Duisburg. . Die Justiz geht im Duisburger Norden gegen offensichtliche Kriminalität und versteckte Geldwäsche von Familien-Clans vor. Bereits 140 Verfahren.

Jugendliche, die in Rudeln die Straße unsicher machen. Schlägereien zwischen Angehörigen von Großfamilien, Respektlosigkeit gegenüber Polizisten und Rettungskräften, halbseidene Typen in dicken Autos – es gibt viele Beispiele, warum es im Norden nicht rund läuft.

Seit Juni sind zwei Staatsanwälte in Marxloh aktiv, sie sollen sich schwerpunktmäßig um die sogenannte Clan-Kriminalität kümmern. Nach Angaben der Polizei geht es im Kern um 2800 Angehörige von insgesamt 70 Familien. „Knapp 900 von ihnen sind polizeilich in Erscheinung getreten und wohnen im Duisburger Norden“, sagt Oberstaatsanwalt Stefan Müller. Er leitet die Abteilung für Bandenkriminalität, Intensivtäter, Wohnungseinbrüche, außerdem ist er Presse-Staatsanwalt und Chef der beiden Vor-Ort-Staatsanwälte, die anonym bleiben möchten.

Herr Müller, welche Straftaten landen auf den Schreibtischen der beiden Staatsanwälte?

Die Vergehen reichen von Delikten im Bagatellbereich wie Schwarzfahren bis zum schweren Raub. Diese Menschen sind ja nicht anders als andere Straffällige. Schwerpunktmäßig kommt Geldwäsche vor, also die Nutzbarmachung illegal erwirtschafteter Vermögen. Die meisten sind ja nicht Filmproduzenten in Hollywood, gleichwohl ist Geld da. Wo das herkommt, schauen wir uns an.

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Bis Ende Oktober haben die beiden Staatsanwälte bereits 140 Ermittlungsverfahren bearbeitet. Über alle Deliktarten hinweg. Wir unterscheiden da nicht. Eine Körperverletzung auf der Straße kann zugleich eine Schutzgelderpressung sein, wer Drogen verkauft, hinterzieht auch Steuern, statistisch ist das schwer zu fassen. .

Um welche Summen geht es?

Genaue Zahlen und welche Erkenntnisse wir gewonnen haben, werden wir Anfang nächsten Jahres veröffentlichen.

Staatsanwälte werden Experten bei bestimmten Delikten

Strafverfahren werden normalerweise aufs Haus verteilt, erklärt Müller. Die Behörde konzentriert manche Schwerpunktdelikte auf bestimmte Sachbearbeiter, weil die „ihre Pappenheimer“ kennen, so auch im Bereich Rockerkriminalität oder Reichsbürger.

Was sind die Ziele des Marxloh-Projekts?

Wir wollen ermitteln, wer die Köpfe der Familien sind. Außerdem wollen wir die offensichtliche Kriminalität auf der Straße durch schnelle Strafverfolgung zurückdrängen. Schritt zwei ist, höhergestellte Leute in der Hierarchie anzugehen. Und der dritte Aspekt ist, Vermögenswerte abzuschöpfen. Das dient dem Gerechtigkeitsempfinden - und damit dem Erhalt des Rechtsstaats. Unser Ansatz ist, gezielt Probleme im öffentlichen Raum anzugehen. Wenn es etwa um bedrohlich wirkende Pulks von Jugendlichen geht, dann gehen wir das gezielt an und gucken, wo da die strafrechtliche Schwelle überschritten wird und das verfolgen wir konsequent. Wir verfolgen die Beleidigung auf der Straße, wie wir versuchen, Geldflüsse aufzudecken, und beides mit der gleichen Vehemenz.

Marxloh wird bundesweit als no-go-area bezeichnet. Was empfinden sie, wenn sie durch Marxloh gehen?

Oberstaatsanwalt Stefan Müller im Interview.
Oberstaatsanwalt Stefan Müller im Interview. © Tanja Pickartz

Für mich ist das mein Beruf, das ist als würde ich mein Büro betreten, da habe ich keine emotionale Bindung zu. Unsere Botschaft ist: Verbrechen zahlt sich im Ergebnis nicht aus.

Beeinflussen die Großfamilien auch das Leben an den Schulen? Uns wurden Fälle berichtet, bei denen auf Schulhöfen Druck ausgeübt und Gewalt angedroht wurde.

Solche Fälle sind uns bekannt, ja. Das geht in alle sozialen Schichten hinein. Eine Schule ist ja kein Raum, in dem Streitigkeiten ein Ende hätten. Staatsanwälte alleine können nichts befrieden, nichts bewegen. Bei dem Projekt geht es daher auch um die Zusammenarbeit, um den Austausch mit sozialen Programmen vor Ort, mit Zoll und Polizei. Wir arbeiten mit vielen anderen auf dem ganz kurzen Dienstweg zusammen. Dafür brauche ich Beamte, die die Flexibilität und die Zeit haben, diese Kontakte zu knüpfen und zu pflegen.

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Hierarchische Familienstrukturen ähnlich der Mafia

Besteht für die Staatsanwälte vor Ort eine Gefahr? Sie bleiben ja anonym.

Es gibt sicher ein potenzielles Risiko, das wir so weit wir möglich versuchen zu reduzieren. Die Kollegen sollen durch eine gewisse Anonymität geschützt werden.

Zum Start im Juni wurde die Aufgabe verglichen mit der Arbeit der Italiener im Kampf gegen die Mafia. Welche Ähnlichkeiten gibt es denn da?

Die Parallele sind die hierarchischen Familienstrukturen, wenn auch nicht mit der Historie wie in Italien. Ziel für uns ist es, herauszufinden, wie man da ran kommt.

Und insgesamt wollen wir das Sicherheitsgefühl stärken.

Dient der Einsatz der beiden Staatsanwälte auch der Prävention?

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Wir sind eine Strafverfolgungsbehörde, wir werden tätig, wenn es konkrete Straftaten gibt. Der präventive Aspekt ist sekundär, wir klären auf. Aber eine effektive Strafverfolgung hat auch eine präventive Wirkung. Wenn ich es schaffe, Menschen zeitnah Sanktionen spüren zu lassen, dann ist das hilfreich bei der Verhütung neuer Straftaten, sei es wegen der Angst entdeckt zu werden, vielleicht auch durch Läuterung oder Erkenntnis. Strafe ist jedenfalls am besten, wenn sie zeitnah erfolgt.

Aber kann man solche Familienclans verdrängen?

Diese Familien haben ja Eigentum, Immobilien, da geht man nicht so schnell weg, nur weil eine Körperverletzung schneller verfolgt wird. Uns geht es um eine Durchsetzung des staatlichen Strafverfolgungsansatzes.

Gibt es einen Paten von Marxloh, benennbare konkurrierende Großfamilien unterschiedlicher Herkunft?

Das kann ich aus ermittlungstaktischen Gründen nicht sagen. Wir unterscheiden auch nicht nach Nationalitäten oder Religionen, die sind nebensächlich, wir gucken uns die Straftaten an. Für den Vorwurf des Diebstahls ist es auch egal.

Spielen Sprachkenntnisse der Staatsanwälte eine Rolle?

Nein. Für die Sachbearbeitung ist Sprache keine Hürde, viele der Beschuldigten sprechen ja auch Deutsch. Es braucht Hinweise, Zeugen, Bilder, Sprache ist der zweite Schritt.

Ist das Projekt in Marxloh befristet?

Nein, es wird eher eine Ausweitung auf andere Städte geben.