Duisburg. . 2015 kam Ghaith Alwafai mit seiner Familie als Flüchtling über Saudi-Arabien in die Bundesrepublik. Nun macht er sein Abi mit der Note 1,7.

Seit drei Jahren lebt Ghaith Alwafai in Duisburg. 2011 flüchtete der 19-Jährige mit seiner Familie aus Syrien nach Saudi-Arabien, 2015 kam er nach Deutschland. „In Saudi-Arabien hatten wir mit Rassismus zu kämpfen, die Lage war katastrophal.“ Aus Syrien flohen sie, weil der Vater Revolutionäre unterstützt hatte. Weil die Mutter in Deutschland geboren wurde und ein Onkel noch in Duisburg lebt, reisten sie nach Deutschland aus.

Ghaith hatte Glück, lernte eine ehemalige Schulleiterin aus Neudorf kennen, die sich sehr für ihn einsetzte. Zudem wurden er und seine Geschwister am Landfermann angenommen. Nun hat er eines der besten Abis hingelegt – Durchschnittsnote 1,7. Ein Gespräch über Zufälle, Stolz und Zukunftsperspektiven.

Erstmal herzlichen Glückwunsch zum Abi. Sind Sie stolz?

Ach stolz, ich weiß nicht. Ich wollte unbedingt 1,5 schaffen, damit ich Zahnmedizin studieren kann. Ich habe meinen Vater oft in seiner Praxis besucht und immer seine Handgriffe nachgemacht. Mein Bruder studiert auch Zahnmedizin. Nun muss ich erst einmal überlegen, was ich stattdessen studiere. Es soll aber was sein, was Spaß macht und wo ich gerne hingehe – sonst wäre es ja nur wie Schule.

Aber als Sie nach Deutschland kamen, konnten Sie überhaupt kein Deutsch.

Stimmt. Das habe ich erst im Laufe der Zeit gelernt.

Wie?

Meine Mutter ist zu den Schulen in Duisburg gegangen, um einen Platz für uns Kinder zu suchen. Durch einen Zufall haben wir Frau Happe kennen gelernt. Sie war früher Lehrerin und hat uns Hilfe angeboten. Sie kam dann vier, fünf Mal die Woche zu uns und hat mit uns gelernt. Sie hat uns auch das Schulsystem erklärt. Von Hauptschule, Realschule und Gymnasium hatte ich keine Ahnung. In den anderen Ländern war ich auf einer Art Gymnasium.

Wie war die Schule in Saudi-Arabien?

Nicht besonders gut. Man musste nicht viel machen, um gute Noten zu bekommen. In Syrien ist das Abi hingegen schwer. Es zählen nur die Abschlussnoten und nicht, was man vorher geleistet hat. Die deutsche Schule finde ich aber auch nicht perfekt.

Was hat Sie gestört?

Die mündlichen Noten zählen sehr viel. Schüchterne Schüler, die viel wissen, werden nicht so gut benotet wie Jugendliche, die vielleicht nicht so gut sind, sich aber regelmäßig melden.

Wie haben Sie sich mit Ihren Mitschülern unterhalten?

Wir haben erst Englisch gesprochen. Die Klassenkameraden waren sehr nett zu mir. Ich hab Glück gehabt. Ansonsten musste ich beweisen, dass ich in einer Regelklasse unterrichtet werden kann. Ich habe mich dann auf die Fächer konzentriert, in denen Deutsch nicht so wichtig war. Mathe zum Beispiel. Und Englisch. Geschichte und Erdkunde habe ich zwar gehasst, aber ich konnte es auf Englisch belegen, das hat mir sehr geholfen. In Chemie habe ich anfangs nur aus dem Fenster geguckt. Und vom Fach Sozialwissenschaften hatte ich noch nie etwas gehört.

Warum mochten Sie Geschichte nicht?

