Duisburg. . Zum Abschluss der Ausstellung „An der Oberfläche“ spricht der Weltstar der Bildhauerei mit Söke Dinkla im Lehmbruck-Museum über das Innere der Kunst.

  • Die Stühle wurden knapp, denn etwa 200 Kunstinteressierte verfolgten das Gespräch
  • Es schlägt einen Bogen von Rodin bis in die Gegenwart, in der alles Material ist
  • „Nur die Kunst gibt den Dingen Wertigkeit und Bedeutung“, sagt Bildhauer-Weltstar Cragg

Wenn ein Weltstar der Bildhauerei im Lehmbruck-Museum zu Gast ist, werden die Stühle knapp. Museumschefin Söke Dinkla, die zum Abschluss der Ausstellung „An der Oberfläche_On Surface“ am Sonntag Tony Cragg begrüßen konnte, nannte den Andrang „überwältigend“. Etwa 200 Kunstfreunde wollten den britischen Bildhauer erleben, der lange an der Kunstakademie Düsseldorf gelehrt und sie schließlich für vier Jahre geleitet hat. Seit 1977 lebt er in Wuppertal, wo er 2008 den Skulpturenpark „Waldfrieden“ eröffnet hat.

Söke Dinkla begann das Gespräch mit einem Cragg-Zitat: „Jeder Zentimeter Oberfläche hat seine Richtigkeit und Wertigkeit und ist eine Funktion von der Substanz unter der Oberfläche. Alle Bildhauer sind sich dessen sehr bewusst und wissen, dass alle Oberflächen, besser gesagt alles, was wir sehen, eine Konsequenz ist von verborgenen Strukturen und Energien.“ Dieses Verborgene, das, was hinter der Oberfläche wirkt, treibt ihn besonders um, machte Cragg im Laufe des Gesprächs deutlich, das eigentlich eine Zusammenfassung des einstündigen Gesprächs war.

Rodin wagte erstmals eine raue Oberfläche für seine Figuren

Beim Rückblick auf Rodin, der es erstmals wagte, seinen Figuren eine raue Oberfläche zu geben (wie in der Ausstellung seine „Eva“ deutlich machte), stellte Cragg einen Zusammenhang her zu Sigmund Freud, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Seele zum Forschungsobjekt machte. Bis dahin habe die Bildhauerei das Abbild gepflegt, Rodin habe die Emotionalität aufgegriffen und damit „einen neuen Raum betreten“, so Cragg. Er schlug dann einen großen Bogen über Brancusis Geometrie zu Duchamps, der schließlich die ganze Materialwelt eingebracht hat. „Die Kernfrage ist: Wie wirkt das Material auf uns?“

Nachdem sich dann drei Generationen von Künstlern über Fragen des Materials „die Köpfe eingeschlagen haben“, sei er als 25-Jähriger zu den Ideen und Themen gekommen, „die ich bis heute bearbeite“. Der Alltag sei geprägt von der „einfachen Geometrie der Industrie“. Daher langweile die städtische Realität. „Das industrielle Design ist katastrophal“, so Cragg. Ihn bewege die Frage, wie sich Vorstellungen und Fantasie entwickelten. Er habe Spannendes, psychologisch Wichtiges, Emotionales hervorbringen wollen. Eine erste Wahrnehmung sei der eigene Körper, „obwohl andere Körper natürlich auch interessant sind“, so Cragg humorvoll.

Der Künstler, der sich brennend für die Wissenschaft interessiert, konzediert, dass sie zwar „das größte Beobachtungssystem“ sei, aber nur die Kunst „den Dingen Wertigkeit und Bedeutung“ gebe. Der Mensch sei nicht in der Lage, die komplizierten Prozesse, die sich im Kopf – stets auf der Basis von Material, eben Neuronen – abspielen, zu verstehen. „Das Universum ist in einem Stück Ton.“