Duisburg. Nach Skandalen und interner Kritik: Die Mitarbeiter der Duisburger Werkstatt für Menschen mit Behinderung wehren sich. Ein Ortsbesuch.
Die Sanierung des Daches ist fast vollendet, auch der Sanitärbereich soll bis zum Ende des Jahres in neuem Glanz erstrahlen: Baulich tut sich gerade einiges in der Duisburger Werkstatt für Menschen mit Behinderung am Kalkweg in Neudorf. Nach dem Skandal um die ehemalige Geschäftsführerin und heftiger Kritik aus den eigenen Reihen bewegt sich aber auch drinnen, bei den Mitarbeitern, einiges. Ein Ortsbesuch.
Die letzten 14 Monate hatten es in sich: Die ehemalige Geschäftsführerin Roselyne Rogg wurde ihres Amtes enthoben, in wenigen Wochen wird sie sich einem Zivilprozess stellen müssen, die Werkstatt verlangt von ihr über 750.000 Euro zurück. Ob es auch einen Strafprozess geben wird, ist noch immer offen. Nach einer Interimslösung ist Alexander Schmanke seit vier Monaten der Chef für rund 1100 Menschen mit Behinderung und 220 Fachkräfte.
Mitarbeiter: Leistungsdruck nicht zu hoch
Mit wem man auch redet: Alle betonen, dass mit der neuen Geschäftsführung eine neue Ära angebrochen sei, der man eine Chance geben wolle. Unter Rogg habe es Drohungen und Druck gegeben, eine „schwere Zeit“ nennen sie das.
In jeder Abteilung warten Mitarbeiter darauf, ihre Meinung zu sagen. Sie alle hatten gelesen, dass sich Mitarbeiter bei unserer Redaktion beklagt hatten über zu hohen Leistungsdruck, über krank machende Zustände. Mit dem Wort „Sklaventreiber“ wurden Teamleiter bezeichnet, selbst Hygienemängel wurden beklagt. Stefan Zannoth kann die Kritik nicht teilen, er entgegnet, dass „es hier nicht ist wie in der JVA ist. Wir sind krank und es ist gut, dass es sowas für uns gibt.“ Dann setzt er sich wieder an seinen Arbeitsplatz, wo Steckdosen zusammengebaut werden.
In der Schneiderei, die wegen des Arbeitsdrucks besonders in der Kritik stand, lobt Dimitris Georgious, dass das Klima „in Ordnung ist, jeder ist für jeden da, wir bekommen viel Hilfe“. Und Elia Pektas ergänzt: „Was wir schaffen, schaffen wir, da gibt es keinen Druck.“
Jean Luzolo blickt kaum von seiner Nähmaschine auf, er nickt nur bestätigend. Was er mache, mache er gern, auch als Model die Kleidung präsentieren.
„Ich bin hier echt glücklich!“
Eine 16-Kilo-Industriewaschmaschine läuft, die Heißmangel und die Bügelstation qualmen. Hier arbeitet Helga Hermes. Die 52-Jährige ist im Werkstattrat aktiv und Frauenbeauftragte der Werkstätten. Über die Berichterstattung war sie entsetzt. Solche Probleme seien bei ihr nicht gelandet, sie kläre Streits zu Arbeitszeiten, Ärger direkt mit den Gruppenleitern. „Wenn man Menschen mit unterschiedlichen Krankheitsbildern zusammensteckt, passt das halt nicht immer“, sagt Helga Hermes, ergänzt aber auch: „Ich bin hier echt glücklich!“
In der freien Wirtschaft – sie nennt diese Welt „draußen“ – habe sie viel Pech gehabt. In der Werkstatt könne sie in ihrem Tempo arbeiten, „alle haben hier Verständnis für mich, für uns!“
Ein paar Türen weiter, in der Konfektionierung, werden gerade Bienenwachspellets in Dosen abgefüllt. Ralf Heuken hat den Pressebesuch erwartet. Er arbeitet seit 13 Jahren in der Werkstatt, hat hier Freunde gefunden und ärgert sich über Kritik an den Gruppenleitern, an der Arbeit. „Wir sind Außenseiter der Gesellschaft“, sagt der 52-Jährige und man merkt ihm die Dankbarkeit an, in der Werkstatt eine Aufgabe gefunden zu haben. Der Mann mit der zupackenden Art fühlt sich oft „in falsche Schubladen“ gesteckt. Dabei seien bei Sepos viele vielseitig begabte Menschen, „manche brauchen eben nur mehr Zuspruch“.
