Duisburg. Ein SEK hat das Haus einer Duisburger Familie gestürmt. Der Sohn soll ein G3 gekauft haben. Die Familie hat bis heute die Nacht nicht verarbeitet.
Gegen vier Uhr zerreißt eine Explosion die nächtliche Stille in der Adamstraße in Röttgersbach. Aufgeweckte Nachbarn eilen ans Fenster, sehen vermummte Polizisten in eines der Siedlungshäuser eindringen. Auch die Familie Kiesewetter wird von dem enormen Knall aus dem Schlaf gerissen. Die Mutter eilt sofort in die untere Etage, will zu ihrem Sohn (21).
Doch auf halber Treppe stellen sich ihr zwei Polizisten des Sondereinsatzkommandos (SEK) in den Weg, fordern sie auf, sich hinzulegen und still zu verhalten. Gleiches geschieht im Erdgeschoss mit dem Sohn der Familie. Den Vater, Rudi Kiesewetter, zwingen die SEK-Leute im elterlichen Schlafzimmer auf den Boden.
„Ich hatte Todesangst“
Dann durchsuchen die Beamten das Haus nach Waffen, die dort gelagert sein sollen, darunter eine Schnellfeuerwaffe, das sogenannte G3, das ehemalige Standardgewehr der Bundeswehr. Der Sohn soll es laut Aussage eines inhaftierten ehemaligen Bekannten im Januar dieses Jahres von einem Dritten gekauft haben. „Verdacht auf Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz“ lautet der Grund für den richterlichen Durchsuchungsbefehl, den das SEK gründlich ausführt.
Gefunden hat die Sondereinsatztruppe gemäß Polizeibericht des selben Tages nichts. Kein Gewehr, keine Pistole, keine Munition und auch nicht das Butterflymesser. Keine der Waffen, die der Sohn angeblich in der elterlichen Wohnung gelagert haben sollte.
Nach fünf bis sechs Minuten zieht das SEK wieder ab. Die Wohnungstür ist aus den Angeln gesprengt, die Verandatür gerammt, überall liegen Glassplitter rum, stecken in der Wand gegenüber der Eingangstür. Der Einsatz ist vorbei, doch Rudi Kiesewetter steckt er bis heute in den Knochen. „Ich hatte Todesangst“, sagt der 50-Jährige, der an Diabetes leidet. Und das liege an der rabiaten Vorgehensweise des SEK.
Vater hatte Angst zu ersticken
„Die kamen mit Maschinengewehren im Anschlag ins Schlafzimmer, haben mich wortlos runtergedrückt und dabei in die Kniekehlen getreten, meine Hände auf dem Rücken gefesselt und mir eine Jacke aus meinem Schrank über den Kopf gezogen. Ich bekam kaum Luft, hatte Angst zu ersticken“, schildert Rudi Kiesewetter den Einsatz aus seiner Sicht. Auf seine Frage, was er getan habe, habe einer der SEK-Leute barsch geantwortet: „Dein Sohn ist ein Verbrecher und handelt mit Waffen.“
Der 21-Jährige, der im Erdgeschoss vom SEK festgesetzt wurde, erzählt von einer ähnlichen Behandlung: „Meine Hände haben sie mit einem Kabelbinder zusammengeschnürt, mir eine Decke über den Kopf geworfen und mich angeschrien: Halt die Beine still, du Spasti.“ Auch als „Affe und Bastard“ sei er von den Beamten bezeichnet worden.
Vom straffälligen Kumpel distanziert
Dass er den Menschen kennt, der ihn beschuldigt hat, leugnet der junge Mann keineswegs. Im Februar habe er ihn in Bottrop kennengelernt und ihn innerhalb von zwei, drei Monaten immer mal wieder getroffen, ebenso wie einige Mitglieder des Motorradclubs „Brothers MC“ aus Bottrop. Er sei aber nicht mit diesen Leuten befreundet gewesen. Und als der heute inhaftierte, ehemalige Kumpel straffällig geworden sei, habe er sich sofort von ihm distanziert, sagt der junge Kiesewetter.
