Duisburg. . Asyl und Armut: Probleme, die auf Duisburg lasten. Lösungen fordert Sieghard Schilling, Geschäftsführer des Diakoniewerkes.
Sieghard Schilling ist Dipl. Sozialpädagoge. Als Geschäftsführer des Diakoniewerks versteht er sich aber vor allem als Manager, der seinen Klienten, sei es nun in der Sucht- oder Wohnungslosenhilfe, gute Dienstleistungen anbieten möchte. Der 63-Jährige geht mit wachem Blick durch die Stadt, kritisiert, dass die soziale Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht – und noch mehr, dass es in der Stadt von Seiten der Politik keine konzertierte Aktion dagegen gibt. Ein Gespräch über die aktuelle Asyl-Problematik und die drängendsten sozialen Fragen.
Wie schätzen Sie die Asyl-Lage in Duisburg ein?
Sieghard Schilling: Derzeit leben 2600 Flüchtlinge in Duisburg, pro Monat kommen 400 dazu. Es wird schwierig sein, so schnell adäquaten Wohnraum zur Verfügung zu stellen und die notwendige Betreuung zu organisieren.
Wie zufrieden sind Sie mit dem Management in Bezug auf das Thema Asyl der Stadt?
Schilling: Das Management der Stadt könnte besser sein, aber ich weiß, dass alle Beteiligten in der Sozialverwaltung am Rande ihrer Kapazitäten operieren. Ein Management kommt immer dann an die Grenzen, wenn personelle und sachliche Ressourcen nicht ausreichen. Eigentlich müssten Mitarbeiter aus anderen Verwaltungsbereichen versetzt werden, um alles bewältigen zu können
Erfüllt der Runde Tisch seine Aufgabe?
Schilling: Am Runden Tisch sollten Leute sitzen, die etwas machen wollen. Ratschläge gibt es schon genug. Er müsste zielorientierter arbeiten. Der Oberbürgermeister sollte stattdessen die Bezirksbürgermeister und Verwaltungsverantwortlichen zusammenziehen und einen Masterplan entwickeln.
Sie haben wiederholt den fehlenden geistigen Überbau für die Asylpolitik kritisiert. Nun gibt es einen Duisburger Appell. Reicht das?
Schilling: Der Appell ist inhaltlich die Beschreibung des von mir eingeforderten geistigen Überbaus. Leider ist es nicht gelungen, alle relevanten Gruppen und auch Parteien mit einzubeziehen, um eine wirkliche konzertierte Aktion daraus zu machen. Die CDU hat nicht unterschrieben, die Grünen wurden nicht eingebunden – es müsste einen Konsens geben. So ist der Aufbruch, der von einem Appell ausgehen sollte, verpufft.
Nichts desto trotz engagieren sich an der einen oder anderen Stelle die Bürger ehrenamtlich. Sind Sie mit der Willkommenskultur zufrieden?
Schilling: Dort, wo sich vor Ort Unterstützerkreise gebildet haben, gibt es Hilfsangebote und eine Willkommenskultur. Man sollte aber nicht naiv sein, dass das für den gesamten Stadtteil gilt. Überall entwickeln sich auch Ängste, die aus konkreten Vorkommnissen im Alltag entstehen. In Neumühl haben zum Beispiel Nachbarn Angst, ihren Müll rauszubringen, weil der durchwühlt wird und dann in der Gegend rumfliegt.
Angesichts der aktuellen Asyl-Debatte ist das Thema Zuwanderung ein bisschen in den Hintergrund gerückt.
Schilling: Das stimmt, es wird derzeit gar nicht diskutiert, aber das heißt nicht, dass es die Probleme nicht mehr gibt. Allerdings ist in der Zuwandererfrage die Stadt Duisburg nicht so sehr in der administrativen Pflicht, sondern muss sich um das Zusammenleben kümmern. Die Zugewanderten müssen sich selbst um eine Wohnung bemühen. Es gibt eindeutig eine Verlagerung der Rumänen und Bulgaren aus dem Stadtteil Rheinhausen in den Norden nach Marxloh. Es ist stellenweise erschreckend, wie die Menschen leben und ich bewundere den Langmut der Marxloher. Zum Glück gab es bisher noch keine größeren Zerwürfnisse.
Von Armut sind nicht nur Zuwanderer und Flüchtlinge betroffen, sondern auch Duisburger, die schon lange hier leben. Hat sich die Situation verschärft?