Unterschiedliche Interessen von Mitarbeitern und Kunden
Das beobachtet auch Gruppenleiter Norbert Brächter, gern hätte er mehr Zeit für Gespräche mit seinen Leuten. „Eigentlich sind unsere Mitarbeiter unsere Kunden. Aber die Auftraggeber sind es auch“, erklärt er den Zwiespalt zwischen Leistungsvermögen und Abgabeterminen. Er weiß aber auch: „Bei psychisch Kranken kann ich keinen Druck machen, die klappen mir sonst zusammen.“
Brächter ist froh, dass es eine neue Geschäftsführung gibt. Allerdings sei Roselyne Rogg nur die Spitze des Eisbergs gewesen. „Es hätten mehr gehen müssen.“
In der kritisierten Teilfertigung für Schwerstmehrfachbehinderte
All diese Überlegungen interessieren in der Teilfertigung nicht. Im Bereich für die Schwerstmehrfachbehinderten geht es nicht um Stückzahlen, Auftragserfüllung, Termine. Ein blinder Mann sitzt im eigens für ihn geschaffenen Bällebecken, wo er sicher und entspannt wirkt, ein anderer wird Bissen für Bissen gefüttert, Wasser bekommt er mit einer Spritze in den Mund geträufelt. Eine Frau sortiert Kleinteile fleißig vor sich hin. Über 80 Prozent können nicht reden, erklärt Elke Krassow. Die 58-Jährige arbeitet seit 20 Jahren mit den Menschen mit Mehrfachdiagnosen und möchte nirgendwo anders hin. „Hier gibt es keine großen Schritte, wir freuen uns schon über ein kleines Lächeln.“
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„wie sklaventreiber“- kritik an werkstatt für behinderteÜber ihren Bereich wurde die Kritik geäußert, dass Küchen auseinanderfallen, Pflegemittel alt wären und Urinflaschen nicht ausgetauscht würden. Der Eindruck bestätigt sich vor Ort nicht. Alles wirkt gepflegt, sorgsam durchdacht für die verschiedenen Bedürfnisse. Hier sollen sich Menschen mit ihren unterschiedlichsten Einschränkungen wohlfühlen und eine gute Zeit haben. Am Ende auch, um etwa die Eltern zu entlasten, bei denen viele der „Mitarbeiter“ leben. So werden alle hier genannt – unabhängig von ihren Einschränkungen, ihrem Leistungsvermögen. Dabei sein ist alles.
Behindertenwerkstatt zahlt ab Januar mehr Gehalt
Letzte Station: die Kantine. Es gibt Hähnchenschenkel und Ofenkartoffeln. Tugba Akdeniz nutzt die Gelegenheit, ihr Lob über den Job mit der Bitte nach mehr Gehalt zu verknüpfen. Ein Thema, das Schmanke auf dem Schirm hat und sukzessive anpackt. Ab dem 1. Januar soll jeder Mitarbeiter zehn Euro monatlich mehr bekommen, in der Endstufe seien es 40 Euro mehr. „Das ist und bleibt nicht vergleichbar mit einem echten Gehalt“, sagt er bedauernd, „sie werden weiter von Grundsicherung abhängig bleiben.“
Schmankes erklärtes Ziel ist es, sich besser in Duisburg und der Region zu vernetzen, „da war die Werkstatt etwas allein unterwegs“. Arbeit will er auch in die Kundenakquise stecken – nicht zuletzt um Monotonie in den Werkstätten zu verhindern. Mancher Auftraggeber zögere wegen der „alten Geschichte“, andernorts ernte er aber auch Vorschusslorbeeren. Darauf will er aufbauen, damit die Werkstatt für Menschen mit Behinderung am Ende wieder als anerkannter Bildungsträger und Kompetenzzentrum gilt.
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Schmanke selbst hat während der Einarbeitung kein System erkannt, das man auflösen müsste. Die rechtliche Auseinandersetzung werde er natürlich beobachten. Und da in der Vergangenheit mehr die öffentlichkeitswirksamen Label und Zertifikate im Fo kus standen, will er eher „den Blick nach innen“ stärken.
Was sicher gut ist, denn nach dem Ortstermin landet die Nachricht eines Mitarbeiters in der Redaktion, der behauptet, für mehrere zu sprechen. Er beklagt, dass es manchen Mitarbeitern nicht gut gehe, sie es aber nicht wagen würden, Kritik zu äußern, weil es für sie keine Beschäftigungsalternative gebe. Ein Problem, das die WfbM allein auch nicht ändern kann.
Das steht in den nächsten Monaten an:
•Der Werkstattrat soll weiter darin bestärkt werden, autonom zu arbeiten. Zuletzt war der Eindruck entstanden, dass den Gewählten nicht genug Raum und Freiheiten gelassen wurde. Künftig soll der Werkstatt selbstbestimmter arbeiten.
•An der Betriebsstätte Kalkweg soll ein zusätzlicher Bereich für die Berufsbildung, ein weiteres Sprungbrett, entstehen. Dafür wird ein riesiges Lager umgebaut, das mit größeren Fenstern, Umkleiden und Sanitärbereich ausgestattet werden muss.
•Am Standort Röttgersbach soll der Bereich für Schwerstmehrfachbehinderte ausgebaut werden.