Duisburg. Für Sportler mit Amputation gibt es spezielle Carbonfedern. Für sie gibt es dank neuster Technik kaum noch etwas, das mit Prothese nicht geht.

„Paralympics? War ich schon zwei Mal.“ André Kosner lehnt sich entspannt zurück. Während sich viele Athleten noch um die Norm für die Wettkämpfe in Rio de Janeiro bemühen, sieht Kosner dem Event gelassen entgegen. „Waren super Erfahrungen“, erzählt er. Dabei hat der 41-Jährige gar keine Behinderung. Kosner ist Orthopädiemechaniker und die rechte Hand vieler Sportler mit Behinderung.

In der großen Werkstatt riecht es nach Gips und Silikon. Werkbänke sind gefüllt mit Schaumstoffrohlingen. Prothesenteile liegen überall herum. „Mal ausprobieren?“ Kosner schnappt sich ein metallisches Klappgelenk. „Das ist ein Knie.“ Er lässt das High-Tech-Gebilde in seiner Hand auf und ab hüpfen. „Ein paar Tausend Euro wird das kosten. Wie viel genau, das müsste ich jetzt nachgucken.“ Die Auswahl an Bauteilen ist schier unendlich. In jeder der unzähligen Kisten, die sich in den Werkstattschränken verbergen, tauchen neue Gelenke von unterschiedlichen Herstellern auf.

Sport mit Sportprothese - kein Problem.
Sport mit Sportprothese - kein Problem. © Funke Foto Services

Einbauen, das ist die eine Sache. Für den Prothesenträger oft viel entscheidender, ist das Ein- und Nachstellen. „Ständig muss etwas feinjustiert werden.“ Kosner zückt seinen vierer Inbusschlüssel. „Mein wichtigstes Arbeitsgerät.“

Arbeitsunfall vor sechs Jahren

Einer derjenigen, die regelmäßig zu den Orthopädietechnikern von Münch & Hahn am BGU kommen, ist Thomas van Leyen. Der 44-Jährige will seine Sportprothese nachstellen lassen. „Der Stumpf verändert sich immer ein bisschen, dann gibt es fiese Druckstellen“, erzählt der Familienvater. Vor sechs Jahren geriet sein rechtes Bein bei der Arbeit in eine Walze, die gesamte Haut des Fußes war zerstört. „Eine Hauttransplantation hätte mir mindestens drei Jahre im Krankenhaus beschert und die Chance, dass ich meinen Fuß je wieder richtig hätte belasten können, war sehr gering.“ Also entschied er sich zur Amputation.

Hintergrund

Obwohl die Funktion seines Fußes intakt war, entschied sich Thomas van Leyen für die Amputation, weil es am Körper keinen Hautbereich gibt, der die Fersenhaut ersetzen könnte.

„Die Haut an der Ferse ist so dick und robust. Trotz langwieriger Hauttransplantationen hätte ich meinen Fuß nie wieder vernünftig belasten können“, erklärt van Leyen. „Als junger Familienvater ist das natürlich unvorstellbar.“

Wenn van Leyen jetzt mit seiner Alltagsprothese unterwegs ist, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen, dass er nicht zwei gesunde Beine hat. Zieht er allerdings seinen Sportfuß an, passt er in keine normale Hose mehr. „Wenn ich mit dem Ding draußen unterwegs bin, dann gibt’s schon viele Blicke.“ Er lacht und tippelt mit seiner schwarz-grünen Carbonfeder hin und her. Der geschwungene Ersatzfuß ist optimal zum laufen, ruhig stehen, hingegen ist gar nicht so einfach. „Dann hat man immer einen leichten Knick in der Hüfte.“

Crossfit und Wasserski sind kein Problem

Rumstehen ist ohnehin nicht so das Ding des 44-Jährigen. „Eine Amputation ist schrecklich und braucht kein Mensch, aber man kann trotzdem noch sehr gut damit leben“, sagt er und schaut nachdenklich auf seine Prothese. „Ich hätte auch tot sein können. Aber so war ich vor ein paar Tagen beim Wasserski. Sonst bin ich oft beim Crossfit.“ Geht nicht, gibt’s nicht.

