Duisburg. . Die 34-Jährige Sarah berichtet von ihrer Sucht nach Automatenspielen. Als Frau ist sie in Casinos längst keine Minderheit mehr.
Nur ein Euro war nötig, um Sarahs Leben aus der Bahn zu werfen. „Damals, im Jahr 2009, habe ich mich regelmäßig zum Billardspielen mit Freunden in der Spielhalle getroffen“, erinnert sich Sarah (Name geändert). „Zwischendurch warf ich einen Euro in den Automaten – und 75 Euro kamen unten raus.“ Ein Glücksgefühl! Sarah schmiss immer mehr Münzen in den Schlitz. Bis sie es schließlich nicht mehr lassen konnte, nur noch ans Knöpfedrücken dachte. Sarah ist spielsüchtig. Und damit ist sie nicht allein. Denn Casino- und Internetglücksspiel-Betreiber entdecken zunehmend Frauen als lukrative Zielgruppe.
Mutter findet Kontoauszüge
Schon einige Wochen später, besucht Sarah alleine die Spielhalle und hockt stundenlang vor der blinkenden Maschine. „Das Geld habe ich direkt in der Spielhalle abgehoben und gleich wieder eingesetzt“, sagt die gelernte Hauswirtschafterin. Nach einem Jahr merkt die damals 25-Jährige, dass sie ein Problem hat. „Meine Mutter hatte zufällig Kontoauszüge gefunden.“ Innerhalb von zwei Wochen verzockt Sarah ihr Monatsgehalt von 900 Euro, überzieht das Konto über 250 Euro ins Minus. „2010 fing ich dann die erste stationäre Therapie an.“ Anderthalb Jahre bleibt Sarah danach spielfrei. Dann kehren die Probleme und alte Muster zurück. „Es wurde immer extremer.“ Schließlich bestiehlt sie Freunde und die Eltern. „Wenn irgendwo ein Portemonnaie herumlag, habe ich Geld daraus geklaut.“ Das Vertrauen der Menschen um sie herum ist zerstört.
„Spieler sind gute Schauspieler und lügen häufig, um an Geld zu kommen“, weiß Ulf Weidig, der Sarah als Therapeut für Spielsucht, bei der Alexianer Bürgerhaushütte in Rheinhausen seit Jahren begleitet. „Manche werden kriminell, um sich Geld für die Sucht zu beschaffen, ähnlich wie bei Drogenabhängigen.“ Spielt Sarah nicht, quälen sie Schweißausbrüche, Herzrasen und Gliederschmerzen. „Dann bin ich körperlich auf Entzug“, sagt sie.
Spielsüchtige sind stark suizidgefährdet
Am Automaten fühlt sich Sarah dagegen sicher, dort drückt sie ihre Probleme weg. „Spielen bedeutet für mich Stressabbau. Dabei kann ich abschalten, es ist eine Flucht aus der Realität.“ Ein Hochgefühl, wenn die Maschine dudelt, ab und an doch mal einen Gewinn auswirft. Doch das Glück versiegt schnell, dagegen steigt der Druck, immer mehr Geld für die Sucht beschaffen zu müssen. „Irgendwann habe ich gar nichts mehr gefühlt, war innerlich leer.“ Depressionen schleichen sich ein, Sarah kann nicht mehr arbeiten – und versucht 2015, sich das Leben zu nehmen. „Ich hatte nur noch einen Scherbenhaufen im Kopf.“ Es folgt eine zweite stationäre Therapie.