In Syrien und Saudi-Arabien wird in Geschichte gelogen. So gesehen ist der Unterricht in Deutschland sehr gut. Hier hält man sich an die Fakten, auch wenn Deutschland keine gute Rolle im Ersten und Zweiten Weltkrieg gespielt hat.

Wie haben Sie Deutsch gelernt?

Meine Mutter hat als Kind zwar in Deutschland gelebt, aber alles vergessen. Meine Oma hat uns früher deutsche Lieder vorgesungen, aber ich konnte mich an die Wörter nicht erinnern. Frau Happe hat mir viel beigebracht und uns auch bei den Unterlagen geholfen. Ohne sie wäre ich nicht hier. Ich wusste, ich musste Deutsch lernen, um für meine Eltern beim Amt zu übersetzen. Haben Sie mal ein Schreiben vom Jobcenter bekommen?

Ich würde wahrscheinlich auch nichts verstehen...

Genau, und wir sollen das können! Mit Frau Happe habe ich aber erst einmal bei „der, die, das“ angefangen. Oder ich habe sie gefragt, was der Unterschied zwischen stehen, verstehen und aufstehen ist. Spaß hat das nicht gemacht, aber ich wusste, ich muss da durch, um auf einem anderen Niveau weiter zu lernen.

Ich kann mich noch gut erinnern, wie es war, als ich Niederländisch gelernt habe. Als Journalist muss man ja nicht nur die Vokabel „sagen“ kennen, sondern auch „erwidern, erklären, flüstern...“ Deutsch ist bestimmt eine schwere Sprache.

Das ist sie. Am Anfang hatte ich nur schlechte Noten. Aber ich habe dann Serien gesehen. „The Big Bang Theory“. Das war eigentlich keine gute Idee, denn ich habe überhaupt nicht verstanden, was Sheldon erzählt, aber das hätte ich wahrscheinlich auch nicht in einer anderen Sprache. Irgendwann habe ich dann aber bessere Noten gehabt als deutsche Muttersprachler. Das war schon komisch.

Trinken Sie eigentlich Bier?

Ein Bier wäre kein Problem. Wenn ich zum Geburtstag eingeladen worden bin, war ich auch immer da. Aber eigentlich war es langweilig für mich, weil ich nicht tanze, nicht immer alles verstanden habe und eben auch keinen Alkohol trinke. Aber ich wollte trotzdem hin, um die anderen nicht zu enttäuschen.

Haben Sie das Gefühl, etwas verpasst zu haben?

Durch den Krieg hatte ich sicher eine andere Kindheit, und ich musste mit 16 schon viel erwachsener sein als andere in meinem Alter, weil ich ja auch meinen Eltern helfen wollte.

Wie geht es Ihrer Familie?

Meine Schwester geht auch aufs Landfermann, und mein kleiner Bruder ist in der Grundschule. Meine Mutter bekommt bald die deutsche Staatsangehörigkeit und mein Vater seine Approbation. Sie haben auch die Fach-Deutschkurse bestanden.

Wo sehen Sie Ihre Zukunft?

In Deutschland. Ich weiß noch nicht, ob ich in Duisburg bleibe, aber in diesem Land. Und mit meiner Oma unterhalte ich mich jetzt immer auf Deutsch.

>>>104 Schüler machen dieses Jahr das Abitur

Am Landfermann-Gymnasium machen in diesem Jahr 104 Schüler das Abitur. 27 haben eine 1 vor dem Komma. Neben Gaith Alwafai gab es noch eine andere Schülerin, die aus einer Seiteneinsteiger-Klasse kam. In jedem Oberstufenjahrgang gibt auf dem Gymnasium zwei bis vier Seiteneinsteiger. „Gaith hat uns sicher sehr positiv überrascht. Seine Schulbiografie zeigt, was möglich ist. Gaith hatte sicher tolle Begleitung und außergewöhnlich gute Voraussetzungen, aber ganz toll ist es trotzdem“, freut sich Schulleiter Christof Haering für den jungen Erwachsenen. Gemeinsam wollen die Jugendlichen und Lehrer bald das Abi feiern.