Duisburg. . Mit einem Team aus Lehrern, Sozialarbeitern und interkulturellen Beratern arbeitet die Initiative RuhrFutur in einem Modellprojekt in Marxloh,

„Wie war der Test?“, fragt Lehrerin Anja Gesthuysen, als sie nach zehn Minuten die Zettel eingesammelt hat. „Schwierig, aber gut“, meint Machela. Die Zwölfjährige weiß nicht, was eine Vorspeise ist. „Suppe ist eine Vorspeise“, erklärt die Lehrerin. Eine Szene aus dem Deutschunterrricht für Zuwandererkinder, wie er in Duisburger Schulen täglich läuft. Der am Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium in Marxloh ist gleichzeitig auch ein Versuch der Bildungsinitiative Ruhrfutur. Sie erprobt im Projekt „Zusammen – Zuwanderung und Schule gestalten“ von Stiftung Mercator und NRW-Schulministerium, wie die Integration am besten gelingen kann bei Kindern und Jugendlichen, die mit ihren Familien aus Süd- und Südosteuropa zuwanderten oder als Flüchtlinge aus Konfliktgebieten kommen.

Es heißt nicht Bratwürst

Elf Kinder sitzen an diesem Morgen in der Internationalen Klasse von Anja Gesthuysen. Einige, die schon weiter sind, nehmen bereits am Unterricht in den Regelklassen teil. Mit dem Verständnis der deutschen Sprache klappt’s bei den meisten schon ganz gut. Schwierige Worte wie „Schokoladenriegel“ übt man gemeinsam. Kinder lernen beneidenswert schnell. „Es heißt nicht Bratwürst“, muss Anja Gesthuysen noch korrigieren, aber auch fremde Laute wie das H der Haselnuss haben die Mädchen und Jungs schnell drauf. Eine große Hilfe sind Smartboard und die Google-Suche. „Ach sooooo“, ruft Sifka, als das Bild von der Haselnuss erscheint, „hab’ ich in Bulgarien schon gegessen.“

Nicht nur den Kids, auch der Lehrerin hilft die Suche. Kubeti kennt Anja Gesthuysen nicht. „Sind keine Chips“ rufen die Kinder und zeigen eine Tüte mit gewürzten Brot-Croutons aus bulgarischer Produktion. „Die gibt’s hier am Kiosk.“

Ein Lernprozess auch für die Lehrer

Nächste Stunde, neues Fach: Mathematik bei Michael Braß. Thema: der Maßstab. „Was bedeutet 1:10?“, fragt der Lehrer und schaut in fragende Gesichter. Braß versucht’s anders: „Kasimir ist 1,50 Meter groß. Wie groß muss er sein, damit er auf ein Blatt Papier passt?“ Einige falsche Antworten später wird deutlich: Hier ringt ein Pädagoge, der an das mathematische Wissen gleichaltriger Gymnasiasten gewöhnt ist, mit Schülern, die wegen fehlender Sprachkenntnisse oft schon seine Fragen nicht verstehen. Ganz zu schweigen vom Mangel an fundamentalen mathematischen Kenntnissen. „Das ist eigentlich Grundschulstoff“, seufzt Michael Braß nach 45 Minuten, „wir werden wohl noch einige Stunden brauchen, bis sie den Maßstab verstehen.“

Die ersten Monate nach dem Projektstart vergingen damit, überhaupt die Voraussetzungen zu schaffen für Unterricht. „Viele der Mädchen und Jungen sind eigentlich Straßenkinder“, sagt Ina Leyendecker. „und so haben sie am Anfang auch ihre Konflikte ausgetragen. Da gab’s jeden Tag eine andere Geschichte.“ Dank einer „Disziplin-Ampel“ läuft der Unterricht mittlerweile zumeist reibungslos. Mit sehr unterschiedlichen Bildungsbiografien kommen nicht nur diese Kinder: bestenfalls mit Schulerfahrung aus den Herkunftsländern, oft nach Jahren in anderen EU-Ländern, in die ihre Familien auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen auswanderten.

Viele Kinder benötigen eine Anschlussförderung

Einfacher holen Grundschüler den Rückstand auf – eine Erfahrung aus dem Projekt, das auch an der benachbarten Regenbogen-Grundschule läuft. Und auch bei den älteren gibt’s die Talente, die schon die Regelklassen besuchen können, bevor zwei Jahre um sind. Für alle anderen wirbt Projektleiterin Caren Dietrich um eine realistischen Blick auf die Erfordernisse: „Da werden wir sicher eine Anschlussförderung benötigen.“

Unterricht allein reicht nicht 

Seit April 2015 läuft das Projekt der Bildungsinitiative RuhrFutur am Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium (EHKG), spätestens im Sommer 2017 ist Schluss. Das Ziel: Die Erfahrungen weiterzugeben, damit andere Schulen davon profitieren können.

Projektleiterin Karen Dietrich setzt auf muliprofessionelle Teams: Jeder internationalen Klasse stehen eine Deutschlehrerin und eine sozialpädagogische Fachberaterin mit einer jeweils halben Stelle sowie eine interkulturelle Beraterin mit einer Viertel-Stelle zur Verfügung. Letztere stellt das Kommunale Integrationszentrum (KI). Am EHKG knüpft Anisoara Burghelea den Kontakt zu den Eltern. „Viele Eltern haben Probleme. Wenn wir es schaffen, zu ihnen ein gutes Verhältnis aufzubauen, dann geht’s auch mit den Kindern“, beschreibt die Rumänin, die auch Sprechstunden und Beratung anbietet. Für die Mütter macht das Team eigene Angebote. „Sie kommen oft nicht vor die Tür“, sagt Sozialpädagogin Ina Leyendecker. Bei den Kindern hat sie mit Training für Sozialkompetenz und Teamfähigkeit begonnen – drei Stunden pro Woche und Klasse. „Nach einem Jahr haben wir damit schöne Erfolge.“ Auch Feriencamps helfen, Bildungslücken zu schließen.

Land finanziert nur Lehrstellen

„Natürlich ist diese personelle Ausstattung eine Sondersituation“, weiß Projektleiterin Karen Dietrich, dass die meisten Schulen von einem solchen Team derzeit nur träumen können. „Die Schulen haben zwar Sozialarbeiter, aber die haben andere Aufgaben“, sagt Beatrix Peschke, als Lehrerin für sprachliche Bildung zum KI abgeordnet. Derzeit finanziere das Land nur Lehrerstellen für die Integration der Zuwandererkinder. „Wir hoffen, dass sich das auf aufgrund unserer Erfahrungen ändert“, sagt Karen Dietrich, „schließlich ist ja deshalb das NRW-Schulministerium beim Projekt dabei.“

Die Suche nach dem besten Konzept solle nicht ausschließlich als Ressourcen-Debatte geführt werden, findet Ina Leyendecker. „Was wir hier machen, ist schließlich keine Hexerei. Aber wenn Integration erfolgreich sein soll, ist das notwendige Personal unabdingbar.“