Duisburg. Der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Duisburg wechselt nach Düsseldorf und wird dort beim Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein arbeiten.

Er war unabhängiger Oberbürgermeisterkandidat, schrieb an einem Buch über den Dialog zwischen Juden und Moslems mit, war eine wichtige Stimme in der Stadt. Nun wechselt Michael Rubinstein in den Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein. Im Interview blickt er auf große Herausforderungen zurück und auf die, die noch kommen werden.

Herr Rubinstein, wie fanden Sie vor elf Jahren den Weg aus der Wirtschaft in eine jüdischen Gemeinde?

Rubinstein: Ich war schon als Jugendlicher ehrenamtlich aktiv in der Gemeinde, saß in Düsseldorf in Gemeindeausschüssen und habe dort mit Studenten gearbeitet. Aber als mein Berufsleben begann, waren die Gemeinden noch nicht groß genug, um eine mögliche Perspektive zu sein. Dann kam die Neuzuwanderung aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion und die Gemeinden wuchsen. 1997 bis 99 war ich hier, noch in Mülheim, Jugendleiter, deshalb kannte mich der damalige Vorsitzende Jacques Marx und kam auf mich zu, als er einen neuen Geschäftsführer suchte. Er sagte: „Hauche dieser Gemeinde Leben ein“ Das stand nicht in meinem Karriereplan und war mehr Berufung als Beruf.

Was meinte Jacques Marx damit?

Rubinstein: Marx hat gewusst, dass die organisatorische Struktur der Gemeinde nicht ihrer Größe entsprochen hat. Wir sind von 118 Mitgliedern auf fast 3000 gewachsen und sind in das neue Gemeindezentrum eingezogen, aber was Verwaltung, Öffentlichkeitsarbeit und die Vermittlung jüdischer Werte betrifft, waren wir noch nicht so weit. Eine der ersten Sachen, die wir deshalb eingeführt haben, war das Angebot eines jüdischen Religionsunterrichts bis einschließlich zum Abitur. Aber es wurde noch mehr: Organisation, Kultur, Soziales, jüdische Inhalte. Ich hatte das Glück, dass Jacques Marx meinen Ideen gegenüber aufgeschlossen war.

Eines der großen Projekte, die Sie in Ihrer Duisburger Zeit begleitet haben, war die Eröffnung des jüdischen Kindergartens.

Rubinstein: Es war das größte Einzelprojekt. Wir haben es ein dreiviertel Jahr lang vorbereitet. Im Mai kam die Zustimmung aus dem Jugendhilfeausschuss, im August haben wir eröffnet. Es ist schön, viel Kraft in so ein Projekt zu stecken. Jedenfalls viel schöner positiver als in die Sanierung des Gemeindezentrums, die mich seit elf Jahren begleitet.

Welche Arbeit werden Sie dabei Ihrem Nachfolger hinterlassen müssen?

Rubinstein: Die umfangreichen Vorarbeiten der Sanierungsmaßnahmen, die wir als Gemeinde zu leisten haben, sind mittlerweile abgeschlossen. Aber die gesamte Umsetzung liegt in den Händen meines Nachfolgers. Wir benötigen noch gewisse Freigaben, dann wäre der Baubeginn der nächste Schritt. Wir sind schon startbereit. Es gibt aber noch juristische Fragen zu klären. Deshalb steht die Ampel noch auf Gelb.

Sie haben sich in den vergangenen Jahren um eine Annäherung der Religionen und Kulturen in Duisburg bemüht. Welche Arbeit muss da noch getan werden?

Rubinstein: Die Kontakte sind zumindest auf der Funktionärsebene über die Jahre intensiver geworden. Heute herrscht dort überwiegend ein positives Verhältnis. Aber insgesamt ist es mehr ein loses Nebeneinander als ein Miteinander. Einen Dialog, wie es ihn früher gab, den gibt es heute nicht mehr. Und wenn es ihn wieder geben sollte, dann müsste er offener und kritischer geführt werden. Ziel muss Nachhaltigkeit sein, anstatt Lippenbekentnisse oder Symbolpolitik. Aber ich glaube nicht, dass das ein überholtes Modell ist. Andererseits steht man aber zusammen, zum Beispiel politisch gegen „Pegida“, das ist auch wichtig. Als jüdische Minderheit haben wir, trotz aller Schwierigkeiten im Dialog miteinander, auch gemeinsame Interessen mit den Muslimen. Zum Beispiel beim Streit um Beschneidungen, was uns gemeinsam betraf. Und wir dürfen auch nicht so naiv sein zu glauben, dass die Rechten beim Thema Flüchtlinge aufhören werden. Wir haben letztes Jahr erleben müssen, dass beim Konflikt zwischen Israel und Gaza die Kritik nicht an einem Land festgemacht wird, sondern auch die jüdischen Menschen in Deutschland aus diesem Grund angefeindet wurden.

