Duisburg. Eine neue Analyse zeigt, dass sich fast ein Drittel der Menschen auf dem Factory-Outlet-Areal in Duisburg nicht in Sicherheit bringen könnten. Ist das FOC jetzt endgültig gestorben?
Ob gasdichte Folienbahnen, von denen CDU-Fraktionschef Rainer Enzweiler berichtete, oder Hydroschilde, die giftige Gase mit Wasser stoppen sollen: Die Wirksamkeit solcher Schutzmaßnahmen für das geplante Factory Outlet Center vor einem möglichen Störfall auf den benachbarten Grillo-Werken sei „als vernachlässigbar“ einzustufen: In diesem Punkt waren sich die beteiligten Genehmigungsbehörden offenbar bereits im Mai einig. Das geht aus einem internen Papier der Stadt hervor.
Um das Outlet-Center baurechtlich doch noch realisieren zu können, bliebe alleine die Evakuierung der Besucher. Weil die Rettung der Menschen auf dem Gelände erfolgen muss, sprechen die Gutachter von einer „Invakuierung“. Doch auch diese würde nicht funktionieren, wie aus der erst vor wenigen Wochen erstellten Entfluchtungsanalye des beauftragten Experten-Büros hervorgeht:
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Die Analyse legt für den unglücklichsten Fall 9000 Besucher zugrunde, die sich bei einem möglichen Störfall auf dem FOC-Areal aufhalten. Davon würden sich 5229 in den einzelnen Shops befinden. Den 3771 Besuchern im Außenbereich bliebe im Ernstfall je nach Aufenthaltsort auf dem Areal zwischen 106 und 442 Sekunden Zeit, sich vor ausgetretenem Schwefeldioxid in Sicherheit zu bringen. Nach der Simulation des Experten benötigen sie dafür aber zwischen 317 und 556 Sekunden. Laut dem Bericht aus dem Rathaus kommt der Experte zu dem Schluss: „Daraus ergibt sich eine verbleibende Menge von 2812 betroffenen Menschen, die nicht entfluchtet werden können.“
Die Stadt kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass ein Outlet-Center auf dem Gelände der alten Rhein-Ruhr-Halle in Hamborn nur in Form einer komplett geschlossenen Halle möglich sei, also ähnlich wie das „Forum“ in der Innenstadt. Die FOC-Projektentwickler hatten betont, dass dies keine Alternative und der „Village-Charakter“ eines offenen Einkaufsdorfes alternativlos für ein Outlet-Center sei.
Auch das Verkehrsproblem ist ungelöst
Inzwischen liegt auch ein neues Verkehrsgutachten vor. Doch auch hier sind die Probleme offenbar weiter ungelöst. Für ein FOC muss die Ausfahrt der A 59 umgebaut werden. An der Kreuzung Duisburger-/Walther-Rathenau-Straße darf es keinen Rückstau auf die A 59 und keine ÖPNV-Behinderung geben, sonst müsste man Fördermittel zurückzahlen.
Nach Meinung der Stadt sind die Nachweise „fehlerhaft“, die Empfehlungen „nicht oder nur mangelhaft“ umgesetzt worden. Das Gutachten bedürfe einer „grundhaften Überarbeitung“, heißt es in dem internen Bericht.
Ist das FOC jetzt endgültig gestorben?
Die Gretchenfrage beim FOC in Hamborn: Wann zieht die Stadt endlich einen Schlussstrich und erklärt das Megaprojekt für gescheitert? Neuerdings ist auch die SPD als stärkste Kraft im Rat verärgert, will aber erst im Februar Nägel mit Köpfen machen. Die Linken haben nur noch Spott übrig für die letzte Strohhalm-Erklärung von CDU-Fraktionschef Enzweiler, die PSL-Fraktion fordert zum wiederholten Mal per Antrag den Projekt-Stopp (auf der dritten Seite dieses Artikels). Damit steht zwar das Thema auch im öffentlichen Teil der Ratssitzung am Montag auf der Tagesordnung. Doch erst später hinter verschlossenen Türen wird der Planungsdezernent Carsten Tum die Politik über den aktuellen Stand und die Problemlage in Kenntnis setzen.
