Duisburg. Felix Banaszak ist Duisburger, Sprecher der Grünen in NRW und in Duisburg. Der Steinbart-Abiturient spricht im Interview über Schulpolitik.

. Er hat sein Abitur am Steinbart-Gymnasium gemacht und kennt aus der Kommunalpolitik die Lage der Duisburger Schulen. Jetzt ist Felix Banaszak Landesvorsitzender der Grünen. „Wir wollen aus den Fehlern lernen“, sagt er über die Schulpolitik, die bis 2017 von den Grünen verantwortet wurde. Um den gravierenden Lehrermangel zu beheben, müssen die Schulen mit den größten Herausforderungen auch die stärkste Unterstützung erfahren, sagt er.

Der gravierende Lehrermangel vor allem an Grund- und Förderschulen ist ein Dauerthema, es gibt viel Frust. Wie nehmen Sie das wahr?

Felix Banaszak: Das ist auch mein Eindruck, nachdem ich ein Jahr lang in ganz NRW in Schulen unterwegs war.

Für die Probleme wird auch die vormalige rot-grüne Landesregierung verantwortlich gemacht.

Wir haben unsere Bildungspolitik nach der Landtagswahl 2017 neu aufgestellt. Wir haben uns der Kritik gestellt und uns vorgenommen, unseren Zielen treu zu bleiben, aber aus den Fehlern zu lernen. Die Inklusion und innovative Schulentwicklungsprozesse haben zu Überlastung geführt, weil die Ressourcen nicht ausreichend mitgewachsen sind. Hinzugekommen sind Herausforderungen, auf die das System Schule nicht vorbereitet sein konnte, etwa die Beschulung einer hohen Zahl von geflüchteten Kindern. In den Schulen muss kontinuierlich mehr Erziehungsarbeit geleistet werden, aber die Unterstützung durch Sozialarbeiter reicht nicht aus. Wir erleben, dass die Anforderungen an Schule größer geworden sind. Wir waren nicht in der Lage rechtzeitig nachzusteuern.

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Nach vielen Schulversuchen ist bekannt, was zu tun ist. Warum kommt es nicht in die Umsetzung?

Das Schulsystem ist ist - wie unser öffentliches Gemeinwesen insgesamt - unterfinanziert. Wir wollen das ändern. Schon Sylvia Löhrmann hat sich intensiv für mehr Stellen eingesetzt. Investitionen in Personal und Gebäude waren vorher über Jahrzehnte ausgeblieben. Auch das Programm „Gute Schule 2020“ wird erst mit großer Verspätung wirken, weil die kommunalen Verwaltungen kaputtgespart wurden und nun Planer fehlen. Die Frage ist also auch: Wie wird das Geld verteilt?

Vom Jugendsprecher zum Landesvorsitzenden

Felix Banaszak ist seit Januar 2018 Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen in Nordrhein-Westfalen. Der 29-Jährige war Sprecher der Grünen Jugend, der Jugendorganisation von Bündnis 90/Die Grünen. Seit April 2016 ist er Sprecher des Kreisverbandes Duisburg seiner Partei.

Nach dem Abitur 2009 am Steinbart-Gymnasium absolvierte er seinen Zivildienst in der Altenpflege in Berlin und studierte danach Sozial- und Kulturanthropologie und Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Parallel zum Studium arbeitete er für Dirk Behrendt, damaliges Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und heutigem Berliner Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung.

Seit 2014 lebt er wieder in seiner Heimatstadt, bis 2017 leitete er drei Jahre lang das Düsseldorfer NRW-Büro der EU-Abgeordneten Terry Reintke und Sven Giegold.

Ungleiches ungleich behandeln – das fordern die Städte mit besonders hohen Belastungen.

Genau das haben wir uns für die Zukunft vorgenommen. Eine Schule in Marxloh muss besser ausgestattet sein als eine in Ortsteilen ohne strukturelle Armut. Beispiel Sekundarschule Rheinhausen: „Wir machen Schule mit nichts“, sagt die Schulleiterin Martina Seifert. Das bringt die Situation auf den Punkt, aber wir können solche Zustände nicht akzeptieren.

Welche kurzfristigen Möglichkeiten der Entlastung sehen Sie?

Begrenzte Ressourcen, die wir absehbar noch eine Zeit lang haben werden, erfordern Prioritäten. Dass an der einen Schule ein Streichorchester spielt, an der anderen aber der Putz von der Decke bröckelt, kann sich unsere Gesellschaft nicht leisten.

Ist die Personalnot flächendeckend, oder vor allem ein regionales Problem?

Sie ist flächendeckend, äußert sich aber regional unterschiedlich. Es gibt genügend Stellen, aber sie können nicht besetzt werden. Schulen in Münster haben das Problem nicht, in Duisburg aber schon. Wir müssen dauerhaft in ein System kommen, dass dort, wo der Mangel besonders groß ist, die Arbeitsbedingungen besonders gut sind. Wir wollen dort die Stundenzahl senken, damit Lehrer bewusst dorthin gehen. Es gibt durchaus viele junge Lehrer, die dahin gehen würden, wo sie etwas bewirken können, wenn die Bedingungen sich verbessern.

In den Bewerberzahlen in Duisburg spiegelt sich dieser Ehrgeiz nicht.

Das ist richtig. Die Kunst ist, Bewerber erst an diese Schulen zu bekommen. Wenn sie einmal dort sind, bleiben sie oft auch gern. Dafür braucht es Anreize.

Zwangsmaßnahmen bringen nichts, solange Mangel herrscht, sagen Praktiker.