Auch sein Vater will ihm geraten haben, umgehend den Kontakt abzubrechen. Dass sein Sohn mit Waffen gehandelt haben soll, weist Rudi Kiesewetter, der als Gleisarbeiter beschäftigt ist, weit von sich: „Niemand von uns ist vorbestraft. Wir sind unbescholtene Bürger, die einer geregelten Arbeit nachgehen.“ Für einen anderen Zweig der Familie gelte das zwar nicht, aber von dem habe sich seine Familie schon vor 20 Jahren losgesagt, es bestehe keine Verbindung mehr.
Duisburger glaubt, dass einige SEK-Kräfte Spaß an Erniedrigung hatten
Verständnis habe er, so Rudi Kiesewetter durchaus für den Polizeieinsatz: „Wenn von einem Maschinengewehr die Rede ist, muss das wohl sein. Die machen ja auch nur ihre Arbeit. Aber muss man die Leute bei der Durchsuchung auch noch erniedrigen?“ Er habe den Eindruck, dass gerade das einigen der SEK-Leute richtig Spaß gemacht habe.
„Mehr Umsicht erwartet“
Kiesewetter: „Meine Frau hat als der Einsatz beendet war, einen der SEK-Polizisten gefragt, ob er unsere Katze gesehen habe, die verschwunden sei. Und seine Antwort war: Die hat einen Kopfschuss gekriegt, die liegt tot im Garten. Das stimmte gar nicht, aber meine Frau war völlig entsetzt, bis das Tier wieder aufgetaucht ist.“ Er selbst sei derzeit krank geschrieben und in psychologischer Behandlung, weil er den Einsatz immer noch nicht verkraftet habe. „Ich wache nachts immer wieder schweißgebadet auf.“
Sein Anwalt, Hans-Joachim Pfeiffer, hat gleichzeitig mit dem Antrag auf Akteneinsicht eine Beschwerde über die Vorgehensweise der SEK-Beamten an Polizeipräsidentin Elke Bartels gerichtet. „Wenn ein Verdacht auf Besitz einer solchen Waffe vorliegt, mag eine Durchsuchung sinnvoll sein. Der gleichzeitige Einsatz eines SEK ist aber was Anderes“, sagt Pfeiffer. „Ich erwarte aber hier mehr Umsicht. Immerhin sind hier überwiegend Personen betroffen, die nicht einmal beschuldigt sind. Man kann eine Durchsuchung, bei der übrigens nichts gefunden wurde, sicherlich mit sehr viel weniger Aufsehen und schonender durchführen.“
Schließlich sei durch den SEK-Einsatz auch das Grundrecht der Eltern auf „Unverletzlichkeit der Wohnung“ verletzt worden. Im Übrigen wundere es ihn, so Pfeiffer, dass bei dem schwer wiegenden Verdacht auf Besitz einer Schnellfeuerwaffe der Durchsuchungsbefehl vom 16. Mai datiert, aber erst am 8. Juli umgesetzt wurde.
„Es gab den richterlichen Beschluss“
Das sei nichts Ungewöhnliches, sondern der Organisation eines SEK-Einsatzes geschuldet, erklärt Polizeisprecher Ramon van der Maat: „Wir haben in ganz NRW fünf Spezialkommandos, die wir für solche Fälle anfordern können. Die Einsätze müssen also dementsprechend mit Vorlauf geplant werden.“
Zu dem Einsatz in Röttgersbach will er sich nicht weiter äußern. „Es gab einen richterlichen Beschluss, der auch die Durchsuchung zur Nachtzeit zuließ, und wir müssen den umsetzen.“ Zu den Beschwerden über die Vorgehensweise sagt van der Maat nur: „Die kaputten Türen bezahlt die Behörde. Ansonsten hat jeder Bürger das Recht, Strafanzeige wegen Körperverletzung im Amt zu erstatten.“