Duisburg. . Rikarda Licht wohnt seit vielen Jahrzehnten in Marxloh. Negativ-Berichte über ihr Zuhause ärgern sie. Spaziergang durch einen verkannten Stadtteil.
In den Medien, in der Politik, immer wird Marxloh herangezogen, wenn es um Stadtteile des Grauens geht. Das nimmt Rikarda Licht persönlich, denn es geht um ihre Heimat, ihr Zuhause. Das will sie sich nicht madig machen lassen, ergreift in Diskussionen auf Facebook Partei für ihren Kiez. Denn Angst kennt die 72-Jährige nicht.
Die Haustür nahe der Weseler Straße steht sperrangelweit auf, ich kann durchmarschieren bis zur Wohnung von Rikarda Licht. Da prangt ein zusätzlicher Sicherheitsriegel an der Tür. Also doch Angst? „Nein, das ist wegen der Versicherung“, wiegelt Licht ab, „hier ist ein paar mal eingebrochen worden.“ Aha, ein gefährliches Pflaster! „Nee, der letzte Einbruch bei mir war 1992.“ Sagt’s und grinst verschmitzt.
Ein abendlicher Spaziergang durch ihren Kiez
Wir sind zum Spaziergang verabredet, eine Runde durch Marxloh mit ihren Augen. Sie hat, damals noch in Hamborn wohnend, am Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium in Marxloh ’63 Abi gemacht, an der Schule Jahrzehnte als Musiklehrerin gearbeitet und quasi nebenan gewohnt. Sie kennt sich aus. Auf Turnschuhen federt Frau Licht voraus, die passionierte Wasserskifahrerin ärgert sich über vorbeiwehende Papierschnipsel und mahnt dann, den Blick zu heben.
Ein Türmchen hier, ein aufwändig sanierter Giebel da, viel frische Farbe. Licht nötigt das Respekt ab: „Darum kümmern sich die türkischen Besitzer selbst, mit viel Liebe, und immer dann, wenn Geld da ist - das dauert halt.“ Dazwischen immer mal faule Zähne im schönen Häusergebiss, zugenagelte Fenster, bedrohlich gerissene Fassaden, beschmiert, verdreckt. Ein kaputtes Schaufenster auf der Kaiser-Wilhelm-Straße. Frau Licht guckt neugierig, ob es durch Schüsse kaputt ging. Nein, eher stumpfe Gewalt. Gegenüber ist eine Spielhalle.
Polizei in Mannschaftswagen fährt vor
Unser Fotograf erzählt von Razzien, die er hier fotografierte. Wie auf Bestellung fährt plötzlich die Polizei in Mannschaftswagen vor, dazu fünf Autos vom Ordnungsamt. Der Anlass eher banal: Es geht um eine melderechtliche Prüfung in drei Häusern, die durch häufige Neuanmeldungen auffallen. Allein in einem der Häuser sind 114 Bewohner gemeldet, da „müssen wir sicherstellen, dass alles O.K. ist“, so eine Stadtsprecherin.
Das Polizeiaufgebot lässt nur ein paar Jungs neugierig zugucken, auch wir ziehen weiter. Was auffällt: Westlich der B8 ist es trostlos. Hier gibt es Ecken, etwa an der Hagedornstraße, wo auch der Fotograf ein bisschen nervöser wird, weil viele Menschen auf der Straße stehen, die nicht so vertrauenserweckend aussehen. Hier türmt sich der Müll, Kinder in schmutzigen Sachen machen einen verwahrlosten Eindruck. „Kein Ort für Spaziergänge, keine Frage“, sagt Licht, ein Brennpunkt im Wortsinn, aber das Areal ist schnell durchschritten, nach kaum hundert Metern sind wir wieder auf „normalem“ Terrain. Wir queren die B8 Richtung Osten, wo es richtig nett wird, urban, großstädtisch.
Eine bunte Mischung Mensch
Wieder mahnt Rikarda Licht, aufzuschauen. In die Gesichter der Menschen, in Grüppchen kopftuchtragender Frauen, die sich kichernd unterhalten. In die Jungmänner-Gruppen, die man schon riecht, bevor man sie sieht. Sie klimpern mit Schlüsseln, duften nach Rasierwasser, unterhalten sich, machen Platz für uns, nicken zum Gruß. „Das ist Heimat, hier bin ich sozialisiert“, sagt Rikarda Licht. Hier hat sie sich weiterentwickelt mit der immer bunteren Mischung Mensch an der Schule, im Viertel. Wenn sie „Migranten“ sagt, gehen automatisch die Hände hoch und malen Gänsefüßchen in die Luft. Sind ja ihre Nachbarn.
„Samstags ist hier der Teufel los“, erzählt Licht stolz, „dann ist ganz Europa zu Gast.“ Die Brautmoden-Meile zieht und davon profitieren auch die wenigen deutschen Händler, die geblieben sind. Der Betreiber ihrer Stamm-Boutique etwa, ein Juwelier, auch das Reformhaus hält sich. Ihre Stammkneipe hat nicht überlebt. Aber selbst die „Schrömmelslädchen“ weiß sie zu schätzen. Rikarda Licht malt Marxloh nicht in rosigen Farben, sie weiß um die Probleme. Aber sie ärgert sich, wenn Polizeimeldungen in Marxloh verortet werden, obwohl es Fahrn oder Hamborn ist, wie zuletzt bei einem Bericht über ein Auto, das mit einer Couch völlig überladen war. Einen genaueren Blick wünscht sie sich, nicht so viel Pauschalurteil: „Hier im Norden spielt sich nicht alles Üble ab!“
Polizeipräsenz hat sich bemerkbar gemacht
Zur geplanten Videoüberwachung hat Rikarda Licht ein Schulterzucken übrig. Für ihr Sicherheitsgefühl sei das nicht nötig. Aber dass die Polizei stärker besetzt und präsenter ist, hat sich bemerkbar gemacht. „Die kommen ja aus allen möglichen Ecken plötzlich und unerwartet“, beschreibt Licht. Das Ordnungsamt leider auch, bedauert sie die Knöllchen an ihrem Auto.
Selbst ist die Frau: Wenn die Seniorin etwas beobachtet, marschiert sie selbst zur Wache. Etwa um auf Betrunkene auf dem August-Bebel-Platz aufmerksam zu machen, die kurz vor dem Zusammenklappen stehen oder aber zu rüpelig sind.