Duisburg. Wochenlang wurde der Stahlkoloss aus Einzelteilen zusammengesetzt: Seit Donnerstag wird die neue Eisenbahnbrücke in Duisburg exakt eingesetzt.
Nun hängt alles vom Feingefühl in den Fingern von Mathijs Verheijen ab. Mit seinen Daumenkuppen bedient der Transportarbeiter (26), der bei einem Spezialunternehmen im niederländischen Breda beschäftigt ist, die beiden Hebel seiner voluminösen Fernbedienung. Damit steuert er die Modulfahrzeuge, die den 1600 Tonnen schweren Stahlkoloss in Zeitlupentempo auf den Ruhrschifffahrtskanal zubewegen.
Um die neue Eisenbahnbrücke über die Wasserstraße in die exakt richtige Position zu bringen, sind Geduld und millimetergenaue Präzisionsarbeit gefragt. In der Nacht auf Samstag soll das Mammutprojekt, dessen Planung bereits vor vier Jahren begonnen hat, einen positiven Abschluss finden.
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Donnerstagmittag in Duissern, 13 Uhr, Dauerregen: Mehmet Catikkas bittet in einen der Baucontainer, die hier auf einem Feld am Rande der Dörnerhofstraße in der Nähe des Autobahnkreuzes Kaiserberg aufgestellt sind. Der Projektleiter der Deutschen Bahn hat Fotos und Baupläne an einer der Wände aufgehängt. Und bevor es hinüber zur Brücke geht, die in den vergangenen Wochen von Tag zu Tag mehr Gestalt angenommen hat, will er noch ein paar Fakten loswerden. „Mit 134 Metern Länge, fast 15 Metern Höhe, über acht Metern Breite und einem Gewicht von knapp 1600 Tonnen ist das die zweitgrößte Brücke ihrer Art in Deutschland“, zählt Catikkas auf. Und während der sechswöchigen Sperrung der Bahnstrecke zwischen Essen und Duisburg in den Sommerferien ist dies das größte Einzelprojekt auf hiesigem Stadtgebiet.
Einzelteile der neuen Brücke mit 40 Schwertransportern angeliefert
Der Diplom-Ingenieur genießt hier auf dieser Baustelle sein „Heimspiel“, denn der 47-jährige Catikkas ist selbst ein Duisburger und lebt in Buchholz. Das imposante Brückenbauwerk, das sich da in den grau-verhangenen Himmel erhebt, besteht aus rund 100 Einzelteilen. Diese wurden mit 40 Schwertransporter-Touren aus Polen herbei transportiert. Und wie bei einem überdimensionalen Puzzlespiel wurden sie nach und nach verschweißt und zu einem großen Ganzen zusammengefügt. Und da thront sie nun auf den knallroten Stapeltürmen aus Stahl: die fertige Brücke.
Die Schauer wollen und wollen nicht aufhören. „Der Regen stellt für uns aber kein Problem dar“, sagt Catikkas. „Schlimmer wären für uns starke Windböen ab 50 km/h. Dann müssten wir die Arbeiten aus Sicherheitsgründen unterbrechen.“ Doch dazu kommt es nicht.
Präzisionsarbeit auf der Stadtgrenze zwischen Duisburg und Mülheim
Hinüber zur Brücke. Von dort aus fällt der Blick auf die klaffende Lücke, die sich über dem Ruhrschifffahrtskanal derzeit auftut. Dort dienten bislang eine kleinere, etwa 40 Meter lange Brücke, die über die Landstraße Ruhrdeich führte, sowie eine zweite längere, rund 80 Meter lange Brücke über den Kanal als Querungsmöglichkeit für den Zugfernverkehr zwischen Duisburg und Mülheim. Genau hier an der Brücke verläuft auch die Grenze zwischen diesen beiden Städten.
„Die beiden alten Brückenbauwerke sind bereits abtransportiert und inzwischen auch verschrottet“, erzählen die beiden Bauleiter Ralf Rings und Jan Nienhaus. Das größere Element wurde mit Hilfe eines Pontons zur nahe gelegenen Schleuse Raffelberg auf Mülheimer Stadtgebiet transportiert und dort am Ufer in seine Einzelteile zerschnitten und entsorgt. Und warum soll es bei der neuen Lösung nur noch ein Bauwerk sein? „Vorher gab es einen Mittelpfeiler für die beiden Brücken. Der war aber völlig marode, so dass wir auf eine längere Brücke gesetzt haben, die den Ruhrdeich und den Kanal überquert“, erklären Rings und Nienhaus.
30.000 Tonnen Erde wurden in den vergangenen Wochen bewegt
Gleichzeitig zur neuen Brücke wurden an beiden Kanalufern auch die neuen Widerlager gebaut. Für die gesamte Baustelle mussten fast 30.000 Tonnen Erde in Bewegung gesetzt werden. Addiert 300 in den Boden eingelassene Bohrpfähle sorgen auf beiden Seiten für den nötigen Halt der Widerlager. Die Brücke muss schließlich ganz schön was aushalten. „Ihre Traglast pro Jahr liegt bei rund 11,2 Millionen Tonnen“, weiß Projektleiter Catikkas.
Dann geht es wirklich los. Die Modulfahrzeuge mit insgesamt 256 Rädern und einer unfassbar hohen Traglast setzen sich in Bewegung. Jede Achse kann einzeln angesteuert werden. Das garantiert die maximale Bewegungsfreiheit dieses Transportsystems. „Wir müssen bei dieser Maßnahme 200 Meter Wegstrecke in Längsrichtung und 50 Meter in Querrichtung schaffen. Das wollen wir in rund anderthalb Tagen geschafft haben“, sagt Projektingenieur Boris Schönfeld, der zum Team von Mehmet Catikkas gehört.
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30 Millionen Euro werden bei diesem Projekt verbaut. Mehr als die Hälfte davon kostete allein das Brückenbauwerk. Und weitere sollen folgen. Denn drei weiteren Bauwerken, die dort stehen und ebenfalls zur denkmalgeschützten Brückenlandschaft Ruhraue gehören, steht der Austausch gegen neue Exemplare bevor. Der genaue Zeitplan steht noch nicht. Sechs Jahre wird es aber mindestens dauern, bis all diese Maßnahmen umgesetzt sind.