Duisburg. Der Brandschutz verbietet es, mehr als 199 Asylbewerber am Duisburger Kerskensweg unterzubringen. Die Privatsphäre bleibt dabei auf der Strecke.
Neben dem Feldbett von Ouahiba steht ein Klappstuhl. Er dient als Nachttisch. Ein Teddybär sitzt darauf, daneben liegt ein Koran. Die anderen Habseligkeiten hat die 33-Jährige in Plastiktüten verstaut. Viel ist der Französisch-Lehrerin aus Algier nicht geblieben. Sie floh, weil Frauen in ihrer Heimat nichts gelten, sagt sie. Ihre Familie hätte lieber einen Jungen an ihrer Stelle gehabt, Fremde hätten sie bespuckt. Nun schläft sie vorübergehend in der Walsumer Notunterkunft am Kerskensweg.
Flexibilität contra Gründlichkeit
40 weiße Einheitszelte vom Typ 30 stehen dort, beherbergen 199 Personen. Mehr dürfen es nicht sein, weil der Brandschutz in der benachbarten Halle, in der zum Beispiel gegessen wird, nur für 199 Menschen genehmigt wurde. Das stellt die Betreiber des Deutschen Roten Kreuzes Nordrhein vor ein Problem – eigentlich soll die Einrichtung künftig Platz für Hunderte Asylbewerber bieten. Pressesprecherin Stefanie Kutschker steht vor der Zeltstadt und hofft, dass Kanzlerin Angela Merkel wahr macht, was sie in einer Rede versprach: Dass es nicht nur auf „deutsche Gründlichkeit“ ankommt, sondern auf „deutsche Flexibilität“. Dann nämlich könnten die Regeln beim Brandschutz gelockert werden.
Rund 20 Personen – darunter Sicherheitspersonal, Betreuer und Küchenkräfte – arbeiten in der Zeltstadt, die seit einer Woche von der Bezirksregierung Düsseldorf betrieben wird. „Unsere Mitarbeiter haben verschiedene Ausbildungen, sind Sozialpädagogen oder Krankenschwester und sprechen viele Sprachen“, erklärt Einrichtungsleiter Kaan Günes, der zuvor im St. Barbara Hospital in Neumühl arbeitete. Die Konzepte ließen sich aber nicht so einfach übertragen. „Die Zelte sind eine absolute Notlösung.“ Derzeit dauere es zudem länger, bis die Flüchtlinge auf kommunale Einrichtungen verteilt werden. Einige müssen zuerst registriert werden.
In Deutschland ist es sauber, ruhig und die Menschen sind freundlich
Ouahiba ist glücklich, dass sie es nach Deutschland geschafft hat. „Hier ist es sauber, ruhig und die Leute sind freundlich. Danke.“ Über die Unterbringung schaut sie hinweg, will sich nicht aufregen, dass bei sechs Betten pro Zelt die Privatsphäre ausgesperrt wird. Andere beklagen, dass Duschen und Toiletten, untergebracht in einem Container, in keinem guten Zustand seien. „Auch das ist eine Notlösung“, so Stefanie Kutschker.
Immerhin, es gibt auch positive Nachrichten, für die die Walsumer selbst sorgen. Die Kleiderkammer ist randvoll. Nun müssen die Spenden in den nächsten Tagen sortiert werden. Und neulich stand eine Deutsch-Marokkanerin vor dem Tor. Spontan wollte sie ein paar Frauen und Kinder einladen, um sie in Duisburg willkommen zu heißen.
Einrichtungsleiter vermittelt zwischen den Kulturen
Kaan Günes hängt ständig am Telefon. Alle fünf Minuten klingelt’s, die Bezirksregierung ruft an oder für das Deutsche Rote Kreuz muss etwas organisiert werden. „Gerade am Anfang ist viel zu tun, ich bin Improvisieren gewöhnt“, erklärt der Leiter der Einrichtung.
Früher hat er mal eine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann gemacht, ist später dann in den sozialen Bereich gewechselt. Zunächst arbeitete er mit Obdachlosen, dann im SOS Kinderdorf, nun leitet er das Asyl. „Jetzt sind Leute wie wir, die sich in verschiedenen Kulturen auskennen, gefragt.“ Seine Mutter ist Kurdin, der Vater Türke, aufgewachsen ist er am Niederrhein. „Meine Eltern haben darauf geachtet, dass ich mich mit allen versteh’, aber oft war ich der einzige mit schwarzen Haaren in der Klasse.“ Günes fügt hinzu: „Es hat lange gedauert, bis ich mit allen Kulturen klar kam, ohne mich zu verstellen.“
Vor allem im Umgang mit den Flüchtlingen sei es gut, die gleiche Sprache zu sprechen, das baue Barrieren ab. Nach einiger Zeit bekommt er viele Geschichten erzählt. „Erwachsenen traue ich viel zu, bei den Kindern geht es mir manchmal nahe, was sie erlebt haben.“ Wohl in der kommenden Woche werden die ersten weitervermittelt und in kommunale Einrichtungen verlegt. Einige kommen vielleicht von der Zeltstadt in eine Turnhalle.
Anfang Oktober ausgelastet
3140 Asylbewerber sind derzeit in Duisburg untergebracht, rund 1625 Menschen leben in 500 Wohnungen. Die Stadt beziffert die Kosten für 2015 auf 37,8 Mio. Euro, davon muss die Kommune 20,2 Mio. Euro selbst tragen.
Voraussichtlich Ende September/Anfang Oktober gebe es keine freien Kapazitäten mehr, wenn der Zustrom weiter anhalte, teilt die Stadt mit. Notunterkünfte, Turnhallen Wohnungen sind dann vollständig belegt.