke, der Blog gutergenuss.de soll das Image auch außerhalb der Branche aufpolieren, neben Großplakaten auf den Straßen schaltet der Verband für seine Mitglieder sogar Kinowerbung.

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Dennoch wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis in Duisburg wieder ein Metzger dichtmacht. Um ihr eigenes Geschäft macht Annett Simon sich dabei weniger Sorgen; die Rente ist für die Juniorchefin noch weit weg. Ihre Hoffnung ist, dass nicht nur ihr Laden bleibt, sondern das ganze Handwerk, dass es eine Zukunft hat. Mut macht ihr eins: „Wir haben auch ganz viele junge Leute, die bei uns einkaufen.“ Und die das Einkaufen beim Metzger an die nächste Generation weitergeben. Damit Kinder auch in Zukunft in Duisburg noch die Frage hören: „Möchtest Du eine Scheibe Fleischwurst?“

Das Handwerk in Zahlen

Eine Metzgerei in Deutschland hat aktuellen Zahlen des Deutsche Fleischer Verbands zufolge im Schnitt 11,7 Mitarbeiter. Jeder von ihnen erwirtschaftet durchschnittlich 121.000 Euro pro Jahr. Rechnet man diese Zahlen auf die Metzgerei Simon Berns hoch, würde sie einen Umsatz zwischen 3 und 3,6 Millionen Euro im Jahr erbringen.

Von den knapp 12.000 sind 1644 in NRW. 15 sind in Duisburg in der Fleischerinnung gelistet – nach der Schließung von Diel in Bissingheim Ende des Jahres werden es noch 14 sein.