Duisburg. Stadtentwicklung, Loveparade-Auswirkungen und subjektives Sicherheitsgefühl in den Stadtteilen: drei Meinungsbilder aus Duisburg.

Die Bahnhofsplatte - noch immer eine Betonwüste. Auf dem Gelände neben dem Bahnhof - Wildwuchs und verrottete Gebäude. An der Steinschen Gasse - eine öde Brachfläche. Die alte Stadtbibliothek - leergezogen und mit hirnlosen Graffiti beschmiert. Seit Jahren verfestigt sich der Eindruck, dass sich in der Duisburger Innenstadt nichts mehr bewegt.

Innerstädtisches Kirchturmsdenken

Ein Eindruck den der alteingesessene Geschäftsmann Boris Roskothen teilt. Er führt den ältesten Spielwarenladen Duisburgs, hat auch Stadtgeografie studiert und weiß: „Stadtentwicklung ist ein Prozess, der 20 Jahre und länger dauern kann. Aber wir haben einen Stillstand, der mit dem vergleichbar ist, als das Multi Casa noch neben dem Bahnhof gebaut werden sollte.“ Damals habe die Stadt beides umsetzen wollen, die Aufforstung der Innenstadt und das Einkaufszentrum neben dem Bahnhof. Erst als die Pläne fallen gelassen wurden und stattdessen das Forum in der Innenstadt gebaut wurde, sei die Entwicklung vorangegangen.

„Der Umbau dieser Stadt war immer im Gespräch“, sagt Roskothen, der auch Vorsitzender im IHK Handelsausschuss Niederrhein ist „Das Grundproblem ist, dass die entscheidenden Leute in Duisburg immer alles haben wollen. Dabei stolpern sie über frischgesetzte Pflänzchen und treten die dabei platt.“

Zudem fehle schon in Verwaltung und Politik der nötige Zusammenhalt. „Wir haben innerhalb der Stadt ein Kirchturmsdenken in den einzelnen Stadtteilen. Die sollen ihre Identität ja auch behalten. Aber die fehlende Identifikation mit der Innenstadt ist ein großes Problem in Duisburg“, meint Roskothen. „Ohne eine gut funktionierende Innenstadt, können auch Stadtteilzentren nicht auf Dauer existieren.“

Handel ist ein enorm wichtiger Faktor für eine Stadt

Der Handel sei enorm wichtiger Faktor, der eine Stadt ausmache. Es gebe immer wieder kleine Entwicklungen, die den Stillstand aufbrechen. Aber, so Roskothen: „Es mangelt zum Teil am Sachverstand und der Fähigkeit, die Perspektive anderer einzunehmen. Als Stadt muss ich mir überlegen, hab’ ich genug Potenzial, kann man nicht den einen oder anderen dazu bewegen, sich zu engagieren. Ich sage: Wir haben Potenzial in Duisburg. Und wir Händler sollten besser eingebunden werden.“

Ein eklatanter Mangel herrscht nach seiner Meinung auch in anderer Hinsicht: „Es gibt keine Klarheit. Natürlich ist ein FOC verlockend, aber ich muss auch wissen, dass ich damit ein neues Einkaufszentrum mit entsprechenden Auswirkungen schaffe. Das gilt auch für den Umfang des zentrenrelevanten Angebots, das dem Möbelgiganten Krieger zugestanden wurde. Auch wenn der derzeit kein Thema ist.“

Aber ein ganz wichtiger Baustein der Stadtentwicklung sei völlig aus dem Blick geraten, kritisiert Roskothen: „Ich vermisse nach wie vor in dieser Stadt den ganzheitlichen Ansatz. Der Fosterplan war ein gute Schritt. Aber der Plan liegt irgendwo in der Schublade, da wir einfach nicht weitergemacht. Dabei ist das doch die Hülle, die nur noch gefüllt werden muss, um die gemeinsame Identität als Duisburger zu schaffen, die wir so dringend brauchen.“

Michael Jansen: Schmerzgrenze ist für viele kleinere Vereine erreicht 

Michael Jansen (41), Inhaber einer Logistikfirma, ist seit knapp fünf Jahren Präsident des Hauptausschuss Duisburger Karneval und seit vier Jahren 1. Brudermeister der St. Hubertus Schützenbruderschaft Großenbaum:

