Duisburg. Für zehn Millionen Euro muss die Duisburger Mercatorhalle saniert werden. An allen Ecken der “feinen Adresse“ zeigt sich der Skandal-Pfusch.
Auf zehn Millionen Euro sind die Sanierungskosten für den Pfusch bei Planung und Ausbau in der Mercatorhalle explodiert. Ein Blick in den Großen Saal und das Foyer lassen ahnen, warum Duisburgs Skandal-Baustelle so teuer wird.
Man möchte sich unter eine (funktionierende?) Sprinklerdüse stellen, um seine Wallung zu kühlen: In dem einstmals eleganten und raumgreifenden Foyer mit den weiten Fensterfronten, dem glänzenden Parkett und den modernen Kunstwänden, in dem Konzertbesucher in den Pausen wandelten (damals vor drei Jahren!) und Empfänge repräsentatives Ambiente fanden, steht ein Gerüst bis zur Decke. Der komplette Boden ist mit Holzfaserplatten ausgelegt, die Wände sind schutzverkleidet und die gläsernen Geländer der Treppenaufgänge mit nackten Holzplatten vernagelt. Wochen der Vorarbeiten und Hunderttausende Euro kostet es allein, die Baustelle für die Sanierung zu sichern.
Denn jetzt fährt schweres Gerät vor, um die komplette Deckenverkleidung abzureißen. Warum: Weil das Foyer kein zulässiges Entrauchungssystem hat. Das war schon vor mehr als zwei Jahren bei einem Kaltrauchtest mit ziemlichem Entsetzen festgestellt worden, als der Qualm einfach nicht aus den geöffneten Fenstern abziehen wollte. Die Kosten für die neue Entrauchung sind aber erst jetzt klar: 1,3 Millionen Euro.
Es wurde nicht nur gepfuscht – so zeigt Hans-Joachim Geiser, Projektleiter beim städtischen Immobiliendienst IMD, auf dünnen Telefondraht, der die Decke am Träger hält. Sondern auch falsch geplant, falsch begutachtet und von Prüfsachverständigen dennoch für gut befunden. Schlampig, mit Absicht, kriminell? Aber auch das gehört zur Wahrheit, die eigentlich offenkundig ist, aber auf dem Papier zur Eröffnung 2007 nicht galt: Das Foyer mit mitunter 1000 Menschen ist eine Versammlungsstätte – mit strengsten Brandschutzauflagen. Da muss im Brandfall Rauch in nullkommanix abziehen und es eine 2,50 Meter hohe rauchfreie Schicht geben – bei drei Metern Deckenhöhe in den letzten Ecken des Foyers eine Herausforderung.
Also werden jetzt 14 antriebsstarke Ventilatoren aufs Dach gesetzt und Schächte durch die Decke gebohrt. An der Fensterfront werden auf der gesamten Länge Elemente durch Lamellenfenster ersetzt, die Frischluft zuführen. Mit leichtem Unterdruck soll die riesige Luftmenge von 160 000 Kubikmeter im Brandfall ausgetauscht werden. „Wenn im Testlauf weißer Rauch über dem City-Palais steht, ist alles in Ordnung“, kann sich Geiser Sarkasmus nicht verkneifen. „Oder wir nehmen weiß-blauen Rauch zu Ehren des MSV“, beweist IMD-Chef Uwe Rohde Galgenhumor.
Holzklötzchen halten den Rang der Mercatorhalle
Steigerung des Pfusch-Raritäten- oder besser Horror-Kabinetts gefällig? Bitte, hinein in den Großen Saal und hinauf auf den Rang. Schäbige wenige Zentimeter zu hoch waren die Stufen, hieß es zunächst als Schadensmeldung. Und jetzt zeigt sich: Die komplette Parkett-Verkleidung aus schönstem Ahorn muss bis zum nackten Beton herausgerissen und erneuert werden. Statt 300 000 Euro werden jetzt über eine Million Euro fällig: Dünne Schräubchen und wackelige Klötzchentürmchen, die jedem Hobbybastler peinlich wären, geben der Holzkonstruktion den Anschein von Halt: „Der ganze Rang ist in sich beweglich“, konstatiert Rohde fassungslos. Den Parkettleger will die Stadt mit Schadensersatzforderungen belegen, deshalb läuft ein aufwendiges Beweissicherungsverfahren. Dass die Sachverständigen den Pfusch nicht eher klar diagnostiziert haben, bezeichnet Rohde zurückhaltend als „kurios“.
