Duisburg. Die Gesamtschulen sehen die Ziele der Inklusion gefährdet, weil Sonderpädagogen für die Kinder mit Förderbedarf nicht zur Verfügung stehen.

Weil Sonderpädagogen nicht zur Verfügung stehen und Lehrerstellen unbesetzt bleiben, schreiben Gesamtschulen in Duisburg Überlastungsanzeigen an das NRW-Schulministerium. Sie fürchten, dass die Ziele des gemeinsamen Unterrichts angesichts einer steigenden Zahl von Schülern mit Förderbedarf nicht erreicht werden. Die Antwort des Ministeriums sorgt für zusätzliche Ernüchterung in den Schulen.

Schulministerin Yvonne Gebauer ordnet mit einem Erlass zur „Neuausrichtung der Inklusion“ das gemeinsame Lernen neu. Demnach sollen elf Duisburger Gesamtschulen, zwei Realschulen und eine Sekundarschule ab dem neuen Schuljahr Kinder mit Förderbedarf aufnehmen. Dazu sollen zusätzliche Sonderpädagogen an den Schulen eingesetzt werden. Acht der 14 ausgewählten Schulen lehnten ihre Ernennung zu „Orten des Gemeinsamen Lernen“ ab, weil sie weder die personelle, noch die räumliche und sächliche Ausstattung für eine erfolgreiche Arbeit als gegeben sehen.

Duisburger Gesamtschulen sehen sich „erpresst“

„Wir stehen vor einer Situation, die nicht mehr lösbar ist“, hatte Erst Wardemann, Schulformsprecher und Leiter der Gesamtschule Mitte, gewarnt. Der Rat hatte im Mai zähneknirschend zugestimmt. Er sah sich erpresst, fürchtete aber, bei Ablehnung das gemeinsame Lernen ohne zusätzliches Personal organisieren zu müssen.

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Drei Überlastungsanzeigen seien von Duisburger Gesamtschulen eingegangen, teilt die Bezirksregierung auf Anfrage mit. Es seien wesentlich mehr, sagt Ernst Wardemann: „Die Kollegen sind es leid, noch weitere zu schreiben.“ Zum neuen Schuljahr nimmt die Gesamtschule Mitte in sechs Fünfer-Klassen mit je 29 Schülern 18 Kinder mit Förderbedarf auf, der einzige Sonderpädagoge, der bislang für zwei Stunden pro Woche zur Verfügung stand, wurde an eine andere Schule abgeordnet.

„Inklusion wird nicht zu leisten sein“

Insgesamt 55 Inklusionsschüler besuchen die Erich-Kästner-Gesamtschule (EKG) in Homberg. Auch hier gibt es keine Sonderpädagogen, sechs reguläre Lehrerstellen sind zudem aus Bewerbermangel unbesetzt. „Inklusion wird nicht zu leisten sein“, sagt Schulleiter Günter Terjung. Seine ausdrückliche Unterstützung fand eine Überlastungsanzeige, die der Lehrerrat der EKG für das gesamte Kollegium Anfang des Jahres auf den Weg brachte.

„Die Qualität unserer Arbeit leidet, da selbst bei permanentem Einsatz jenseits der Belastungsgrenze die wachsenden Anforderungen nur noch mit Abstrichen zu bewältigen sind“, hießt es in dem vierseitigen Schreiben. Eine wachsende Zahl von Kollegen reduziere ihre Stundenzahl und verzichte damit auf Gehalt und Pensionsansprüche.

Mangelnde Deutschkenntnisse und Schulschwänzer sind Probleme

Einen hohen zusätzlichen Aufwand verursache unter anderem der „steigende Integrationsaufwand von problematisch sozialisierten oder lernschwachen Kindern“, mangelnde Deutschkenntnisse und Schulschwänzer brächten immer mehr Wiederholungen von Klassenarbeiten und mehr Korrekturarbeit.

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Die Inklusion müsse „ohne ausreichende personelle, fachliche und räumliche Ressourcen“ gestemmt werden. Der EKG-Lehrerrat fordert kleinere Klassen, einen Ausbau der Schulsozialarbeit und eine ausreichende Zahl von Sonderpädagogen für alle inklusiv arbeitenden Schulen. Die Ministerin fordert er auf, zu gewährleisten, dass „dienstliche Aufgaben nicht vernachlässigt werden müssen“.

Die wortreiche Antwort des Ministeriums ist kurz zu resümieren: Die beklagten Zusatzbelastungen seien „explizit als Pflichtaufgaben des Lehrerberufs ausgewiesen“. Die Integration verhaltensauffälliger Kinder, die Beratung der Eltern und Kooperation mit außerschulischen Instanzen beschrieben „das vielfältige und herausfordernde Berufsbild eines Lehrers“. Für die EKG sei ja „langfristig ein Neubau geplant“, 6000 Stellen für Sonderpädagogen soll es bis 2025 geben. Für zugewanderte Kindern, die oft traumatisiert sind, müssten die Lehrkräfte „Unterstützungsangebote über das normale Maß hinaus bereithalten.“

Reisende Förderlehrer

Die wenigen verfügbaren Sonderpädagogen sind zumeist an mehreren Schulen mit Stundenkontingenten tätig. Deshalb sei es schwierig, innerhalb der Kollegien Lehrer für eine sonderpädagogische Zusatzausbildung zu gewinnen, sagt EKG-Schulleiter Günter Terjung: „Sie fürchten, dann nicht mehr an ihrer Schule bleiben zu können.“

Falls sie für ihre Stellen keine Sonderpädagogen finden, können die Schulen die Stellen auch anderweitig besetzen. „Dann werden diese Lehrer uns aber so angerechnet, als wären es Sonderpädagogen“, sagt Schulformsprecher Ernst Wardemann. Das Dilemma bleibe damit ungelöst.