Entscheidend ist die Schuldfrage
So erhalten die Ratsmitglieder in dem nicht-öffentlichen Papier zwar den Hinweis, dass sie generell bei planerischen Entscheidungen „nur den gesetzlichen Bindungen“ unterworfen sind und die „Aufgabe einer Planungsabsicht oder die Nichtweiterverfolgung einer Planung nicht rechtswidrig“ sei. Allerdings ist es so einfach auch wieder nicht.
Denn gleichzeitig gesteht Dezernent Tum auch ein, dass der Ausstieg aus dem Vertrag vor 2017 nur möglich ist, wenn ein Verschulden der Projektentwickler vorliegt. Die wiederum hatten wie vorgegeben bis zum Jahreswechsel zwar entsprechende Gutachten eingereicht. Da diese aber nicht ausreichten, hatte ihnen die Stadt immer wieder die Chance eingeräumt nachzubessern.
Seit Mitte Oktober liegen nun neue oder nachgebesserte Gutachten auf dem Tisch. Diese reichen aber immer noch nicht aus. Ein Ende ist dennoch nicht in Sicht: Für die mangelbehafteten Teile des Verkehrsgutachtens hat die Stadt den Projektentwicklern erneut eine Frist von einem Monat gesetzt. Und auch bei der Störfall-Problematik gibt es offenbar noch Handlungsspielraum: Das Abstandsgutachten müsse „überarbeitet“ werden, gleichzeitig das Outlet-Center als geschlossenes Gebäude ohne Aufenthaltsflächen im Freien umgeplant werden.
Damit wird die Taktik der Stadt deutlich: Der Gutachter-Disput soll solange weitergeführt werden, bis die Projektentwickler entweder aufgeben oder Fristen verstreichen lassen, so dass das Verschulden bei ihnen liegt. Im Zweifel dauert das bis zum 31. Dezember 2016.
Zwei Anträge zum FOC-Ausstieg im Rat am Montag
Der Stadtrat wird am Montag in öffentlicher Sitzung Stellung zum FOC-Projekt beziehen müssen. Gleich zwei Anträge stehen auf der Tagesordnung.
Zum einen fordert die PSL-Fraktion die Stadt auf, sofort von ihrem Rücktrittsrecht vom Grundstückskaufvertrag Gebrauch zu machen. Karlheinz Hagenbuck spricht von einem „Image-schädigenden Stillstand“ und sieht einen Vertragsbruch des Investors.
Zum anderen haben SPD und CDU am Freitag überraschend nachgelegt: Sie fordern die Stadt auf zu prüfen, ob ein Rücktritt möglich ist, da der Stillstand bei dem Projekt „für Rat und Bürgerschaft nicht akzeptabel“ sei. Über die Projekt-Fortführung wolle man aber erst dann in der nächsten Ratssitzung im Februar entscheiden.
Die Linken bekräftigten ihre FOC-Ablehnung mit Spott. Zur Debatte um den Störfall-Schutz erklärte Parteichefin Edith Fröse, sie habe „lieber Folienkartoffeln mit Quark als Enzweilers Quark zu Folien“.
FOC in Hamborn: Chronik einer Planungspleite
Im Oktober 2010 leitete der Stadtrat die Planung eines Factory Outlet Centers ein, dass den Stadtteilen Hamborn und Marxloh einen „städtebaulichen Impuls“ geben sollte.
Im Februar 2011 wurde die Rhein-Ruhr-Halle geschlossen, im gleichen Jahr verkaufte die Stadt ihre Grundstücke an die German Development Group.
Anfang 2012 wurden Behörden und Verbände zu den Plänen angehört, IHK und Einzelhandelsverbände äußerten dabei deutliche Kritik, weil das FOC der Innenstadt schaden würde. Zu dieser Zeit war erstmals öffentlich von dem problematischen Störfall-Abstand zu den Grillo-Werken die Rede.
Im Jahr 2013 kamen erste finanzielle Probleme des Projektentwicklers ans Licht. Er sorgte für Schlagzeilen, weil er die Grunderwerbssteuer zunächst nicht zahlen wollte. Zudem lagen Haftbefehle gegen ihn vor, die auf die Titel von Gläubigern zurückgingen. Das Projekt lag dann ein Jahr auf Eis.
Im September 2014 hat die Stadt mit den neuen Geschäftsführern der Projekt-Firma einen Nachvertrag bis zum 31. Dezember 2016 abgeschlossen.