Duisburg. Frederike Koleiski von Eintracht Duisburg zählt bei den Paralympics in Brasilien zu den Favoritinnen im Diskuswurf. Mit der Teilnahme in Rio de Janeiro erfüllt sich ihr großer Traum.

So richtig auf der Medaillen-Rechnung hat sie bisher kaum jemand: Frederike Koleiski. Wenn sie bei den Paralympics in den Wurfring tritt, dann will sie nicht einfach nur teilnehmen. Sie will aufs Treppchen. „Das wäre mein Traum“, sagt die 28-jährige Sportlerin der Eintracht Duisburg während sie ihren Diskus putzt. Ein Traum, der sich vor acht Jahren eigentlich schon ausgeträumt hatte.

Als Jugendliche warf Koleiski Bestweiten. War ein aufstrebendes Talent, möglicherweise sogar eine Kandidatin für die Weltspitze. „Ich hatte die Olympische Flagge über meinem Bett hängen“, sagt sie lächelnd. Dann kneift sie kurz ihre Augen zusammen, so als wolle sie Erinnerungen von damals nicht wieder hochkommen lassen. Es sind Erinnerungen an eine Zeit, in der noch ziemlich vieles anders war. Nach dem Abitur schreibt sich die Leistungssportlerin an der Uni ein, will Lehrerin werden für Mathe und Sport.

Das war damals, aber jetzt ist jetzt. Während sich Frederike Koleiski für ihre Trainingseinheit aufwärmt, erzählt sie, wie ein Bandscheibenvorfall mit 21 Jahren ihre sportliche Karriere zerstört. Zwei lange, schwere Operationen folgen und viele Jahre mit ständigem Aufenthalt in der Reha.

"Weil ich ohne Sport nicht leben kann"

Ein leichtes Zittern liegt in ihrer Stimme, als sie davon erzählt, was jetzt alles nicht mehr so funktioniert wie früher. Davon, dass die Schmerzen eigentlich nie aufhören. Mehrfach muss sie schlucken, um die Fassung zu bewahren.

Das Handicap

Ein Bandscheibenvorfall zerstörte Frederike Koleiskis Träume von den Olympischen Spielen. Zwei Mal musste sie im Brustwirbelbereich operiert werden. Mehrere Wirbel wurden bei den OPs versteift und mit Schrauben fixiert. Innere Organe funktionieren nicht mehr so, wie sie sollen. Hinzu kommt eine Lähmung des rechten Unterschenkels und Nervenirritationen im anderen Bein.

Trotzdem ist sie vor gut 14 Monaten zum Leistungssport zurückgekehrt. „Ich hab irgendwann einfach den Diskus in die Hand genommen. Mal gucken, was eigentlich noch so geht.“ Und es ging erstaunlich viel. Seitdem steht sie fast täglich zwei Mal auf dem Platz und kämpft um jeden Zentimeter, den der Diskus weiter fliegt. In Rio geht sie in der Klasse F44 an den Start.

Doch warum schindet sie sich trotz der Schmerzen jeden Tag auf dem Leichtathletikplatz? „Weil ich ohne Sport nicht leben kann“, schießt es aus ihr heraus. Eine Antwort, so energiegeladen wie der Wurf des Medizinballs, den sie mit einer Rotationsbewegung an die Wand pfeffert.

35 Meter weit

Erst bei dieser Aufwärmübung ist zu erkennen, dass die gebürtige Weselerin eine spezielle Sportlerin ist. So wirklich flüssig ist die Drehbewegung nämlich nicht. „Ich komm nicht ganz rum“, erklärt sie, während sie ein weiteres Mal den Medizinball Richtung Stadionwand schickt. Ihre Beweglichkeit im Oberkörper ist deutlich eingeschränkt. Fatal für einen Diskuswerfer. Auf halber Beschleunigungsstrecke geht ihr fast die Hälfte der Kraft verloren. Außerdem hat sie durch die Lähmung Gleichgewichtsschwierigkeiten bei der Drehung. „Im Ring sieht man das gleich noch deutlicher“, sagt sie und macht sich mit Sack und Pack auf zur Wurfanlage.

Zentimeter für Zentimeter kämpft sich Frederike Koleiski näher an die Weltspitze der paralympischen Diskuswerferinnen heran.
Zentimeter für Zentimeter kämpft sich Frederike Koleiski näher an die Weltspitze der paralympischen Diskuswerferinnen heran. © FUNKE Foto Services

Das grüne Fangnetz flattert im Wind. Nach ein paar Testversuchen schnappt sich Koleiski ihren Lieblingsdiskus. Dunkelblau ist der. Mit dem soll es in Rio klappen? „Ja!“ Ihre braunen Augen fixieren das Sportgerät. Das flache Kilo Metall will sie dann rund 35 Meter weit werfen. Weit genug für eine Medaille, hofft sie. Im Ring steht sie mit dem Rücken zum Rasen, hebt die Arme – in der rechten Hand die Wurfscheibe – und holt aus. Eine schnelle Drehung, sie setzt die Beine um und lässt los.

