Duisburg/Düsseldorf. Über zwei Jahre hat der Loveparade-Gutachter an seiner Untersuchung gearbeitet. Jetzt hat er den letzten Teil seines Gutachtens vorgelegt.
Das Loveparade-Unglück 2010 mit 21 Toten hätte nach Ansicht eines Gutachters schon in der Planungsphase verhindert werden können. «Im Rahmen des Planungs-, Genehmigungs- und Abnahmeprozesses gab es mehrere Anhaltspunkte, um die Nichteignung des Veranstaltungsgeländes für die erwarteten Besuchermengen feststellen zu können», stellt der Gerichtsgutachter Prof. Jürgen Gerlach im Loveparade-Strafprozess in einer Untersuchung abschließend fest. Eine fünfseitige «Zusammenfassung von vorläufigen Erkenntnissen und Ausblick» lag der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag im Wortlaut vor.
Gutachter: Unglück hätte auch am Veranstaltungstag noch verhindert werden können
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Auch am Veranstaltungstag selbst hätte es noch Möglichkeiten für alle beteiligten Institutionen gegeben, die tragischen Ereignisse zu verhindern, schreibt Gerlach. Notwendig wäre eine koordinierte Steuerung der Personenströme gewesen. Für denkbar hält Gerlach etwa eine zeitweilige Schließung von Vorsperren und Vereinzelungsanlagen an den Einlassstellen sowie ein verstärkter Einsatz von sogenannten Pushern, die die Besucher zum Weitergehen aufforderten. Auch eine geänderte Steuerung der Musiklaster, der sogenannten Floats, wäre denkbar gewesen.
Hätte das alles nicht gereicht, hätte nur noch ein Stopp des Besucherstroms die Gefahr mindern können. «Mit einem frühzeitigen koordinierten Abbruch des Zuflusses und einer frühzeitigen Schließung der Vereinzelungsanlagen wäre die Menschenverdichtung ab ca. 16.30 Uhr im unteren Bereich der Rampe Ost mit Todesfolgen und Verletzungen zu verhindern gewesen.» Dies geschah jedoch nicht. Ab 16.31 Uhr gab es nach Ansicht des Gutachters keine Möglichkeit mehr, das Unglück noch abzuwenden.
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Als direkte Ursachen für die tragischen Ereignisse nennt Gerlach zum einen eine nicht abgestimmte Öffnung der beiden Vereinzelungsanlagen wegen eines massiven Rückstaus. Zum anderen «eine unpassende Anordnung» einer Polizeikette auf der Hauptzugangsrampe. «Gleichwohl wäre es auch ohne Polizeiketten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Menschenverdichtung im unteren Bereich der Rampe Ost gekommen.» Ausschlaggebend sei vor allem eine Zaunöffnung an der westlichen Vereinzelungsanlage gewesen. Dabei seien im Beisein von Polizeikräften mehrere Tausend Personen «in einem Schwall» in den Zugangstunnel gelangt.
Lopavent soll ungeeignetes Zu- und Abgangssystem geplant haben
Gerlach hatte den dritten und abschließenden Teil seines Gutachtens am Mittwochabend an das Gericht übergeben. Die Untersuchung umfasst insgesamt mehr als 3800 Seiten. Es enthält außerdem mehrere Simulationsvideos mit Analysen von Besucherströmen, wie das Landgericht Duisburg mitteilte. Der Verkehrsexperte von der Bergischen Universität Wuppertal gilt als Experte für Verkehrssicherheit und die Sicherheit bei Großveranstaltungen. Er war im Sommer 2016 als Gutachter bestimmt worden. Wann Gerlach das Gutachten in der Hauptverhandlung vorstellt, ist noch offen.
Bei der Loveparade am 24. Juli 2010 in Duisburg gab es am einzigen Zu- und Abgang zum Veranstaltungsgelände ein so großes Gedränge, dass 21 Menschen erdrückt und mindestens 652 verletzt wurden. Angeklagt sind sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier des Veranstalters Lopavent.
Die Mitarbeiter des Veranstalters sollen ein ungeeignetes Zu- und Abgangssystem geplant haben. Bei der Stadt soll ein Dreier-Team des Bauamtes die benötigte Baugenehmigung erteilt haben, ohne dass die Voraussetzungen dafür vorgelegen haben sollen. Die übrigen drei sind Vorgesetzte des Teams. Sie sollen das Genehmigungsverfahren nicht ordentlich überwacht haben. Alle zehn sind wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagt. (dpa)