Duisburg. . Karsten ist Straßenmusiker. Am Hauptbahnhof Duisburg spielt er für wenige Cent. Ohne die Gitarre, sagt der 23-Jährige, wäre er vielleicht verzweifelt.

Gesprächsfetzen fliegen vorbei, Berufstätige am Telefon drängen sich die Treppe vom Gleis zum U-Bahn-Eingang herunter, unverständliches Gemurmel. Der gerade eingefahrene Regionalexpress hat die nächsten Menschenmassen ausgespuckt. Jeder scheint in seiner eigenen Welt, zwischen langsam schwindender Müdigkeit und der Hektik des Tages. Karstens Hand streicht über den Korpus seiner alten schwarzen Gitarre, dann langsam über die Saiten. Ganz leise erklingen die ersten Töne. Metallica, „Nothing Else Matters“. Die Hymne legt sich erst sanft, dann fordernd über die Alltäglichkeit des Bahnhofstunnels. „Never opened myself this way. Life is ours, we live it our way.“ Das hier ist Karstens Leben.

„Solange einer von 1000 Leuten sagt, dass es gut ist, was ich mache, höre ich nicht auf“, sagt Karsten Kania.
„Solange einer von 1000 Leuten sagt, dass es gut ist, was ich mache, höre ich nicht auf“, sagt Karsten Kania. © FUNKE Foto Services

Karsten hat eine markante Stimme, die das Rattern der Züge und das Brummen der Busmotoren übertönt und den Fußgängertunnel am Nordende vom Hauptbahnhof mit warmem Klang erfüllt. In den Augen vieler sei er vielleicht das, was Gleichaltrige mit dem Wort „Loser“ bezeichnen, meint der 23-Jährige. Ein sozialer Verlierer, einer der keinen Bürojob hat, der nicht morgens im Anzug aus dem Zug steigt. Einer der von der „Stütze“ leben muss, der am Boden sitzt, auf einer zusammengefalteten Wolldecke, gegenüber vom U-Bahn-Eingang, unter dem blauen Gleis-Schild mit der Nummer Acht.

Karsten kümmert das nicht. „Was die Leute denken, das muss einem egal sein“, sagt er, wenn niemand ihn anschaut. Wenn sie nur stehenblieben, wenn sie auf seine Texte hören würden, sie würden merken, dass der junge Mann mit dem schwarzen Kapuzenpulli trotzdem glücklich ist. „Ich verdiene mit dem, was ich liebe, mein Geld fürs Essen, für Strom. Ich brauche nicht viel.“

Während einer kurzen Pause in der Vormittagssonne spricht Karsten über seine Kindheit am Niederrhein. Aufgewachsen ist er in schwierigen Verhältnissen. Mit neun bekam er seine ersten Gitarre, brachte sich das Spielen komplett selbst bei, fing später an eigene Lieder zu schreiben. „Musik ist meine Leidenschaft, sie macht den Kopf frei, gibt Kraft, hält mich am Leben“, sagt er ganz ohne Pathos, während er sich eine Zigarette anzündet. Die Gitarre, sie sei das Einzige geblieben, das er noch besaß, als er mit 14 auf der Straße landete, geflohen vorm prügelnden Vater. Zwischen dem Bordstein nachts und der Schulbank am Morgen schaffte er trotzdem seinen Abschluss, fing mit 18 als Straßenmusiker an.

Lieder über Hoffnung

Besonders glücklicht macht es ihn, wenn die Menschen ihm für seine selbst geschriebenen Lieder einige Cent auf die Hülle seiner Gitarre werfen. „Pray“ heißt eines. Eine rockige Ballade, mit einer Melodie, die im Kopf haften bleibt. Sie handelt vom Beten, von Hoffnung. „Ich glaube, dass es auf jeden Fall mindestens einen Gott gibt. Immer wenn ich dachte, dass alles vorbei ist, hatte ich so viel Glück und meine Wünsche gingen wieder in Erfüllung“, sagt Karsten.

Sein größter Wunsch wäre, ein Lied aufzunehmen, ein Konzert zu spielen auf einer Bühne, wenn die Zuschauer kommen würden, wenn er richtig fürs Musizieren bezahlt würde. So weit will er aber eigentlich nicht denken, im Grunde habe er längst alles, was er brauche, meint der 23-Jährige. Nur eine neue Konzertgitarre, „eine mit einem Riemen zum Umhängen“, die wäre schön.

„Es gibt kein schlechtes Wetter . . . Das hat schon die Oma immer gesagt . . . Das Geld muss ja trotzdem reinkommen.“
„Es gibt kein schlechtes Wetter . . . Das hat schon die Oma immer gesagt . . . Das Geld muss ja trotzdem reinkommen.“ © FUNKE Foto Services

Manchmal spielt er ein ganzes Lied, ohne dass jemand stehenbleibt, ohne dass er auch nur einen Cent verdient. „Es reicht mir, wenn einer von 1000 mir zuhört“, hat er vorhin noch gesagt. Jetzt sitzt er wieder auf seiner Decke am Aufgang zu Gleis acht und alle huschen mit Kopfhörern im Ohr an ihm vorbei.

Eine Frau schiebt ihr Kind im Buggy vorbei. Der Kleine schaut Karsten mit großen Augen an und grinst. „Das Lächeln ist mir das Wichtigste“, sagt Karsten. Ein Mann bleibt stehen, gibt ihm einige Centstücke. „Mach’ weiter, du bist echt gut“, ruft er auf dem Weg zur U-Bahn noch. Für Karsten die schönste Bestätigung. „And nothing else matters.“

Info:

Karsten Kania möchte sich „von Herzen bedanken bei allen, die mir zugehört und etwas gegeben haben“. Zudem träumt er davon, als bezahlter Künstler arbeiten und auftreten zu dürfen. Wer helfen kann – und sei es auch nur mit einer gebrauchten Konzertgitarre – darf sich gern bei ihm melden: 0157/81 00 02 34.

Eine Statistik, wieviele Musiker derzeit in Duisburg auf der Straße spielen, wird von der Stadt nicht erhoben, da Straßenmusik ohne Verstärker erlaubnis-/genehmigungsfrei ist. Die Standorte müssen dabei, so die Stadt, alle 20 Minuten gewechselt werden.