Duisburg. . Nach Jahren Verzug nutzt die Polizei bundesweit jetzt hochmodernen Digitalfunk. Doch das System hat Mängel. Manche Wachen in NRW sind kaum erreichbar.
- Polizei nutzt seit einiger Zeit modernen Digitalfunk
- Doch die neue Technik macht noch Probleme
- Selbst einige Polizeiwachen in NRW sind per Digitalfunk kaum erreichbar
2006 hätte das Premierenjahr werden sollen. Als Punktlandung zur Fußball-WM wollten die deutschen Sicherheitsbehörden den Digitalfunk in Betrieb nehmen. Ein bundesweit einheitliches und abhörsicheres Kommunikationsnetz, zugänglich für Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste. Zehn Jahre später ist dieses Netz mit zwölf Milliarden Euro dreimal so teuer geworden wie ursprünglich veranschlagt – und seit 2015 für die Polizei in ganz Deutschland endlich einsatzbereit, beteuert das Bundesamt für den Digitalfunk (BDBOS) in Berlin.
In ganz Deutschland? Seit Dezember letzten Jahres verteilt das in NRW zuständige Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste in Duisburg (LZPD) eine Broschüre an alle Polizeidienststellen, in der gezielt die Kinderkrankheiten des neuen Polizeifunks dargestellt werden.
NRW-Polizei beklagt Funklöcher etwa in Duisburg
Versorgungslücken träten „im Bereich der Grenzen, punktuell in ländlichen Gebieten und – zwar selten, aber eben auch – in Ballungsgebieten“ auf, räumt darin Frank Lambrecht, Koordinator für das Mammut-Projekt beim LZPD, ein. 47 Kreispolizeidirektionen in NRW haben Karten erhalten, auf denen die Gebiete mit gutem, weniger gutem oder gar keinem Empfang markiert sind.
Dramatisch ist die Lage laut LZPD direkt vor der Haustür des Landesamtes, im Duisburger Stadtteil Meiderich. „Wir gehen vor die Tür und haben keinen Funk“, wird Polizeihauptkommissar Gunther Herold von der Meidericher Wache in der Schrift zitiert. „Wir müssen uns in einen Streifenwagen setzen, wenn wir nur 250 Meter weiter in einem Einkaufsmarkt zu einem Einsatz gerufen werden, um dann wenigstens per Gateway-Schaltung funken zu können. Und auch das funktioniert nicht immer. Das soll die modernste Funktechnik der Welt sein?“
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In der Meidericher Wache haben die Mängel des Digitalfunks sogar die Einsatzfähigkeit der Polizei beeinträchtigt. „Es hat Vorfälle gegeben, bei denen Funkprobleme zu gravierenden Schwierigkeiten in der Einsatzbewältigung geführt haben. Das geht einfach nicht“, berichtet Peter Schroer, der Leiter der Gefahrenabwehr der Duisburger Polizei, in dem Heft mit dem vielsagenden Titel „Digitalfunk 2016: Was er kann und was nicht!“.
Das LZPD arbeitet derzeit fieberhaft mit einer eigenen Einsatztruppe an Verbesserungen. „Nachbesserungen sind bereits gemacht worden. Das gilt auch für Meiderich“, sagt Behördensprecher Jan Schabacker, „das System ist insgesamt ein gutes System“. Dennoch bittet er um Geduld: Die Krux läge in der Vielzahl der beteiligten Behörden auf Bundes- und Länderebene.. Viele Einrichtungen müssten bei Korrekturen Ja sagen. Arnold Plickert, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Nordrhein-Westfalen, drängt auf rasche Abhilfe: „Wenn es um die Eigensicherung der Kollegen geht, hat das oberste Priorität. Dann darf Geld keine Rolle spielen“, sagte er unserer Redaktion.
"Auch in großen Stadien und U-Bahn-Bereichen gibt es Schwierigkeiten“
Dabei hat Geld bisher durchaus eine Rolle gespielt. So können Polizisten mit ihren neuen Digitalfunkgeräten aus vielen geschlossenen Räumen gar nicht kommunizieren. Betonwände sind - wie schon zu Zeiten des Analogfunks – eine Blockade. Zwar wurden die NRW-Flughäfen und -Bahnhöfe inzwischen funkfähig nachgerüstet. Aber „auch in großen Stadien und U-Bahn-Bereichen gibt es Schwierigkeiten“, ergänzt GdP-Plickert. Die LZPD-Broschüre hat dafür eine Erklärung. „Das ist kein Fehler im System, sondern entspricht der Versorgungsqualität, die das Land eingekauft hat“. In NRW sei Digitalfunk eben für gute Versorgung im Streifenwagen und im Freien „in Kopfhöhe“ beschafft worden - in den Standards GAN 0 und GAN 1.
Die Offenheit des Landesamtes beim Digitalfunk überrascht Journalisten, die bei vielen staatlichen Einrichtungen eher an vorsichtige Zurückhaltung gewöhnt sind. Doch sein Chef bis Mitte Januar, Jürgen Mathies, ist einer der renommiertesten Polizeiführer des Landes. Er hat nach den Silvesterkrawallen die Führung des Präsidiums Köln übernommen. Er war von vorne herein für Transparenz in der Digitalfrage. So spricht er in einem Editorial von „erheblichem Unmut unter den Kolleginnen und Kollegen“ dort, wo es nicht funktioniere.
Zu hohe Erwartungen an den Digitalfunk
Er fügt zwar hinzu: „In der Fläche freuen sich die meisten Kreispolizeibehörden über eine deutlich verbesserte Funkversorgung“. Mathies redet aber Klartext: „Irrtümer über die verwendete Technologie, Vergleiche mit dem privaten Mobilfunk, viel zu hohe Erwartungen, die jahrelang über die Medien transportiert worden sind, und auch ganz einfach Bedienfehler, die dazu führen, dass der Digitalfunk nicht funktioniert“.
Tatsächlich waren die Erwartungen zu Beginn ganz andere:
- Die neuen Funkgeräte sollten Fahndungsbilder und ganze Aktenauszüge live direkt an den Einsatzort übertragen können. Nichts davon geht.
- Die Sprachqualität hat Macken, was zur LZPD-Aufforderung führt: „Immer deutlich sprechen!“
- Die Beamten müssen nach Einschalten auf ein Freigabesignal warten, bis sie reden können - und landen in einer Art Warteschleife, wenn gerade in der Nähe ein Kollege spricht.
- Sind auch bei der Abhörsicherheit Zweifel angebracht? Die digitale Alarmierung der Kreisleitstelle der Siegener Feuerwehr ist über Weihnachten geknackt worden, vertrauliche Informationen landeten auf einer Internetplattform. Das Landeskriminalamt ermittelte. Offenbar war ein Softwarefehler schuld.
In NRW gibt es inzwischen eine „Top 5-Liste“ mit Maßnahmen gegen die Ausfälle. Bundesweit wurde eine Task-Force eingesetzt, um das Milliardending Digitalfunk komplett einsatzfähig zu machen. Denn die Probleme des Digitalfunks, 20 Jahre nach den ersten Planungen, treten nicht nur an Rhein und Ruhr auf. „Nordrhein-Westfalen ist nicht das einzige Bundesland, das mit Nachbesserungsmaßnahmen bei der BDBOS anklopft“, sagt Koordinator Lambrecht.