„Die Loveparade hat in Duisburg vieles verändert. Durch die gestiegenen Sicherheitsauflagen und dadurch, dass bereits längst bestehende Vorschriften nun konsequent umgesetzt wurden, sind die Kosten für Veranstaltungen enorm gestiegen. Die Worte „Brandschutz“ und „Sicherheitskonzept“ können viele Vereine inzwischen nicht mehr hören. Und angesichts des Geldmangels der Stadt werden viele Kosten inzwischen in kaum nachvollziehbarer Höhe auf Vereine umgelegt. Wer beispielsweise eine Open-Air-Veranstaltung zum Sessionsauftakt machen will, zahlt aktuell alleine für die Genehmigung durch die Stadt und für einen Stromanschluss rund 1000 Euro. Da ist die Schmerzgrenze für viele kleinere Vereine inzwischen erreicht. Die Stadt stellt diese Kosten im Moment aber auf den Prüfstand. Und ich möchte bei aller Kritik auch betonen, dass sie uns auch ansonsten hilft, wo sie kann.

Bevölkerung wendet sich vom Brauchtum ab

Aber alle diese Schwierigkeiten wären ohnehin lösbar, wenn nicht ein drittes, noch viel gravierenderes Problem hinzu käme: Die Bevölkerung wendet sich immer mehr vom Brauchtum ab. Viele Vereine bekommen ihre Festzelte oder Schulaulen bei Veranstaltungen doch gar nicht mehr voll. Da sind die gestiegenen Kosten irgendwann auch nicht mehr zu stemmen. Diese Schere zieht sich immer mehr auseinander. Diejenigen, die sich über Überfremdung und mangelndes Heimatgefühl beschweren, sollten ihre Sitzflächen vielleicht einfach mal von der Couch hieven und zu den Karnevalsgesellschaften und Schützenbruderschaften gehen: Da wird noch Tradition gelebt.“

KFZ-Meister will mit seinem Betrieb Marxloh verlassen 

Stefan Gryszka (47) betreibt die Autowerkstatt „ad Auto Dienst“ an der Marxloher Dahlstraße, mitten in einem Viertel mit starkem Zuzug von Rumänen und Bulgaren. Vor einigen Jahren hat er den 1968 vom Vater gegründeten Betrieb übernommen. Er hat sein ganzes Leben in Marxloh verbracht, doch nun denkt er über Veränderung nach.

„Ich habe immer gesagt, ich werde mein ganzes Leben lang in Marxloh bleiben. Aber angesichts der aktuellen Vorgänge stimmt das nicht mehr: Ich habe mir ein Haus in Rees gekauft. Meine beiden 19 und 21 Jahre alten Töchter wollen nicht mehr im Stadtteil bleiben. Sie können, insbesondere abends, nicht über die Straße gehen, ohne dumm angequatscht zu werden. Tagsüber geht es hier noch. Aber abends geht die Post ab: Insbesondere an der Hagedorn- und der Rudolfstraße stehen große Gruppen von Rumänen und Bulgaren auf den Straßen.

Haustüren sind vielfach eingetreten

Die Haustüren sind vielfach eingetreten. Überall liegt Müll und manchmal auch menschlicher Kot herum. Da nutzt es wenig, dass die Wirtschaftsbetriebe alle zwei Tage sauber machen. Mir wirft man tote Tauben auf das Firmenglände. Sprechen kann man mit den Leuten nicht, die reagieren sofort aggressiv. Ich weiß nicht, wie man das Problem in den Griff bekommen kann. Die Polizei ist hier regelmäßig auf Streife. Aber von der Stadt sieht man so gut wie nie jemanden. Ich habe für meine Kunden schon Leihwagen beschafft, damit sie, wenn sie ihr Auto bei mir lassen müssen, nicht durch den Stadtteil laufen müssen. In der Berichterstattung im Zusammenhang mit dem Besuch von Frau Merkel in Marxloh war einiges übertrieben, das mit der „No-go-Area“ hat den ansässigen Geschäftsleuten wenig gepasst. Aber vieles traf auch zu. Noch halten mir die Kunden die Treue. Aber wenn sich nichts ändert, werde ich wohl auch den Betrieb verlagern müssen.“