Der langjährige Geschäftsführer des Duisburger Diakoniewerkes geht in der Ruhestand. Sieghard Schilling galt als „soziales Gewissen“.

  • Der 65-jährige Homberger geht nach 38 Jahren in der Diakonie in den Ruhestand
  • Der Sozialpädagoge war über 20 Jahre Geschäftsführer des Diakoniewerkes
  • Seine Arbeit war geprägt im steten Kampf um soziale Gerechtigkeit

Duisburg. Er galt und gilt als „soziales Gewissen“ in der Stadt. Oft auch in unverblümter, klarer Sprache: Sieghard Schilling, seit über 20 Jahren Geschäftsführer des Duisburger Diakoniewerkes geht Ende des Monats in den Ruhestand. „Ich hatte eine Traumjob“, sagt er.

Ein Traumjob? Eigentlich hartes Managen sozialer Not, in der Wohnungslosenhilfe, in der Betreuung von Suchtkranken, in der Jugendhilfe und vor allem im Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit. Das muss man wollen und leben. Der 65-Jährige tat dies. 38 Jahre lang. Schon noch zu Studentenzeiten arbeitete der Sozialpädagoge in Neuenkamp mit arbeitslosen Jugendlichen, wurde dann pädagogischer Leiter im Verein für Jugendsozialarbeit, 1992 Geschäftsführer im Diakonischen Werk und 1996 Chef des Diakoniewerkes mit seinen aktuell 500 Mitarbeitern. Noch am letzten Arbeits- und Novembertag ist für 16 Uhr eine Diakoniekonferenz angesetzt, offiziell verabschiedet wird der Homberger daher schon jetzt am Freitag.

Kommunismus und Kirche, für Schilling kein Spagat, sondern eine Entwicklung. Als Student aus einer Arbeiterfamilie gehörte er dem marxistischem Studentenbund MSB an, war Öffentlichkeitsreferent im Asta der Duisburger Uni. „Dort habe ich das politische Handwerk gelernt“, erinnert er sich. Und Grundüberzeugungen gewonnen. Vor allem im steten Ringen um soziale Gerechtigkeit.

„Die Diakonie in Duisburg ist eine politische Diakonie“, stellt er Sieghard Schilling klar.
„Die Diakonie in Duisburg ist eine politische Diakonie“, stellt er Sieghard Schilling klar. © Thomas Goedde

Der Studentenjob brachte ihn damals zur Diakonie. „Ich habe über die Arbeit zurück zur Kirche gefunden“, sagt der 65-Jährige. Er glaubt, findet Halt in ihm – auch ohne den „bärtigen Mann im Himmel“ und mit der lutherischen Losung, dass „das Leben auf der Erde stattfindet“. Nächstenliebe ist für ihn ein zentraler christlicher Wert und zugleich sozialer und politischer Auftrag. „Die Diakonie in Duisburg ist eine politische Diakonie“, stellt er klar und streift im Gespräch kurz die Befreiungstheologie Südamerikas.

Schilling war dabei nie der Typ des „Heile-Welt-Samariters“. Sondern stets robuster, kämpfender und auch fordernder Manager des Sozialen, der gegenüber Institutionen ebenso die „klare Ansage“ pflegt wie gegenüber seiner Klientel in der Wohnungslosenhilfe oder der Trinkerszene. Kompromisslos in den Zielen und Werten, aber lösungsorientiert am Machbaren. Das wissen auch Politiker in den Ausschüssen nur zu gut. „Klar und konsequent“, nennt er das. Auch in der Führung des Diakoniewerkes. Man muss Verantwortung übernehmen, lautet seine Devise.

Sein Grundsatz: Alle gehören dazu

Die Welt gerechter gestalten, das gilt Schilling als oberstes Ziel. Dass die Schere von Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft, bringt ihn auf die Palme. „Wir brauchen nicht noch 500 Sozialarbeiter mehr oder weitere Tafeln für Bedürftige, sondern Arbeit und Arbeitsplätze“, nennt er das Kernübel sozialer Ungleichheit und Not: „Die Menschen müssen raus aus der Alimentierung. Das macht sie kaputt.“ Als Skandal nennt er es, dass strukturschwache und sozial ausgeblutete Städte wie Duisburg von Bund und Land alleine gelassen werden. Das erklärt seine Empörung jüngst, als die neue Landesregierung Mittel für den zweiten Arbeitsmarkt radikal einkürzte und damit Projekte in Duisburg zunichte machte.

„Alle gehören dazu“ ist seine Maxime. „Soziale Inklusion“, nennt er das. Sie gilt zum Beispiel auch für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und Zuwanderern, ebenso für die Trinkerszene in der Innenstadt. Das gerade mal auf ein Dutzend Betroffener gemünzte Promilleverbot hat er mehrfach inhaltlich wie verbal zerpflückt. Gegeißelt hat er diese Art der Ausgrenzung und Vertreibung, die keine Lösung ist, sondern nur ein Wegschieben.

Der Homberger und Sportler: Sieghard Schilling ist auch  Vorsitzender des Homberger TV (im Bild mit Geschäftsführer Gunther Finkel, re.) und kämpft auch dafür, dass der Verein einen Rasenplatz bekommt.
Der Homberger und Sportler: Sieghard Schilling ist auch Vorsitzender des Homberger TV (im Bild mit Geschäftsführer Gunther Finkel, re.) und kämpft auch dafür, dass der Verein einen Rasenplatz bekommt. © Tanja Pickartz

Sisyphos-Arbeit über Jahrzehnte liegt nun hinter dem 65-Jährigen. Immer mit der Überzeugung, „dass man Dinge verändern kann“. Ein Marathon. Den ist der passionierte Sportler 27 Mal gelaufen. Auch das eine Typfrage: „Das ist auch eine Grenzerfahrung. Sie zeigt einem auch immer: Es geht mehr als man denkt.“ Künftig gehen andere Dinge - ohne Grenzerfahrung. „Ich habe keine Angst vor der vermeintlichen Bedeutungslosigkeit“, unterstreicht der baldige Ruheständler und freut sich auf das Leben in der Familie, mit seiner Frau, mit seinen beiden erwachsenen Kindern und dem Enkel, mit seinem Freundeskreis.