Duisburg. . Das Deutsche Blindenhilfswerk lud sehbehinderte Siebt- und Achtklässler der Johanniterschule zu einem Workshop ins Lehmbruck-Museum ein.
Gebannt und fasziniert lauscht Kalaivani (13) den Stimmen, die aus den Kupfertrichtern erklingen. Vorsichtig ertastet sie dann mit ihren Fingern die aus Kupfer gefertigte Installation namens „Schildkrötenseufzerbaum“. Die junge Essenerin erlebt mit neun anderen Klassenkameraden der Johanniterschule für sehbehinderte Kinder und Jugendliche die Ausstellung „Hauchkörper als Lebenszyklus“ von Rebecca Horn im Lehmbruck-Museum hautnah mit. Ein Kunsterlebnis, das buchstäblich zum Anfassen ist.
Messingstäbe als Arbeitsmaterial
Diesen zweiteiligen Workshop hat das in Duisburg beheimatete Deutsche Blindenhilfswerk organisiert. Im gestrigen ersten Abschnitt lernten die Siebt- und Achtklässler der Johanniterschule mit Sitz im Dellviertel die Arbeiten von Rebecca Horn kennen. In Teil zwei am morgigen Mittwoch sollen die Schüler dann ihre Erfahrungen aus dem Museumsbesuch im schuleigenen Werkraum nutzen, um selbst künstlerisch tätig zu werden. Dabei kommen auch Messingstäbe zum Einsatz sowie weiteres Material, das Rebecca Horn einst bei ihrem kreativen Schaffensprozess genutzt hatte. „Wir haben bereits zahlreiche Projekte dieser Art mit der Johanniterschule durchgeführt“, berichtet Simone Henzler, die Sprecherin des Blindenhilfswerks.
Geleitet wird der Workshop von Tom Koesel (57) aus Köln. Er ist selbst Künstler, aber auch ein gefragter Dozent. Seinen Rundgang für die Schüler startet er im Lehmbruck-Trakt. Von dort geht es in den Außenbereich des Museums, wo andere Großskulpturen – etwa von Henry Moore oder Tony Cragg – erfühlt und ertastet werden wollen.
„Für unsere Schüler ist ein solches Projekt natürlich eine willkommene Abwechslung zum Schulalltag“, weiß Christoph Usler, der stellvertretende Leiter der Johanniterschule. Er begleitet die Delegation bei diesem Ausflug. Das gilt auch für Monika Bender. Sie ist selbst sehbehindert und unterrichtet als Kunstlehrerin an der Johanniterschule. „Hier können die Schüler mit verschiedenen Sinnen die Kunstwerke erfahren. Es gibt auch etwas zum Anfassen und zum Hören“, so Bender. „Das macht die Sache für die Kinder natürlich viel attraktiver. Für sie ist das ein Riesenerlebnis.“
Der Schildkrötenseufzerbaum ist „bewundernswert“
Das stimmt. „Es ist ganz toll hier“, sagt die 13-jährige Kalaivani und strahlt. Den „Schildkrötenseufzerbaum“ (1994) von Horn findet das Mädchen „einfach nur bewundernswert“. Lange habe sie den verschiedenen Stimmen gelauscht, die aus den Kupfertrichtern erklangen. Zu hören waren Menschen, die in verschiedenen Sprachen von ihren Sorgen und Nöten erzählen.
Plötzlich beginnt das gesamte Kunstwerk zu wackeln und zu vibrieren. Einige der Kinder erschrecken sich kurz, obwohl sie wussten, dass dies Bestandteil der Installation ist. „Die Künstlerin hat kleine Motoren in ihrem Werk verbaut, die per Bewegungsmelder oder Zeitschaltuhr aktiviert werden“, erklärt Dozent Koesel den Schülern. „Woher kommt denn die Frau Horn?“ will eine Schülerin wissen. Und auch solche Fragen weiß Tom Koesel zu beantworten. Auch Materialproben hat er in seinem Gepäck dabei. Etwa einen solchen Kupfertrichter, wie ihn Horn verbaut hat. „Halte den mal an dein Ohr“, sagt Koesel einem Schüler. „Dann spürst du gleich, wie es warm wird.“ Der junge Mann staunt und strahlt. Ein unvergessliches Kunsterlebnis.
Internetseite mit vielen guten Tipps
Künstler Tom Koesel ist auch Projektleiter des Internetportals www.kunst-im-rheinland.de. Er hat 55 Museen im Bereich der Rheinschiene auf ihre Barrierefreiheit hin überprüft.
So können auch sehbehinderte Menschen bereits im Vorfeld klären, ob es in einem Museum etwa auch Tastobjekte gibt, die angefasst werden dürfen.