Witten. . Als Enkel eines Bergmanns schlägt das Herz von Hans-Jürgen Lewer seit jeher für den Bergbau. Über Jahre sammelte er Fotografien und Dokumente.

Hans-Jürgen Lewer ist Bergmann mit Leib und Seele – und das, obwohl er nie selbst unter Tage gearbeitet hat. Schon als Kind stand der heute 71-Jährige fasziniert im Schacht der Zeche Bohrbachtal, deren Flöz „Wasserbank“ bis unter sein Elternhaus in der Waldstraße reichte. Mitgenommen hat ihn damals sein Onkel, der dort als Kohlenschlepper arbeitete.

Noch heute werden seine Augen glasig, wenn er Anekdoten von früher erzählt: Vom Großvater, den er zum Mittagessen holen sollte und der lieber weiter mit den Kumpels einen über den Durst trank.

Teenager fühlt sich unter Tage pudelwohl

Vom Zusammenhalt unter Tage, von der Solidarität, die auch das Grubenpferd einschloss, sprich vorm Metzger bewahrte. Oder vom Vater, den er nicht als solchen, sondern nur als „Fahrsteiger“ ansprach: „Weil er das halt war.“

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Seine Leidenschaft entflammte endgültig mit einer Erziehungsmaßnahme, die nach hinten losging. „Mit 16 war ich in der Schule faul und hatte schlechte Noten. Da schickte mich mein Vater in den Ferien in die Zeche, ich sollte das echte Leben kennenlernen.“ Doch statt von den körperlichen Strapazen abgeschreckt zu sein, fühlte sich der Teenager unter Tage pudelwohl, die Kumpels wollten ihn am Ende der Ferien kaum gehen lassen.

Alte Fotos statt Disko-Besuche

Lewer begann Fotografien von Zechen zu sammeln. „Die anderen Jugendlichen haben mich ausgelacht und gesagt: der spinnt doch, wir gehen lieber in die Disko.“ Schnell fiel ihm auf: Besonders wenige Aufnahmen gab es von den für Witten so typischen Kleinzechen.

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Diese hatten nach dem Zweiten Weltkrieg eine Renaissance erlebt, um die Kohlenot der Bevölkerung zu mildern. Die bodennahen Flöze waren teilweise schon verwittert. „Aber damals hat man sich gesagt: lieber schlechte Kohle als Minus 20 Grad in der Wohnung.“

254 Kleinzechen waren zu Hochzeiten auf heutigem Wittener Stadtgebiet amtlich registriert. 1976 schloss mit Egbert in Herbede die allerletzte ihrer Art. Doch noch heute wirken sie nach, immer wieder kommt es zu Tagesbrüchen. „Das Problem wird uns erhalten bleiben, weil die Schächte der Kleinzechen oft nicht richtig verfüllt worden sind“, sagt Lewer.

Um 1960 entstand dieses Foto in der Kleinzeche Ringeltaube II in Witten-Düren.
Um 1960 entstand dieses Foto in der Kleinzeche Ringeltaube II in Witten-Düren. © Svenja Hanusch

Auf mittlerweile zwei Räume mit deckenhohen Regalen voller Ordner erstreckt sich Lewers Bildersammlung: von A wie Admiral bis Z wie Zweckel. Eine Extra-Reihe ist für die Kleinzechen reserviert.

Bergbau-Enthusiast sammelt auch Gesteine

Auch Gesteine sammelte der Bergbau-Enthusiast, so lange bis „das Auto nicht mehr in die Garage gepasst hat.“ Auch andere Bergbau-Devotionalien wie Grubenlampen und Arschleder hatte er angehäuft. „Doch irgendwann musste ich mich entscheiden, man kann nur eine Sache richtig machen.“ Also verschenkte er fast alle seine Andenken. Die heilige Barbara, die sein Vater von seinen Kumpels geschenkt bekommen hat, steht aber weiterhin im Wohnzimmer.