Der Diskus fliegt, Frederike Koleiski kneift wieder die Augen zusammen. Aber dieses Mal voller Entschlossenheit. Jetzt endlich will sie sich ihren Traum erfüllen. Die paralympischen Spiele in Rio können kommen.

Infos von der Trainerbank 

Weltrekord

Den Diskus-Weltrekord in der Startklasse F44 hält die Chinesin Juan Yao mit 43,39 Metern. Aufgestellt hat sie ihn bei den paralympischen Weltmeisterschaften 2015 in Doha. Als Mitfavoritin auf den paralympischen Titel gilt ihre Landsfrau Yue Yang, die auch schon die 40-Meter-Marke geknackt hat. Mit 31,43 Metern rangiert Frederike Koleiski in der Weltjahresbestenliste auf Rang vier.

Drei Fragen an Diana Bourrouag

1. Sie sind BRSNW-Leistungssportreferentin für Leichtathletik. Wie und von wem werden Leichtathleten mit Behinderung in NRW gefördert?

Diana Bourrouag: Es gibt eine finanzielle Förderung für Kaderathleten über die Stiftung Deutsche Sporthilfe und die Sportstiftung NRW. Der Behinderten und Rehabilitationssportverband Nordrhein-Westfalen (BRSNW) fördert Athleten in Kooperation mit der Sportstiftung NRW, dem Landessportbund und dem NRW-Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport. Außerdem bekommen die Athleten viel Unterstützung von den Sportvereinen vor Ort.

2. Wie unterscheidet sich die Förderung von paralympischen und olympischen Sportlern?

Bourrouag: Die Förderung ist in der Grundstruktur ganz ähnlich. Die Fördermittelgeber sind die gleichen, jedoch gibt es Unterschiede in der Höhe der Fördergelder. In den letzten Jahren ist es aber immerhin gelungen, dass Medaillenprämien von paralympischen und olympischen Athleten angeglichen werden konnten.

3. Welche anderen Möglichkeiten haben paralympische Athleten, sich ihren Leistungssport zu finanzieren?

Bourrouag: Theoretisch die gleichen, wie olympische Athleten auch, beispielsweise durch Sponsorenverträge. Aufgrund fehlender medialer Präsenz ist es für paralympische Athleten in der Praxis aber viel schwieriger. Fast alle haben eine Doppelbelastung durch Spitzensport und Beruf. Es gibt nur ganz wenige, die Behindertensport als Profi betreiben können.

Hilfsmittelcheck

Guter Sitz ist wichtig: Vor jedem Training wird die Orthese gewechselt
Guter Sitz ist wichtig: Vor jedem Training wird die Orthese gewechselt © FUNKE Foto Services

Weil Frederike Koleiskis rechter Fuß gelähmt ist, braucht sie zum Gehen eine Unterstützung. Diese Orthese, eine flexibele Art von Schiene, muss speziell für das Bein angepasst werden. „Wenn ich trainiere, dann hält sie ungefähr drei Monate“, erklärt die Diskuswerferin. Dann muss eine Neue her, die speziell für den Fuß angepasst wird. „Es ist schwieriger eine gut sitzende Orthese zu bekommen, als eine perfekt sitzende Prothese.“ Orthesen schränken zugunsten von hoher Stabilität die Aktionsfreiheit ein. Sie können kontrolliert Bewegungen bis zu einem bestimmten Anschlag zulassen.

Inklusionscheck

Dass sie eine besondere Athletin der Eintracht Duisburg ist, das wissen viele Vereinsmitglieder. Schließlich ist Frederike Koleiski nicht nur Jugendtrainerin, sondern auch im Vorstand des Vereins tätig. Was viele nicht wissen, ist, dass sie körperlich eingeschränkt ist. „Klar, meine Kids wissen natürlich Bescheid. Manchmal kann ich eine Bewegung nicht vollständig vormachen, aber das ist kein Problem. Ich erkläre viel und nutze Skizzen.“ Ansonsten ist sie, wie jeder Trainer im Verein, ein Vorbild für den Nachwuchs. Für sie ist es wichtig, die Leidenschaft für den Sport, den sie so liebt, an die Jugendlichen weiterzugeben.

Sportstättencheck

„Eigentlich“, sagt Frederike Koleiski, „bin ich mit meinem Verein total zufrieden.“ Dass die Leichtathleten ein eigenes Stadion zur Verfügung haben, sei toll. „Der Ring ist auch echt super. Wir Werfer haben da einen guten Halt drin.“ Soweit so gut. Wäre da nicht das Problem mit dem Rasen. Immer wieder, so heißt es von Seiten des Vereins, würde der Wurfring gesperrt. Als Grund nennt Duisburg Sport die Schäden, die durch die schweren Wurfgeräte auf der Rasenfläche des Leichtathletikstadions entstehen. Inzwischen sei aber, laut Duisburg Sport, eine Einigung gefunden und der Ring wieder dauerhaft freigegeben.