„Spielsüchtige sind stark suizidgefährdet, man spricht von etwa einem Viertel der Spieler“, erklärt Ulf Weidig. „Sie plagen Schuld- und Schamgefühle.“
Zwar spielen insgesamt mehr Männer, Betreiber entdecken aber zunehmend die weibliche Zielgruppe, wissen Sarah und ihr Therapeut. „Frauen sitzen eher in den gepflegteren Spielhallen, die sich dann Casinos nennen und nette Getränke umsonst anbieten“, sagt Ulf Weidig. „Dort trifft man alle Altersklassen, von der Jungen, die ihr Kind mitbringt, bis zur älteren Dame mit Rollator“, ergänzt Sarah, die heute 34 Jahre alt ist. Jedoch suchen Frauen seltener Hilfe als Männer. „Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Ulf Weidig. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Denn Internet-Glücksspiele sind bequem von zu Hause aus zu spielen. „Das ist ein zunehmender Trend, gerade bei Frauen.“
Ziele für die Zukunft setzen
Als Frau habe Sarah zudem die Erfahrung gemacht, schwer einen Platz in Therapiegruppen zu bekommen. „Da wollten die Männer unter sich bleiben, so dass ich bei den Alkohol- und Drogenabhängigen gelandet bin.“ Dort habe sie sich jedoch kaum verstanden gefühlt. Bei den Alexianern in Rheinhausen hat sie nun eine Gruppe gefunden, die offen ist und an der eine weitere Frau teilnimmt. „Wir verstehen uns alle gut miteinander und können uns gegenseitig helfen“, sagt Sarah.
Seit vier Wochen ist sie nun spielfrei und hofft, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. „Mein Ziel ist es, eine Arbeitsstelle zu finden, irgendwann zu heiraten und Kinder zu bekommen.“ Das wäre ihr größtes Glück.
Sperren in Spielhallen einrichten
Wenn Ulf Weidig aus seinem Bürofenster schaut, blickt er auf eine Spielhalle. „Wenn diese schließt, bräuchte man nur 150 Meter weiter gehen und würde auf die nächste treffen“, sagt der Therapeut für Spielsucht, der bei der Alexianer Bürgerhaushütte in Rheinhausen seit vielen Jahren Menschen behandelt, die krankhaft ihr Geld verzocken. Weidig weiß: „Geschätzt gibt es derzeit etwa 2200 süchtige Spieler in Duisburg.“ Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.
Rund 80 Prozent von ihnen hängen am Automaten, zehn Prozent setzen auf Sportwetten, der Rest sucht den Kick in anderen Glücksspielen. „Das Spielen in Wettbüros und im Internet mit illegalen Anbietern nimmt rasant zu und lässt sich kaum eingrenzen.“
Fast 90 Prozent der Betroffenen sind Männer. Für sie bedeutet das Drücken der Automatenknöpfe Stressabbau. „Entspannung durch Anspannung“, erklärt Weidig. Das Suchtzentrum im Hirn werde genauso angesprochen wie bei harten Drogen. Betroffene verzocken innerhalb kürzester Zeit oft Vermögen. Daher fordern Fachleute, dass sich Süchtige in Spielhallen sperren lassen können, „ähnlich wie in großen Casinos“. In Hessen wurde diese Möglichkeit bereits 2014 geschaffen, „seitdem haben 25 Prozent der Spielhallen geschlossen“. Daran lasse sich erkennen, wie sehr die Betreiber von den Süchtigen abhängig sind.
Der Prozess des langfristigen Automatenabbaus verlaufe eher zäh. Schließlich verdienen am vermeintlichen Vergnügen nicht nur Spielhallen und Gastronomen (in 2016 zusammengerechnet fast 52 Mio. Euro). Auch der Kommune spült das Glücksspiel Geld in die Kasse. „Von jedem Euro, der in einen Automaten geworfen wird, bekommt die Stadt 20 Cent.“
>>> Selbsthilfegruppe bei den Alexianern
Sind Betroffene einsichtig, haben sie gute Chancen, dass eine Therapie langfristig hilft . „Etwa 60 Prozent bleiben am Ende spielfrei“, weiß Ulf Weidig.
Jeden Dienstag trifft sich eine Selbsthilfegruppe in den Räumen der Alexianer, Hochemmericher Markt 1-3. Info unter: 02065- 25569-0