Duisburg. Am Jahrestag der Pogromnacht warnte OB Sören Link bei der Gedenkfeier im Rathaus: „Rassismus hat viele Gesichter.“ Dem Pegida-Aufmarsch am Hauptbahnhof stellten sich rund 400 Duisburger entgegen.
„Am Ende werden sie uns noch alle umbringen“, sagte die Jüdin Elisabeth Rosenthal am Tag nach der Pogromnacht am 10. November 1938 zu ihrer Tochter, während Mann und Sohn von Nazi-Banden zusammengeschlagen in Haft waren: Mit dieser unheilvollen Vorahnung, die undenkbare Realität im Holocaust wurde, endet eindrucksvoll die Tischszene, die Hamborner Realschüler zur Gedenkfeier zum Jahrestag der Pogromnacht 1938 am Montagabend im Ratssaal vortrugen.
Neben Rosenthals, die ungläubig die Schreckensnacht in Duisburg vor 77 Jahren erleben, zeigt die Nachbarfamilie Wagner in ihren von den Schülern nachgestellten Tischszenen unverhohlene Genugtuung zu den Geschehnissen des 9. Novembers: Auch das war Duisburg zum offenbaren ersten Fanal der Judenverfolgung in der Nazi-Zeit.
„Schauen wir nicht weg, sondern hin"
Beklemmend also, die kurzen, aber eindringlichen Zitat-Szenen der Schüler, die eingebettet waren in die Gedenkstunde der Stadt mit Teilnehmern aus Gemeinden, Politik und Verbänden. Ein stilles, warnendes Gedenken, während nur wenige 100 Meter entfernt Pegida und Rechte selbst an diesem Gedenktag am Hauptbahnhof aufmarschierten — wenn auch nicht ohne Gegenkundgebung: „Schauen wir nicht weg, sondern hin und zeigen denen die rote Karte, die Hass schüren“, sagte Oberbürgermeister Sören Link zur Begrüßung im Ratssaal. Im Angesicht der Hetze gegen Flüchtlinge beschleiche ihn das ungute Gefühl, „dass uns die Vergangenheit wieder einholt“.
„Rassismus hat viele Gesichter“, warnte er mit Blick auf die „Aufmärsche von Rechten“, zunehmenden Anschläge und der grassierenden Hetze in sozialen Netzwerken. „Der Holocaust hat nicht mit der Pogromnacht, mit Deportationen und Konzentrationslagern begonnen, sondern schon früher in den Köpfen“, so Link. Sorgen, Bedenken oder Ängste wegen der aktuellen Flüchtlingszahlen dürften nicht dazu führen, „dass es richtig und okay ist, bei den Rechtspopulisten nach Lösungen zu suchen“, forderte Link ein „Miteinander ein, um diese Herausforderung gemeinsam zu meistern“.
Archiv der Diskriminierten
Eines der Opfer der Pogromnacht in Duisburg war ein jüdischer Ladenbesitzer, der von SA-Trupps zusammengeschlagen worden war und starb. Nichts davon findet sich in Akten des Stadtarchivs, zu dem der heutige Archivleiter Dr. Andreas Pilger in der Gedenkstunde kritische Rückschau hielt. Eine einzige Akte zähle penibel auf, was damals vor 77 Jahren zerstört wurde. „Offizielle Akten dokumentieren nicht die Wahrheit, sie verwischen und glätten“, warnte er vor Geschichtsverfälschung: „Unrecht findet nicht den Weg in amtliche Überlieferung. Wo die Akten schweigen, lässt sich Unrecht schwer aufarbeiten“, so der Historiker, der konstatierte, dass das Duisburger Archiv damals „Teil der Verwaltung und damit in die NS-Zeit verstrickt war“.
Auch nach dem Krieg stand es nicht an der Spitze der historischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Herrschaft in Duisburg. Umso wichtiger ist Pilgers Mahnung und Selbstverständnis: „Wir wollen heute das Archiv für alle sein und damit auch ein Archiv der Diskriminierten."
Festnahmen bei Demonstrationen am Duisburger Hauptbahnhof
Rund 450 Demonstranten stellten sich am Montagabend am Hauptbahnhof dem Pegida-Aufmarsch entgegen, dem sich etwa ebensoviele Teilnehmer anschlossen. Ein starkes Aufgebot von Beamten der Polizeihundertschaft trennte die beiden Kundgebungen, zu der auch Hogesa-Anhänger und Vertreter der rechtsextremen Szene aus Dortmund gekommen waren.
Aus der Gruppe der Gegendemonstranten versuchten einige zu den Pegida-Anhängern durchzubrechen. Es kam zu einem Flaschenwurf, bei dem niemand verletzt wurde, teilt die Polizei mit.
Zum Widerstand gegen den fremdenfeindlichen Pegida-Aufmarsch hatte in der vergangenen Woche neben dem Bündnis „Duisburg stellt sich quer“ auch der Kreisverband der Bündnisgrünen aufgerufen.
Auch Mitglieder der Partei der Linken und der IG Metall beteiligten sich mit Fahnen an der Kundgebung. Sie wollten nicht tatenlos hinnehmen, dass Pegida auch am 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, nicht auf ihren „Abendspaziergang“ durch die Duisburger Innenstadt verzichteten.
„Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg"
„Schämt euch, euren Fremdenhass auf die Straßen zu tragen“, riefen die Teilnehmer der Gegendemo. Sie versuchten, Pegida mit Trommeln und Trillerpfeifen zu übertönen, viele trugen Plakate mit der Aufschrift: „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg."
Während der Kundgebung musste die Polizei Versuche von Gegendemonstranten unterbinden, sich dem „Abendspaziergang“ auf der Kreuzung Mercatorstraße/Friedrich-Wilhelm-Straße in den Weg zu stellen. Zeitweise kreiste auch ein Hubschrauber über dem Bahnhof, der das Demo-Geschehen aus der Luft beobachtete.
Am Bahnhofsvorplatz versuchten abermals Gegendemonstranten zur Pegida zu gelangen. Die Polizei verhinderte den Durchbruch, dabei wurde ein Beamter durch einen gezielten Faustschlag ins Gesicht verletzt und kam mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus, so die Polizei. Insgesamt fünf Strafanzeigen, drei wegen Beleidigung und zwei wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, mussten die Polizisten fertigen. Die Versammlungen waren gegen 21 Uhr beendet.