Zum Himmel mag man vor Ärger schauen und sieht dort doch gleich den nächsten: die Bühnentechnik. An dicken Stahlseilen hängen die hölzernen Akustikwellen und weitere technische Anlagen normalerweise unter der Decke. Jetzt liegen sie am Boden. Weil zu den Reparaturen der Steuerung der Bühnentechnik auch das komplette Haltesystem erneuert werden muss. Schlampig sind die Dübel gesetzt, je vier für knapp 250 Haltepunkte - macht zusammengezählt . . . über 230 000 Euro Sanierungskosten. Dass die bisherigen Dübel halten, dafür gibt es keine Beweise, keine vorgeschriebenen Protokolle – also alles neu. Immerhin: Die Decke hält die Last, sagen die Statiker – man ist ja fast dankbar.
Mercatorhalle wird saniert
Brandwache rund um die Uhr
Der Rundgang mit den Fulltime-Sanierern vom IMD endet mit eine obskuren Begegnung: mit dem Sicherheitspersonal, das rund um die Uhr Kontrollgänge durch die Mercatorhalle macht. Als Brandwache, weil die verpfuschte Brandschutztechnik ohnehin komplett abgeschaltet ist.
Nicht nur beim IMD sind horrende Kapazitäten mit der Sanierung der Mercatorhalle gebunden. Im Rechtsamt türmen sich die Akten für die zahlreichen Klageverfahren und Schadensersatzforderungen. Ob die Stadt über Urteile oder Vergleiche zumindest einen Teil der Kosten wieder eintreiben kann, ist ungewiss. Auch bei dem Verfahren gegen den damaligen städtischen Projektleiter gibt es kein rechtes Fortkommen. Lob zollt IMD-Chef Uwe Rohde auch der städtischen Bauordnung: „Die hat zügig und konstruktiv gearbeitet.“
Schließungsgrund macht nur ein Viertel der Kosten aus
Enorm hoch sind anteilig die Baunebenkosten der Sanierung für Planer, Sachverständige und Gutachter. Sie betragen 2,1 Millionen Euro. Dabei holte sich das IMD eigens einen Berater ins Haus. Laut Rohde sparte das dem IMD aber allein vier Millionen Euro möglicher höherer Kosten etwa bei der Umsetzung des Brandschutzkonzeptes. Die Kosten für die eigentlichen baulichen Sanierungen und Nachrüstungen für den Brandschutz belaufen sich dabei auf 2,5 Millionen Euro, also nur auf ein Viertel der Gesamtsumme. Zur Erinnerung: Wegen entdeckter Brandschutzmängel war die Mercatorhalle 2012 geschlossen worden. Erst nach und nach kam dann der Pfusch beim gesamten Ausbau der Mercatorhalle ans Licht. Rohde: „Es ist erschreckend, was daraus geworden ist.“
Mehr Kosten, mehr Arbeit, mehr Zeit: Alle sind zuversichtlich, aber niemand wird seine Hand dafür ins Feuer (!) legen, dass die Sanierung bis zum Frühjahr 2016 abgeschlossen ist und die Philharmoniker zur neuen Spielzeit 2016/17 im Sommer wieder in ihren Konzertsaal zurückkehren können. Zeitraubend wird auch sein, dass die lärmenden und staubenden Bauarbeiten mit dem laufenden Betrieb im City-Palais inklusive Casino abgestimmt werden müssen. „Die Baustellen-Planung wird da zur Herausforderung“, so Rohde.