Duisburg. . Nach dem vorerst geplatzten Loveparade-Prozess sind Landgericht und Staatsanwaltschaft Duisburg unterschiedlicher Rechtsauffassung.

Die Kernfrage lautet: Hätte die Große Strafkammer im laufenden Zwischenverfahren die Erstellung eines zweiten Gutachtens in Auftrag geben dürfen? Oder nicht? Auch am Tag, nach dem der Loveparade-Prozess geplatzt ist, liegen das Duisburger Landgericht und die hiesige Staatsanwaltschaft in ihrer Einschätzung darüber weit auseinander. Fest steht: Es gibt in diesem Fall keine eindeutige Antwort, sondern es ist eine Frage der Auslegung.

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Welche Sichtweise die richtige ist, darüber muss nun der dreiköpfige Senat des Oberlandesgerichts Düsseldorf entscheiden. Dort hatte die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde eingelegt, nachdem das Landgericht am Dienstag verkündet hatte, im Loveparade-Prozess kein Hauptverfahren eröffnen zu wollen.

Staatsanwaltschaft: Gutachter-Beauftragung „gängige Praxis“

Die Staatsanwaltschaft hatte der Anklageschrift ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Keith Still beigelegt. Das war nach Auffassung der Strafkammer aber „nicht verwertbar“. Und das sei auch der wichtigste Grund dafür gewesen, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen. Die Haltung der Staatsanwaltschaft lautet: Aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes hätte sich die Strafkammer veranlasst sehen müssen, einen zweiten Gutachter zu beauftragen. Eine solche Beauftragung sei im Stadium des Zwischenverfahrens „gängige Praxis“.

Das Landgericht hat hingegen die Auffassung, dass „die Einholung eines neuen Gutachtens im Zwischenverfahren von Gesetzes wegen untersagt“ sei. Zwar dürfe das Gericht „einzelne Beweiserhebungen auch im Zwischenverfahren anordnen, es könne aber nicht das zentrale Beweismittel durch ein neues ersetzen“. Und beim Still-Gutachten habe es sich um das Hauptbeweisstück gehandelt. Zudem hätten dem Gericht „andere tragfähige Beweismittel, die den Anklagevorwurf stützen würden, nicht zur Verfügung gestanden“.

Vehementer Widerspruch zur Kritik am Gutachter

Dem widerspricht Anna Christiana Weiler, die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, im Gespräch mit dieser Zeitung vehement: „Wir haben in der fast 600-seitigen Anklageschrift allein auf 32 Seiten Beweismittel aufgelistet.“ Zu den Beweisen zählten etwa die Aussagen von 149 der insgesamt 3400 im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen. Hinzu kommen 400 Urkunden und Schriftstücke sowie 1000 Stunden Videomaterial. „Die Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. Still war also nur als eines von vielen Beweismitteln benannt“, so Weiler.

Die Sorge der Strafkammer, Gutachter Still könnte befangen sein, entbehrt aus Sicht der Staatsanwaltschaft jeglicher Grundlage. „Wir halten nach wie vor die Zweifel an ihm für nicht gerechtfertigt“, sagte Weiler. Er habe nachvollziehbar dargelegt, dass die maximale Durchflusskapazität von Besuchern im Karl-Lehr-Tunnel bei der Planung und Genehmigung der Veranstaltung nicht beachtet worden sei. Auf die Frage, warum die Staatsanwaltschaft wegen der laut gewordenen Kritik am Still-Dokument kein Zweit- und Drittgutachten in Auftrag gegeben hat, sagte Weiler: „Aus unserer Sicht bestand und besteht dafür kein Anlass.“ Man halte das Still-Gutachten weiter für geeignet.

Wegen dieser Gründe ist die Nichtzulassung des Hauptverfahrens aus Sicht der Staatsanwaltschaft „nicht nachvollziehbar und rechtsfehlerhaft“ – daher die sofortige Beschwerde beim OLG.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf wird mehrere Monate dauern 

Seit Bekanntwerden der Entscheidung hagelt auf das Landgericht und vor allem auf die Staatsanwaltschaft heftige Kritik aus der Öffentlichkeit herab. Fast einhelliger Tenor: Die Justiz hat versagt. „Ich kann die Frustration nachvollziehen“, sagte Anna Christiana Weiler von der Staatsanwaltschaft. „Wir können uns nun aber nicht mit dieser Kritik beschäftigen, sondern wollen uns darauf konzentrieren, dass es inhaltlich vorangeht.“ Man setze alles daran, dass das Hauptverfahren eröffnet wird, so Weiler. „Auch im Interesse aller Hinterbliebenen und Betroffenen.“

Doch auch diesmal ist bei allen Beteiligten wieder Geduld gefragt: Das OLG Düsseldorf erklärte gestern, dass die Bearbeitung angesichts des Umfangs der Unterlagen „mehrere Monate“ dauern werde. Denn das OLG sichtet nicht nur den 460-seitigen Entschluss auf Nichtzulassung, es muss das komplette Aktenmaterial sichten.

Entscheidung des OLG zur Nichtzulassung der Klage wäre endgültig

Am Ende kann der Senat die Nichtzulassung der Anklage bestätigen – und diese Entscheidung wäre dann endgültig. Es kann aber auch ein Verfahren gegen alle oder auch nur einzelne Beschuldigte angeordnet werden. Dieses müsste dann wieder vom Duisburger Landgericht geführt werden.

Auf den Vorwurf, im Team der Staatsanwaltschaft hätte eine zu hohe Fluktuation gegeben, antwortete Weiler: „Insgesamt waren im Lauf des mehrjährigen Ermittlungsverfahrens in unterschiedlichen Zeiträumen und in unterschiedlichem Umfang elf Staatsanwälte bzw. Oberstaatsanwälte mit dem Verfahren befasst.“ In der Spitze seien es fünf Staatsanwälte und ein Oberstaatsanwalt gleichzeitig gewesen. Einige Kolleginnen seien etwa in Mutterschutz gegangen.