Duisburg. Nach Ankündigung von Sparprogrammen und dem möglichen Zusammenschluss mit Tata demonstrierten tausende Stahlkocher vor der Duisburger Firmenzentrale.
Stahlarbeiter können Hitze gut verpacken. Doch derzeit kocht es in den Beschäftigten von Thyssen-Krupp Steel derart heftig, dass sie am Mittwochmittag bei einem Aktionstag mit 9000 Teilnehmern vor der Firmenzentrale im Duisburger Norden ihrem aufgestauten Frust kollektiv Luft machen wollten.
Der Unternehmensvorstand hatte bei einer Sitzung mit den Betriebsräten im Juni den Hammer ausgepackt und plötzlich Schlagworte wie „Standortschließungen“ und „Personalabbau“ auf den Tisch geworfen. Seitdem geht in den Belegschaften die Angst um. Angst um den Arbeitsplatz, Angst um den Firmenstandort, Angst um die Zukunft der eigenen Familie. Denn wenn der Branchen-Gigant Thyssen-Krupp zum Patienten wird, droht allen Stahlunternehmen die Intensivstation.
Stahlarbeiter sind verunsichert und wollen gesicherte Informationen
So lässt sich auch die große Solidarität innerhalb der Arbeiterschaft erklären, die am Mittwoch nicht nur auf Transparenten sichtbar wurde, sondern zur festen Überzeugung jedes Beschäftigten zählt. „Der Vorstand versucht, einen Keil zwischen die Standorte zu treiben, um uns zu spalten. Das machen wir aber nicht mit“, sagt Peter Römmele (38), der sein halbes Leben in der Kaltwalzabteilung am Duisburger Stahl-Standort Beeckerwerth malocht. „Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen.“
Noch größer als der Unmut ist bei allen Aktionstag-Teilnehmern das Verlangen nach gesicherten Informationen. Welchem Standort droht welches Schicksal? Bin ich persönlich auch betroffen? Es sind Fragen wie diese, die derzeit so quälend und unnachgiebig in der Magengegend bohren. „Die Empörung bei uns im Laden ist groß, weil bislang keiner genau weiß, was kommen wird“, klagt Johannes Mester (59), seit 34 Jahren ein Thyssen-Mann und inzwischen Service-Mitarbeiter im Duisburger Oxygenstahlwerk. Er fordert wie Tausende Kollegen, die aus ganz NRW und anderen Teilen der Republik den Weg nach Duisburg angetreten hatten, „endlich Klarheit“.
Auch Stahl-Nachwuchs macht sich Sorgen wegen Schließungsgerüchten
Doch nicht nur die älteren Mitarbeiter machen sich große Sorgen. Auch der Stahl-Nachwuchs fühlt sich plattgewalzt. Etwa Robert Hübner (22). Der junge Mann aus Herne steckt gerade im Werk Bochum in seinem dritten Lehrjahr als Verfahrensmechaniker. Eben jener Standort zählt nach Einschätzung der Betriebsräte aber zu den gefährdeten. „Die Schließungsgerüchte verunsichern uns alle. Wir wollen Antworten haben“, sagt Hübner. Und sein Azubi-Kollege Stefan Schechowzow (23) aus Bochum formuliert seine Zukunftssorge so: „Ich habe Angst, dass ich nach der Ausbildung keine Stelle bekomme. Dabei habe ich mich damals ganz bewusst für Thyssen-Krupp entschieden.“
Diese Ängste, Nöte und Sorgen greifen natürlich auch alle Gewerkschafter auf, die auf der Bühne der IG Metall ans Rednerpult treten. Günter Back, der Gesamtbetriebsrats-Vorsitzende bei TKS, erinnert an den laufenden Tarifvertrag, in dem festgeschrieben ist, dass es bis 2020 keine betriebsbedingten Kündigungen geben darf. „Wir mussten dafür schon schmerzliche Einschnitte wie Arbeitszeitabbau samt Lohnverlusten hinnehmen“, benennt Back die Opfer der Belegschaft. Mit Blick auf drohende Standortschließen brüllt er ins Mikro: „Das lassen wir nicht mit uns machen. Wir haben dem Konzern in Essen schon genug Millionen über den Zaun geworfen.“
Stahlarbeiter-Seele brodelt - es droht weiterer Protest
Je länger die teils in T-Shirt, teils in voller Arbeitsmontur erschienenen Stahlarbeiter den Rednern lauschen, um so heftiger geraten sie ins Schwitzen. Der große Rasenplatz vor der Firmenzentrale liegt zur Mittagsstunde in der prallen August-Sonne. Gratis-Mineralwasser sorgt für etwas Abkühlung. Doch die Gemüter, sie bleiben erhitzt. Etwa, wenn an die Missetaten der Konzernentscheider in den Vorjahren erinnert wird. „Es wurden mit den gescheiterten Stahlwerk-Projekten in Brasilien und in den USA über zwölf Milliarden Euro versenkt“, sagt Werner von Häfen, der Betriebsratsvorsitzende am ebenfalls gefährdeten Thyssen-Standort in Duisburg-Huckingen. „Und wir sollen diese selbst einbrockte Suppe jetzt auslöffeln?!?“, fragt er mit einem Unterton aus Unverständnis und Empörung.
Die Stahlarbeiter-Seele brodelt. „Das hier heute kann nur der Anfang sein“, bereitet Betriebsrat Back die Teilnehmer schon einmal auf kommenden Protest vor. Und die Konzernleitung weiß: Machen Arbeiter und Gewerkschafter Ernst, steht allen Beteiligten ein Gang durchs Stahlbad bevor.