Bemerken Sie einen zunehmenden Antisemitismus in der Gesellschaft?

Rubinstein: In Duisburg ist es erstaunlicherweise – im Vergleich mit anderen Städten in der Umgebung – immer sehr ruhig gewesen. Weniger Antisemitismus gibt es nicht, aber er bereitet uns nicht so viele akute Kopfschmerzen wie andernorts. Wenn ich Dortmund sehe, auch eine Ruhrgebietsstadt, da ist die Situation ganz anders. Vielleicht ist die Situation bei uns besser, weil wir uns nie versteckt haben und die Leute uns als Teil des Ganzen sehen. Dafür hat sich auch Jacques Marx engagiert und das trägt zu unserem guten Ruf bei, auch bei den Muslimen. Ich war bei der Grundsteinlegung der großen Ditib-Moschee, durfte bei der Eröffnung sprechen – wir haben früh verstanden, dass so ein Miteinander wichtig ist.

Welche großen Aufgaben kommen auf die jüdischen Gemeinden in Deutschland und besonders auf die in Duisburg zu?

Rubinstein: Unsere Sozialarbeit ist gerade in einer Phase des Umbruchs. Es gibt keine Zuwanderung mehr aus den ehemaligen Sowjetstaaten, aber die Altersstruktur innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland verändert sich. Für uns geht es nicht mehr in erster Linie um Integrationsarbeit, stattdessen müssen wir unsere Verpflichtung im Bereich der sozialen Daseinsvorsorge erfüllen. Bei der Betreuung unserer Mitglieder steht nun zum Beispiel der Umgang mit Familienangehörigen, die an Demenz erkrankt sind, im Vordergrund. Wir bilden Demenzbegleiter aus, widmen uns verstärkt dem Thema Menschen mit Behinderung, versuchen herauszufinden, wie man Menschen im Alter zu Hause betreuen und versorgen kann. Gleichzeitig müssen wir den Spagat schaffen und auch auf die Arbeit mit jungen Familien setzen. Durch den Kindergarten, den Jugendleiter und den Rabbiner bemerken wir dort schon eine Belebung.

Aufregende Monate hatten Sie 2012, als Sie zur Wahl des Oberbürgermeisters antraten. Sie holten rund elf Prozent der Stimmen, denken Sie gerne an diese Zeit zurück?

Rubinstein: Ich bereue nicht, es getan zu haben. Es war eine spannende Zeit und ich habe viel gelernt. Zwischendurch habe ich mich schon gefragt, warum ich mir das alles antue, aber es war eine Entscheidung in vollem Bewusstsein und ich habe es mit Leidenschaft betrieben. Zwei Sachen haben mich besonders gefreut: Die Duisburgerinnen und Duisburger haben mich als ernsthaften Kandidaten gesehen und mir vertraut. Und obwohl ich immer gesagt habe, dass meine Religion kein Kriterium bei der Wahl sein soll, haben viele gesagt: Ein Jude wird bei der großen Zahl an Ausländern in Duisburg nicht gewählt. Es hat mir und der jüdischen Gemeinschaft gut getan, dass ich rund elf Prozent bekommen habe. Und es hat uns viele Türen geöffnet.

Nun geht es für Sie nach Düsseldorf, wo Sie als Geschäftsführer des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein arbeiten werden. Ist auch das mehr Berufung als Beruf?

Rubinstein: Es ist Berufung, und es ist sogar ein bisschen „nach Hause kommen“, nachdem ich 20 Jahre lang nicht mehr in Düsseldorf gelebt habe. Aber es wird schon eine andere Arbeit sein, da ich nicht mehr jeden Tag in das operative Gemeinde-Geschäft eingebunden bin. Meine Aufgabe wird es sein, die Zusammenarbeit mit und zwischen den acht angeschlossenen Gemeinden und die öffentliche Wahrnehmung zu stärken. Ich muss dem Landesverband kein Leben einhauchen, wie Jacques Marx damals in Duisburg forderte. Aber die Aufgabenstellung ist ähnlich, das hat mich gereizt. Trotzdem werde ich wohl ein bisschen fremdeln, denn inzwischen bin ich mehr Königstraße als Königsallee.