Das gilt auch für Sportfüße, die von Kosner und Co hergestellt werden. Die Preisspanne beginnt bei zwei-, dreitausend Euro. „Ohne Knie versteht sich.“ Der Orthopädiemechaniker schaut auf van Leyens stylischen Sportfuß. „Liegt bei 8000 Euro“, schätzt er. Und das obere Ende der Preisspanne? „Tja.“ Kosner lacht. „Ein Ende gibt’s eigentlich nicht. 55.000 Euro können es schon mal werden.“ Und er muss es wissen. Denn bei den Paralympics, bei denen er zum internationalen Orthopädietechniker-Team gehörte, hat er so einiges an High-Tech Prothesen gesehen.

Innovation 

Prothese aus dem 3D-Drucker

Derzeit wird an einer neuen Methode zur Herstellung von Prothesen geforscht, die auch im Leistungssport eingesetzt werden können: Eine Prothese aus dem 3D-Drucker. Denise Schindler, Weltmeisterin im Paracycling, dem Bahnradfahren für Menschen mit Behinderung, nimmt dabei an einem Pilotprojekt teil. Die 30-jährige Sportlerin mit Unterschenkelamputation lässt dabei ihren Stumpf von einem Computer vermessen, der ein millimetergenaues Abbild erstellt und die Daten an den Drucker weitergibt.

Orthopädietechniker Andre Kosner war schon zwei Mal bei den Paralympics dabei, allerdings im Serviceteam der Orthopädietechniker.
Orthopädietechniker Andre Kosner war schon zwei Mal bei den Paralympics dabei, allerdings im Serviceteam der Orthopädietechniker. © Funke Foto Services

Der Schaft der Prothese kann so präziser angepasst werden, als es für einen Orthopädietechniker per Hand je möglich wäre. Überflüssig wird sein Job dadurch aber nicht, denn genaue Expertisen über Polsterung und Druckpunkte sind weiterhin von großer Bedeutung. Die Entwickler hoffen, dass die 3D-Prothese nicht nur Leistungssportlern zu Gute kommt. Für Breitensportler ist eine Sportprothese derzeit nämlich ein kaum zu leistende Investition. Durch die 3D-Drucker-Prothese könnten die Kosten in Zukunft deutlich sinken.

Vier Fragen an...

Denise Schindler, amtierende Weltmeisterin im Paracycling und Medaillienkandidatin bei den Paralympics.

1. Wie wichtig ist die Prothese für einen Leistungssportler?

Denise Schindler: Die Prothese ist das A und O. Zum einen muss sie perfekt sitzen, denn ein Trainingsausfall wegen schmerzender Druckstellen wäre fatal. Zum andere muss sie in meinem Fall die perfekte Kraftübertragung zum Rad gewährleisten.

Denise Schindler, Medaillenanwärterin im Paracycling, fährt mit einer 3D-Drucker-Prothese.
Denise Schindler, Medaillenanwärterin im Paracycling, fährt mit einer 3D-Drucker-Prothese. © Nadia Al-Massalmeh

2. Wo genau ist der große Vorteil der 3D-Prothese?

Schindler: Es gibt mehrere Vorteile. Durch den 3D-Drucker kann man dem Material viel mehr Informationen mitgeben. Beispielsweise, wie dicht das Material sein soll, oder wie flexibel. Die genaue Zusammensetzung des Materials lässt sich leicht bestimmen und die Prothese kann viel aerodynamischer konstruiert werden. Meine 3D-Druck-Prothese ist beispielsweise 400 Gramm leichter als der traditionelle Vorgänger.

3. Wie teuer ist eine 3D-Prothese im Verhältnis zur traditionellen Prothese?

Schindler: Momentan befinden wir uns noch in der Testphase, darum ist die Prothese durch die Entwicklungskosten noch relativ teuer. Wenn man diese Kosten aber abzieht, liegt man bei zwei- bis dreitausend Euro. Das ist deutlich günstiger, als normale Variante.

4. Sind Prothesen aus dem 3D-Drucker auch in anderen Sportarten denkbar?

Schindler: Genau da gilt es jetzt herumzuexperimentieren, was möglich ist, auf welche Bedingungen sich die Prothese einstellen lässt. Ich denke, dass sie Möglichkeiten in vielen Sportarten bietet.