Duisburg. . Ji-Soo Kim gehörte 1963 zu den ersten 50 jungen Bergleuten aus Korea. Sich in der fremden Welt zu integrieren, war die einzige Option.
So viele Umarmungen, Schulterklopfen und alte Geschichten aus 32 gemeinsamen Jahren auf dem Pütt. „Der Johnny ist wieder da“, war die Nachricht, die schnell die Runde machte in Walsum, als Ji-Soo Kim im vergangenen Sommer nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder nach Duisburg kam.
Der heute 80-jährige war einer von 50 jungen Bergleuten im ersten Flieger aus Südkorea, der 1963 in Düsseldorf landete.
Nach Bergbau-Crashkurs geht es in die fremde Welt
Das Wirtschaftswunder-Deutschland brauchte Arbeitskräfte, die es auch in dem ostasiatischen Land anwarb. „Damals war Südkorea eines der ärmsten Länder der Erde“, sagt Mike Kim, der Sohn von Ji-Soo, „nur die Besten, junge Leute mit Abitur, durften ausreisen. Die Regierung hoffte, nach ihrer Rückkehr vom erworbenen Wissen profitieren zu können.“
Nach einem dreimonatigen Crashkurs im Bergbau reiste Ji-Soo Kim in eine fremde Welt. Der Duisburger Norden, damals noch nicht multikulturell geprägt, „erlebte die Koreaner als totale Exoten“, berichtet der 49-jährige Sohn aus den Erzählungen des Vaters.
Als Kostgänger lebte der zunächst in der Beeckerwerther Pestalozzi-Siedlung, in den 1950er Jahren errichtet für Bergleute und ihre Familien, die zunächst auswärtige Berglehrlinge und später auch Gastarbeiter aufnahmen.
Tränen verwischten die Augenringe
In der Hamborner Schachtanlage Friedrich Thyssen 2/5 fuhr Ji-Soo Kim zwölf Jahre lang ein. Harte Knochenarbeit vor Kohle. Tränen, die mitunter die schwarzen Ränder um die Augen des Vaters verwischten, gehören zu den Kindheitserinnerungen von Mike Kim.
„Dennoch waren die Südkoreaner sehr dankbar, dass sie hier sein durften“, erinnert er. Sich integrieren, irgendwie, so gut es ging, war die einzige Option. Urlaub in der Heimat, eine Illusion: Erst 1974, elf Jahre nach seiner Abreise, sollte Ji-Soo Kim erstmals wieder nach Korea reisen – nicht als Urlauber, sondern als Teil einer Delegation der RAG, seines Arbeitgebers.
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Not machte erfinderisch, um die fremde Sprache zu lernen. „Er hat sich ‘Der kleine Prinz’ gekauft“, erinnert der Sohn, „eine Kindergärtnerin hat das Buch dann für ihn auf Tonband eingesprochen“. Vieles lief einfacher, als er Christa kennenlernte, ein „Meidericher Mädchen“ und seine spätere Ehefrau.
1973 wird aus dem Koreaner ein deutscher Staatsbürger
Dem Vater habe „die Bereitschaft, deutsch sein zu wollen“, angetrieben: „Der Bierbauch war eine Auszeichnung, der Schnäuzer ein Orden“, schmunzelt Sohn Mike. 1973 wurde aus dem Koreaner ein deutscher Staatsbürger. Der Zusammenhalt der Kumpel half auch vor dem Zechentor. „Wir sind ja nicht nach Korea, sondern mit den Kollegen nach Mallorca geflogen.“
So wurde mit den Jahren Johnny aus Ji-Soo – selbst gewählt, weil ihm Günter, wie ihn anfänglich alle riefen, nicht gefiel. Gemeinsam gefeiert wurde im heimischen Partykeller. „Mach’ den Kühlschrank zu“, forderten dort feiernde Besucher regelmäßig. Zu streng war ihnen der Duft des heißgeliebten koreanischen Nationalgerichts Kimchi – den Weißkohl fermentierte der Gastgeber mit Fischsoße, Knoblauch und Chili in Eigenproduktion.
Als Ingenieur geht es 1996 in Rente
„Er wollte der Beste sein“, sagt Mike Kim über den Ehrgeiz seines Vaters, der ihn in der Hierarchie aufsteigen ließ. Auf der Bergmannschule bildete er sich weiter, gefördert von seinen Vorgesetzten, wechselte nach der Schließung der Hamborner Schachtanlage Mitte der 1970er Jahre auf das Bergwerk in seinem Wohnort Walsum, auf dem er schließlich 1996 im Range eines Ingenieurs in Rente ging.
Diese Geschichte gibt's hier als Multimedia-Reportage
„Damit endete auch sein Leben als Bergmann“, sagt Mike Kim. Der Vater engagierte sich in der koreanischen Community, lernte seine zweite Frau, eine Koreanerin aus Frankurt kennen und übersiedelte schließlich vor sechs Jahren mit ihr nach Südkorea. „Ihm geht es sehr gut“, berichtet Mike Kim, der beim Besuch des Vaters im vergangenen Jahr anlässlich der Geburt des Enkelsohnes das Treffen mit alten Weggefährten organisierte.
In Inchéon nahe der Hauptstadt Seoul lebt Ji-Soo Kim nun, hält sich mit Tischtennis fit und ist der modernen Technologie zugetan. Sie hilft beim Kontakt mit der Familie in Duisburg, wo er das halbe Leben verbrachte. Dabei wird Deutsch gesprochen. „Er soll und will natürlich die Sprache nicht verlernen“, sagt Mike Kim.