Duisburg. . Am 15. August 1993 legte der Krupp-Konzern sein Werk in Rheinhausen still. Beim Arbeitskampf stand die ganze Region hinter der Belegschaft.
Fast 100 Jahre lang lieferte das Hüttenwerk in Rheinhausen Eisen und Stahl für Krupp, 160 Tage lang kämpfte die Belegschaft mit einem spektakulären Arbeitskampf gegen die Stilllegung des Werkes, doch am 15. August 1993, vor 25 Jahren, ging der letzte Ofen aus.
Medien aus ganz Deutschland und darüber hinaus haben den Kampf der Kruppianer um „ihr“ Werk über Monate dokumentiert, Rheinhausen ist zum Begriff geworden für die Bindung an ein Werk, der über die Belegschaft hinausgeht, die Familien der Beschäftigten, die Nachbarn, die ganze Stadt umfasst. Bilder der besetzten Rheinbrücke, von Kundgebungen vor Tor 1, vom Aufruhr-Konzert im Walzwerk sind Allgemeingut geworden.
Doch am letzten Arbeitstag will die Belegschaft ohne Kamerateams und Reporter Abschied nehmen vom Werk, das in Rheinhausen mehr war als Arbeitgeber. Am vorvorletzten Tag war die WAZ noch einmal vor Ort, produziert wird wie in all den Jahren zuvor. „Man kann ein Stahlwerk nicht einfach ausknipsen“, erklärt Betriebsratsvorsitzender Walter Busch. 20 000 Tonnen Stahl werden noch produziert, dann werden die Erz- und Sintergaben in den Hochofen langsam zurückgefahren. „Du darfst mich alles fragen, nur nicht, wie ich mich fühle“, sagt ein Hochofenarbeiter zum WAZ-Reporter.
Verkehrsgünstig direkt am Rhein gelegen
Die Geschichte der Rheinhauser Hütte begann 99 Jahre früher. 1894 entscheidet sich der Krupp-Konzern für den Neubau eines Hüttenwerkes, das in besten Zeiten Europas größtes war. Am 18. Dezember 1897 wird der erste Hochofen am verkehrsgünstig direkt am Rhein gelegenen Werkshafen angeblasen, die nach dem Firmenchef benannte Friedrich-Alfred-Hütte nimmt die Produktion auf.
20 Jahre später arbeiten 10 000 Kruppianer auf der Hütte, die zehn Hochofen betreibt, die in den 30er Jahren unter der Wirtschaftskrise leidet und anschließend das Material für die Aufrüstung der Nazis liefert. Bei Kriegsende 1945 liegt die Belegschaft unter 4000, im Zuge der von den Siegermächten geforderten Entflechtung des Krupp-Konzerns entsteht die „Hüttenwerk Rheinhausen AG“, die im Wirtschaftswunderjahr 1960 schon wieder stolze 16 000 Beschäftigte im Zeichen der drei Ringe zählt.
Auf die Kohle- folgte die Stahlkrise
Doch es folgten schlechtere Zeiten für die Stahlkocher im Linksrheinischen, nach der Kohlekrise war an Rhein und Ruhr auch die Stahlkrise ein Thema. Und dennoch war man in Rheinhausen fassungslos, als am 26. November 1987 die Stilllegung der Hütte mit ihrem 6300 Beschäftigten zum Jahresende 1988 verkündet wurde. Und das, nachdem erst kurz zuvor Betriebsrat und Krupp-Vorstand eine Vereinbarung über den Abbau von rund 2000 Arbeitsplätzen ausgehandelt hatten.
Ungläubig nahmen die Beschäftigten die Nachricht auf, fassungslos, dann entschlossen, die Schließung eines kompletten Werkes nicht einfach hinzunehmen. Und die Kruppianer sind nicht allein: Ein Bürgerkomitee stellt sich an ihre Seite, die Kirchen, Einzelhändler, Betriebsräte anderer Unternehmen – ganz Rheinhausen kämpft um die Zukunft.
Festival mit Grönemeyer und den Toten Hosen
10 000 Menschen bei einer außerordentlichen Betriebsversammlung am 30. November, 100 000 Menschen im ganzen Revier beim Stahlaktionstag am 10. Dezember, 15 000 vor allem junge Menschen bilden am 20. Januar 1988 eine Kette ums Werk, 40 000 kommen zum Festival im Walzwerk mit Grönemeyer und den Toten Hosen. Und natürlich fehlen auch Schimanski und Thanner nicht.
Dann kommt die deutsche Wiedervereinigung, das Land braucht Stahl, Krupp setzt den Stilllegungsbeschluss aus, Rheinhausen produziert weiter. 1992 übernimmt der Essener Konzern Hoesch und konzentriert seine Stahlproduktion ins rheinferne Dortmund, wohin das Erz von der Duisburger Speditionsinsel per Bahn gebracht werden musste. Das nach Einschätzung vieler Experten bessere Werk, das in Rheinhausen, wurde vor 25 Jahren endgültig geschlossen.
Ex-Betriebsrat: Ohne Arbeitskampf kein Logport-Erfolg
Die endgültige Stilllegung der Krupp-Hütte vor 25 Jahren – war sie eine Niederlage für die Mitarbeiter, für Betriebsräte, Gewerkschafter und die vielen Mitstreiter in den 160 Tagen des Arbeitskampfes und darüber hinaus? „Nein“, sagt Theo Steegmann, gelernter Hüttenfacharbeiter, 1981 in den Krupp-Betriebsrat gewählt und einer der prägenden Gestalten beim Ringen um den Erhalt des Rheinhauser Werks.
Und er hat Gründe für sein „Nein“. Statt schon 1988 wie vom Krupp-Vorstand um Gerhard Cromme geplant, habe man erst 1993 das Werk geschlossen. „Wir haben fünf Jahre gewonnen.“ 1993 waren „nur“ noch 2500 Mitarbeiter im Werk, kein Kruppianer wurde gekündigt.
Und man sei erfolgreich für die Region gewesen, in der es damals 17 Prozent Arbeitslosigkeit gegeben habe. Der Freihafen im Ruhrorter Hafenteil sei eingerichtet worden, 250 Millionen Euro habe es für die Sanierung des Hüttengeländes gegeben, Logport lockte schon bald die ersten Logistikunternehmen aufs frühere Krupp-Gelände. Steegmann: „Das wäre ohne den Arbeitskampf nicht möglich gewesen.“ Erst das Engagement von Beschäftigten und Bürgern habe die Politik bewegt, sich mit dem Thema Rheinhausen zu befassen. Inzwischen spricht die Duisburger Hafengesellschaft von fast 7000 Arbeitsplätzen, die durch die Logport-Flächen entstanden sind. Der größte Teil auf Logport 1 in Rheinhausen, dessen Auf- und Ausbau vor 20 Jahren begonnen hat.
Steegmann wurde Chef einer Qualifizierungsgesellschaft, die beim Abriss der Hütte mitwirkte, später Leiter der Ausbildung bei Krupp-Nirosta und machte einen Abschluss als Diplom-Pädagoge an der Uni. Krupp bleibt er verbunden, arbeitet an einem „Freien Archiv“ rund um das frühere Werk und hat dabei nicht nur Vergangenheit im Blick, sondern Zukunft. Eine Generation ohne eigene Krisenerfahrung könne lernen aus der Geschichte des Widerstands gegen Konzernpläne. Auch türkischstämmigen Schülern soll ermöglicht werden, von den Erfahrungen türkischer Ex-Kruppianer zu profitieren.