Studiert hat Lewer Maschinenbau, hatte einen Job auf Schlägel und Eisen in Herten in Aussicht. Doch seine Mutter riet ihm eindringlich davon ab. Der junge Lewer fügte sich, hatte er doch miterlebt, wie sein Vater nach Schließung der Zeche Mansfeld 1963 „hin und her geschickt wurde“. Das Ende der Bergbau-Ära war längst eingeläutet. So arbeitete Lewer fortan beim Ruhrverband. „Aber der Kontakt zum Bergbau ist nie verloren gegangen.“

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Schließlich datiert der erste im Bergbau tätige Verwandte Lewers bis ins Jahr 1780 zurück. In einem Dokument taucht dort ein Vorfahre als Königlicher Bergmeister im Hardensteiner Revier auf. Auch der Urgroßvater arbeitete auf Zeche Mansfeld in Langendreer unter Tage.

Der schwärzeste Tag im Leben

Und Großvater Jakob Ruhrmann fuhr mit 14 das erste Mal ein – und das letzte Mal mit 67. „Als er in Rente gehen musste, war das der schwärzeste Tag seines Lebens“, erinnert sich Lewer. Noch lange Zeit sei der Großvater regelmäßig zum Schichtwechsel zur Zeche gegangen, um mit den Kumpels über ihren Tag zu sprechen. „Für ihn hat sich alles um den Bergbau gedreht, das war sein Leben.

Er war mit so viel Herzblut Bergmann, das kann man sich gar nicht vorstellen.“ Lewers Vater Hans hingegen sei „wie die Jungfrau zum Kinde“ auf Zeche gekommen. Nach dem Krieg wollte er Jura studieren, durfte aber nicht. Das Arbeitsamt schickte ihn unter Tage.

Ein echtes Sammlerstück: ein Zechenbuch der Gelsenkirchener Bergwerks-Aktien-Gesellschaft.
Ein echtes Sammlerstück: ein Zechenbuch der Gelsenkirchener Bergwerks-Aktien-Gesellschaft. © Svenja Hanusch

Dort begann er als Schlepper, schob Kohlenwagen: „Das war die unterste Stufe. Er hatte ja nichts gelernt“, so Lewer. „Nach sechs Monaten hat dann jemand gemerkt, dass mein Vater rechnen kann. Da haben sie ihn auf die Bergschule in Bochum und Aachen geschickt.“

Lewers Kindheit und Jugend waren geprägt vom Beruf des Vaters, der lange Zeit auf Zeche Mansfeld in Bochum-Langendreer arbeitete. „Morgens um halb fünf war er weg und kam mittags für eine Stunde zurück“, erinnert sich Lewer. „Manchmal habe ich ihn auch nur am Sonntag gesehen.“ Und selbst da sei der Vater nach der Kirche gerne für ein paar Stunden eingefahren, um nach dem Rechten zu sehen.

Erinnerungen an einen Sonntag im Förderkorb

„Da hat er mich oft mitgenommen“, sagt Lewer. Besonders lebhaft ist noch heute die Erinnerung an jenen Sonntag, als der Förderkorb seinen Dienst versagte: „Da mussten wir die Leiter nehmen, das hat keinen Spaß gemacht. Von oben kam Wasser, an den Wänden hingen dicke Würmer. Danach konnte ich eine Woche lang kaum Laufen.“

© Svenja Hanusch

Was für Lewer die Faszination ausmacht? „Der Bergbau ist nicht eines Mannes Sache“, zitiert er einen alten Bergmannspruch. „Bergbau kann man nur betreiben, wenn man eine Mannschaft ist.“ Zur Verabschiedung des Vaters sei eine 50-köpfige Kapelle angerückt. „Und die letzten sind erst am nächsten Nachmittag wieder gegangen.“

Auch wenn Lewer nicht selbst unter Tage gearbeitet hat, so kennt er doch sämtliche Zechen des Ruhrgebiets – und das nicht nur aus seinen Fotos und Dokumenten. „Ich bin mit Kollegen in jede Zeche eingefahren“, sagt er. Denn Hans-Jürgen Lewer hat als Ingenieur beim Ruhrverband gearbeitet. Doch im Herzen war und ist er wie alle anderen Männer in seiner Familie Bergmann.

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