Duisburg. . Möglichst schnell und erfolgreich wollen Nigin und Niga in der Schule sein. Das, so hoffen die Mädchen, verhindert ihre Abschiebung in den Irak.

  • Nigin (16) und Niga (13) flüchteten vor einem Jahr aus dem Nordirak nach Deutschland
  • Sie lernen so schnell, dass sie schon nach bald die Regelklasse der Realschule besuchen können
  • Die Mädchen hoffen, dass Ihr Lerneifer und die erfolgreiche Integration die Abschiebung verhindert

Wer verstehen will, warum sich eine Familie aus dem Nord-Irak mit vier Kindern auf eine beschwerliche Flucht nach Deutschland macht, muss die ungeschriebenen Gesetze kennen, die in einem Dorf unweit der Stadt Sulaymaniyah gelten. Wo die Scheidung einer zerrütteten Ehe nicht vorgesehen ist, Frauen und Kinder aber Gefahr laufen, vom Mann und Vater getötet zu werden. Wo die kurdische Gesellschaft aber dennoch nicht zulässt, dass sich Frau und Kinder allein flüchten vor der eigenen Familie und der Gewaltherrschaft der IS-Terroristen.

„Als der König Herodes hörte, dass Jesus geboren war zu Bethlehem, rief er die Weisen zu sich und sagte: „Forschet nach dem Kindlein, wenn ihr es findet, so sagt’s mir, damit ich auch komme und es anbete.“ (Aus dem Lukas-Evangelium)

Familie fürchtete um das Leben der Mutter

Eine Zukunft ohne Hoffnung für Mädchen wie Nigin (16) und ihre Schwester Niga (13): Zur Schule waren sie wegen eines Lehrerstreiks schon ein halbes Jahr nicht mehr gegangen, als sich die Familie im Sommer 2015 auf den Weg Richtung Westen machte. Die Entscheidung, berichtet die Tochter, fiel wohl auf Druck der Familie, die um das Leben ihrer Mutter Khalat fürchtete.

„Die Weisen folgten dem Stern, fanden das Kind mit Maria, beteten es an und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe. Gott befahl ihnen im Traum, nicht zu Herodes zurückzukehren und sie zogen auf einem anderen Weg zurück in ihr Land.“

Für einen Flug nach Izmir reichte das Geld für Eltern, die älteren Töchter und die zwei Kleinen, Shadyar (6) und Shanur (3). Dann folgten sie sich ein in den Treck Richtung Deutschland. „Dort ist es besser“, hatte Mutter Khalat den Mädchen erklärt, „alle Menschen haben die gleichen Rechte.“ Mit dem Boot nach Griechenland, dann weiter, mal zu Fuß, mit dem Bus: „Es war kalt, gefährlich“, erinnert sich Nigin. „Wir übernachteten oft unter freiem Himmel.“ So kamen sie bis München, wurden einer Sammelunterkunft in Dortmund zugewiesen, ehe sie im Dezember schließlich nach Duisburg umzogen.

Nigin (mit Nike-Pullover) und ihre Schwester Niga Mustafa hoffen auf eine Zukunft in Deutschland
Nigin (mit Nike-Pullover) und ihre Schwester Niga Mustafa hoffen auf eine Zukunft in Deutschland

„Als sie weggezogen waren, erschien ein Engel dem Joseph und sprach: Nimm das Kind und seine Mutter und flieh’ nach Ägypten. Bleib’ dort, bis es es dir sage, denn Herodes sucht das Kind, um es umzubringen. So blieben sie in Ägypten bis zum Tod des Herodes.“

Es hätte wohl schlechter laufen können seither. Die Mutter schaffte die Trennung vom Vater, mit den Kindern lebt sie nun in einer Wohnung an der Molbergstraße in Wanheim. „Alles ist mit Zetteln vollgeklebt, jeder Gegenstand mit dem deutschen Wort“, berichtet Martin Redies, der als ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer die Familie als Pate betreut und Nachhilfe-Unterricht gibt in der Realschule-Süd.

Abgelehnter Aslyantrag besorgt die Familie

Der Lerneifer sollte sich auszahlen. Am 1. Juni hatten sie ihren ersten Schultag in der Internationalen Vorbereitungsklasse mit Jugendlich aus Bulgarien, Rumänien, Syrien und Afghanistan. Nigin, die 16-Jährige macht so große Fortschritte, dass sie schnell in einigen Fächern die Regelklasse besuchte, bald schon ganz wechseln wird. Auch Niga kommt gut voran. „Wahrscheinlich wechseln beide im Sommer“, sagt Schulleiter Klaus Friede.

„Als Herodes bemerkte, dass ihn die Weisen betrogen hatten, wurde er sehr zornig und befahl, alle Kinder in Bethlehem und in seine, ganzen Land zu töten, die jünger als zwei Jahre waren.“

Die Hoffnung, in Deutschland bleiben zu dürfen, hat sich vorerst nicht bestätigt. Der Asyl-Antrag wurde abgelehnt. „Die Familie ist sehr beunruhigt, die Angst vor Abschiebung ist täglich ein Thema“, sagt Pate Martin Regdies. Warum all ihre Anstrengungen möglicherweise vergeblich waren, dass kann Nigin nicht verstehen. „Ich kennen andere, die sind seit vier Jahren hier, haben kein Deutsch gelernt und haben eine Duldung bekommen.“

„Als Herodes gestorben war, erschien der Engel dem Joseph und sprach: Zieht hin in das Land Israel. Er nahm das Kindlein und seine Mutter zu sich und kam in das Land Israel. Weil er sich fürchtete vor dem neuen König Archelaus, dem Sohn des Herodes, zog er nach Galiläa und wohnte in der Stadt Nazareth.

Gelungene Integration kann sich günstig auswirken

Über John Spiekermann, ihren Anwalt, hat die Familie Widerspruch eingelegt gegen die Entscheidung des Bundesamtes für Migration. Solang darüber nicht entschieden ist, kann die Familie bleiben. „Bis zu einem Jahr kann damit vergehen. Dann muss man weitersehen“, sagt der Jurist. Im Moment wird nicht gekämpft in Heimat der Familie – doch das kann sich bald ändern. Bei der Frage, ob sich der Aufenthalt „verfestigt“ werde auch die Integrationsleistung bewertet. „Da spielt auch eine Rolle, wie gut die Kinder Deutsch sprechen.“

Die Eltern Jesu machten sich nach dem Passahfest von Jerusalem auf den Heimweg, der junge Jesus aber blieb in der Stadt, ohne dass seine Eltern es merkten. Nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel, er saß unter den Lehrern, hörte ihnen zu und stellte Fragen. Alle, die ihn hörten, waren erstaunt über sein Verständnis und seine Antworten. Jesus wuchs heran, seine Weisheit nahm zu und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen.

Auch Khalat, die Mutter, möchte bald wieder arbeiten. „Sie ist Schneiderin, sollte hier gute Chancen haben“, sagt Pate Martin Redies. Im Irak leitete sie eine eigene Werkstatt – aber die war im Haus des Vaters. Ihm erneut ausgeliefert zu sein, ist die größte Angst von Nigin: „Er könnte uns töten, wenn wir abgeschoben werden.“ Noch bleibt Hoffnung, Träume. „Ich möchte Mathematik studieren“, berichtet Niga. Nigin interessiert Jura. „Die Menschen sind nicht alle gleich. Ich möchte das ändern.“ Wenn es gut läuft, wird sie erst in der Universität erfahren, dass Recht oft ziemlich wenig mit Gerechtigkeit zu tun hat.