Schilling: Früher haben wir immer gesagt, es gibt bei der Armutsverteilung in Duisburg ein Nord-Süd-Gefälle. Aber das stimmt so nicht mehr. Vor 20, 30 Jahren sind etwa in der Wohnungspolitik Fehler gemacht worden, die heute kaum wieder gut zu machen sind. Als fast Alt-68er war ich immer ein Verfechter von Multi-Kulti. Allerdings leben die Menschen in New York in Little China-Town oder Little Italy. Marxloh ist dank der türkischen Geschäftsleute auf einem guten Weg. Trotzdem muss die Gesellschaft offen und durchlässig sein.
Klafft die soziale Schere weiter auseinander?
Schilling: In Duisburg gibt es 30.000 Arbeitslose, davon beziehen 80 Prozent Hartz IV. Bundesweit sind es nur 70 Prozent. Es gibt Familien, da beziehen die Kinder in zweiter und dritter Generation Sozialleistungen. Da fehlt es oft an Geld, Bildung und Perspektiven. Andererseits brauchen wir künftig Fachkräfte. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir die Personen dauerhaft von gesellschaftlicher Teilhabe ausschließen. Ich sehe die Gefahr, dass wir eine ganze Gruppe Jugendlicher abschreiben, von denen man denkt, dass sie nicht ausbildungsfähig sind.
Wie könnte man die Armutsentwicklung stoppen?
Schilling: Wir brauchen einen Systemwechsel. Bei Hartz IV war mal von Fördern und Fordern die Rede. Wir sollten die Leistungen für Unterbringung und die Sozialhilfe zusammenlegen und aufstocken, so dass die Menschen versicherungspflichtig beschäftigt werden können. Dazu braucht man öffentlich geförderte Beschäftigung, damit die Betroffenen einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen können und von ihrem eigenen Verdienst leben können. Gleichzeitig sollten die Personen für dieses Geld arbeiten gehen.
Ein-Euro-Jobber gab es mal in großer Anzahl, allerdings sind die Mittel dafür drastisch gekürzt worden.
Schilling: Es sollen auch keine Ein-Euro-Jobber sein. Gemeinwohlarbeit war und ist die Ultima Ratio in der Beschäftigung von Menschen. Es gibt genug Arbeit und Bedarf. Dabei können die Personen qualifiziert werden. Wir müssen das Delta zwischen den Ansprüchen der Wirtschaft und dem Stand der Qualifikation der Betroffenen schließen.
Das wäre das Eingeständnis, dass es ohne einen zweiten Arbeitsmarkt nicht geht. So würde dauerhaft eine Parallelwelt entstehen.
Schilling: Den Begriff Parallelwelt habe ich nicht gebraucht. Es geht um einen Passiv-Aktiv-Tausch. Ich bin der festen Überzeugung, dass die meisten Menschen nicht von staatlichen Leistungen leben wollen, sondern arbeiten wollen. Auch öffentlich geförderte Beschäftigung muss immer zum Ziel haben, die Menschen dauerhaft in Arbeit zu bringen. Dann kommen Selbstvertrauen und Stolz zurück. Aber es stimmt, es wäre ein Systemwechsel.
Derzeit haben die Tafel oder die Schulmaterialkammer regen Zulauf.
Schilling: Die Tafel hat vor kurzem ihren 20. Geburtstag gefeiert – und auch Immersatt leistet eine wichtige Arbeit. Ich ziehe den Hut vor dem Engagement der Leute, aber am liebsten wäre mir, wenn die Tafel gar nicht notwendig wäre. Wir haben ein System geschaffen, dass die Menschen dauerhaft alimentiert. Wir haben keine Erkenntnisprobleme in Bezug auf die Armutssituation in Duisburg. Die Fakten liegen auf dem Tisch, aber es fehlt ein Gesamtkonzept. Wir brauchen den politischen Konsens, der sagt, ja es gibt in Duisburg Armut. Ziel kann es doch nicht sein, noch 37 Tafeln zu eröffnen, sondern das Problem zu lösen. Dass die Stadt kein Geld hat, darf kein Totschlag-Argument sein.
Bei all den sozialen Schwierigkeiten – woraus schöpfen Sie Ihre Kraft?
Schilling: Ich bin politisch sozialisiert worden, habe mich als Student im AStA engagiert und bin in dem festen Glauben aufgewachsen, dass man Dinge verändern kann. Zudem kann ich auf ein Netzwerk von Menschen vertrauen, die in Duisburg etwas verändern wollen. Ich bin ein Kämpfer und habe noch eine Vision. Ich hab’ nur ein Problem: Das Gegenmodell ist gescheitert. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass das Soziale in der sozialen Marktwirtschaft die Grundlage für unser Gesellschaftssystem bleibt.