Dauerhaft kann das kein Rezept sein. Aber die Situation ist so dramatisch, dass wir für einen begrenzten Zeitraum darauf auch nicht verzichten können. Man kann doch heute nicht den Schülern sagen: In fünf oder sechs Jahren, wenn ihr hier raus seid, wird alles besser.

In Duisburg ist seit Jahren eine dreistellige Zahl von Lehrerstellen unbesetzt.

Es gibt dafür kurzfristig nur unterschiedlich unbefriedigende Lösungen. Das System muss sich schlicht so verändern, dass wir an den Orten, wo die Herausforderungen am größten ist, auch die größte Unterstützung erleben.

Finanzielle Anreize für Lehrer schaffe eine Dreiklassengesellschaft in den Lehrerzimmern zwischen Beamten, Angestellten und Junglehrern, fürchten Praktiker.

Das darf es nicht geben. Eine strukturelle Lösung muss für alle gelten.

Wie könnte die aussehen?

Anhand von Indikatoren wie der ALG-II-Quote oder der Verkehrssprache zu Hause lassen sich die Ausgangsbedingungen der Schüler einer Schule objektiv messen. Entsprechend kann man dann nach einem Sozialindex Lehrerstellen zuweisen, Arbeitszeiten anpassen, unterstützendes Personal zur Verfügung stellen. Und: Wenn Lehrer ihren eigentlichen Job machen können, statt etwa noch das Sekretariat zu führen, entlastet das auch. Wir wollen mehr Ressourcen ins System bringen. Aber auf eine Umverteilung zu Gunsten derer, die besondere Unterstützung brauchen, kann man auch dann nicht verzichten.

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Bald wird es 60 „Talentschulen“ landesweit geben. Hilft das?

Was bessere Ausstattung bringt, ist doch bekannt. Aber es hilft eben nur 60 Schulen, nicht der vielfachen Zahl, die ähnliche Herausforderungen haben. Wir haben mehr Talente, als in 60 Schulen passen. Es ist ein Prestigeprojekt der Bildungsministerin, nicht einmal Symptombehandlung. Schulversuche hatten wir genug.

„Gute Schule 2020“ hilft, aber behebt nur die dringendsten Defizite. Wie soll es weitergehen?

Wir wollen, dass dieses Programm mit einem neuen Etat weitergeführt wird. Aber da soll nicht mit der Gießkanne verteilt werden, sondern nach Sozialindex ausgewählt werden. Zu oft warten Schulen mit einer Elternschaft, die sich nicht so gut Gehör verschaffen können, länger als andere auf Hilfe. Sie müssen aus der Bittstellerposition heraus, denn sie haben einen Anspruch auf Unterstützung.

Wie sehen Sie die Lage in Duisburg?

Mein Gefühl ist, dass sich die Stadtspitze mit dem Zustand der Mangelverwaltung abgefunden hat. Es gibt keinen Schulentwicklungsplan, weil man der Meinung ist, die Situation sei zu volatil, um langfristig zu planen. Dabei ist doch klar: Es werden absehbar mehr Schulgebäude benötigt, etwa zehn. Da müsste man doch Neubauten planen. Aber das passiert nicht, obwohl die Geburtenzahlen stark gestiegen sind. Selbst wenn die Geburtenraten zurückgehen, hat man lieber eine zuviel gebaut und kann dafür eine alte, baufällige Schule schließen.

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Hat die Sekundarschule eine Zukunft?

Ihre Gründung war der Kompromiss im Schulkonsens mit der CDU. Aber sie wird nicht angenommen, weil sie selbst nicht die Möglichkeit des Abiturs bieten. Wenn es so weitergeht, läuft sie Gefahr, zur so genannten „Restschule“ zu werden. Der Geburtsfehler war, dass es den Übergang in die Oberstufe ohne Schulwechsel nicht gibt. So kann sie auf Dauer kaum weiter bestehen.

Also sollte es nur noch Gymnasien und Gesamtschulen geben?

Darauf könnte es hinauslaufen - beide führen dann zu allen Abschlüssen, auf unterschiedlichen Wegen. Komplementär gibt es die Berufskollegs. Gleichzeitig gilt es stadtpolitisch, die Segregation nach Quartieren aufzulösen. Die Nord-Süd-Trennung in den Revierstädten reproduziert sich Sie im Bildungssystem. Es muss durchlässiger werden. Sonst wird die Gesellschaft noch weiter auseinander driften.

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Sollten sich die Gymnasien an der zieldifferenten Inklusion beteiligen?

Es gibt Gymnasien, die gern in der Inklusion verbleiben würden. Doch jene, die das freiwillig machen, kämpfen mit sinkenden Anmeldezahlen. Die Situation an Gesamt- und Sekundarschulen wird dadurch noch schwieriger. Ihre Konzepte fördern zwar die Inklusion, doch auch hier fehlen die Ressourcen. Dass Bildungsministerin Yvonne Gebauer sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Benachteiligung des Gymnasiums zu beenden, ist auch deshalb geradezu absurd.

Sind Seiteneinsteiger in den Lehrerberuf ein Teil der Lösung?

Wir brauchen andere Professionen in den Schulen, von Verwaltungsassistenten bis zu IT-Fachkräften. Auch Seiteneinsteiger können helfen. Es löst den Mangel nicht auf, aber die Frage ist, wie man Unterricht organisiert. Es braucht Lehrer mit pädagogischer Ausbildung, aber wenn man in Teams arbeitet, müssen sie nicht alles allein machen. In der Lehrerausbildung müssen die Kapazitäten langfristig erhöht, die Studierenden praxisnah auf die Herausforderungen vorbereitet werden.