Duisburg-Dellviertel. Freiwillige haben sich zu Demenz-Betreuern ausbilden lassen. In ihrer Freizeit besuchen sie die Station im St. Vincenz-Hospital.
Die Gesellschaft wird älter – das sagt sich so leicht. Die Auswirkungen spüren die Mitarbeiter im St. Vincenz-Hospital täglich. 18 Plätze gibt es in der Geronto-Psychiatrie. „Wir haben lange Wartelisten“, erklärt Sozialpädagogin Manuela Bruch. Die Angehörigen sind oft überfordert, wenn Vater oder Mutter dement werden. Wenn die Patienten dann ins Krankenhaus kommen, sind sie meist in einem eher schlechten Zustand. Die Krankenschwestern und Pfleger sind zwar Fachleute und kümmern sich engagiert, doch bleibt für den einzelnen Patienten oft zu wenig Zeit.
„So eine Grundpflege ist schon ziemlich aufwändig, weil wir versuchen, die Fähigkeiten des Patienten mit einzubeziehen“, weiß Manuela Bruch. In einem Seminar wurden nun Ehrenamtliche ausgebildet, die regelmäßig ins Krankenhaus kommen und Demente betreuen. Sie spielen mit ihnen, gehen spazieren – oder hören einfach zu.
Christiane Becker führt intensive Gespräche
Fünf Frauen und ein Mann haben den Kurs durchlaufen. 80 Stunden beschäftigtensie sich zunächst theoretisch mit dem Krankheitsbild. Später machten sie ein begleitetes Praktikum auf der Station. Die Ausbildung wurden von Manuela Spruch und Ordensschwester Hildegard Jansen entwickelt. Sie vermittelt beispielsweise, wie sich die Ehrenamtlichen auf die Patienten einlassen, aber auch nach einer Zeit aus dem Gespräch wieder herausfinden.
„Ich schaue immer, wer an diesem Tag Hilfe braucht. Manchmal setze ich mich zu einer Gruppe dazu. Manchmal widme ich mich aber auch nur einer Person“, beschreibt Christiane Becker ihre Aufgabe. Es sind intensive Gespräche, die sie und die anderen führen.
Für die zwölf Ehrenamtlichen gibt es genauso einen Dienstplan wie für die hauptamtlichen Mitarbeiter. Einmal im Monat treffen sich die Freizeit-Betreuer zudem, um über ihre Arbeit zu sprechen. „Wir sind ein gutes Team, haben Frauen und Männer und türkische Mitarbeiter“, beschreibt Manuela Bruch. „Die Ehrenamtlichen sind eine große Hilfe.“ Und die Patienten, die zwischen 60 und 80 Jahre alt sind, sind dankbar.
Die Ehrenamtlichen
Sabine Biehl ist eine gestandene Frau, die aus dem Alltagstrott ausbrechen wollte – und sich deshalb ein Ehrenamt suchte. „Ich wollte etwas Neues lernen und gleichzeitig mit Menschen zu tun haben“, erklärt die Inhaberin einer Reinigung. Regelmäßig kommt sie auf die Station, führt Gespräche – über Gott und die Welt. „Die meisten Dementen erinnern sich an die Familie.“ Aber neulich wollte sich jemand mit ihr über griechische Philosophie unterhalten. „Zum Glück gibt’s Wikipedia“, sagt die 47-Jährige und lächelt.
Im Schnitt bleiben die Patienten zwischen drei und sechs Wochen. Wenn Sabine Biehl wiederkommt, knüpft sie an die Gespräche in der Vorwoche an. Eine Garantie, dass sie wiedererkannt wird, gibt es aber nicht. „Das gehört zum Krankheitsbild, da bin ich nicht böse.“
Es sind nicht nur die alten Menschen auf der Station, die von dem Ehrenamt profitieren. Auch Sabine Biehl gibt die neue Aufgabe viel. „Man hat so viel um die Ohren. Aber immer wenn ich hier bin, dann lebe ich Moment.“ Und der stressige Tag, der vielleicht vorher noch grau wirkte, bekommt auf einmal eine ganz andere Bedeutung, wenn sie die Station wieder verlässt.
„Den Fokus von den Akten auf die Menschen lenken“
Ursula Pulina weiß, was es heißt, wenn der Vater dement wird. „Ich war selbst in der Situation und wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Als Kind ist man viel emotionaler.“ Kontakt zu Ärzten lehnte der alte Herr ab. Gemeinsam mit der Mutter versuchte Ursula Pulina den Vater zu schützen.
Der Vater ist inzwischen verstorben, doch der Kurs hat der 54-Jährigen geholfen, die Krankheit „vom Kopf her“ besser zu verstehen. Außerdem sieht die Verwaltungsangestellte, die drei Mal im Monat einen Dienst übernimmt, das Ehrenamt als Ausgleich zu ihrem Job: „Ich möchte meinen Fokus mehr von den Akten auf den Menschen lenken.“
„Dem Tabu-Thema widmen“
Horst Schmidt hat mit sich gehadert, ob er sich für den Kurs überhaupt anmelden soll, gibt er offen zu. Der Kaufmann, der viele Jahre einen Weinhandel betrieb, ist inzwischen in Rente – und wollte mit seiner Zeit etwas sinnvolles anfangen. „Ich war bei den Grünen Damen und Herren, aber ich wollte noch eine intensivere Beschäftigung.“ Doch vor der Hospizarbeit scheute er sich. Und auch Demenz ist oft genug ein Tabu-Thema. „Aber im Endeffekt ist es ja eine Vorbereitung auf das Alter. Das ist ein bisschen Eigennutz“, sagt der 66-Jährige. In der Familie gebe es niemanden, der dement war. „Aber das kann ja auch im Freundeskreis passieren.“ Nun fühlt er sich gerüstet. Und einige Patienten reagieren auf einen männlichen Gesprächspartner ganz anders. „Das macht auch die Stimme“, glaubt Horst Schmidt. In diesem Fall erfüllt er gerne eine Quote.
Die Arbeit auf der Station fällt nicht immer leicht. Einmal hat er abgebrochen. Auch diese Situation wurde besprochen. Er weiß – auch so eine Reaktion ist in Ordnung. „Es bringt nichts, wenn ich nicht aufnahmefähig bin.“ Inzwischen kann er das Erlebte besser in der Klinik lassen, und kommt gerne einmal in der Woche zum Dienst.
„Glücklich, zu helfen“
„Ich bin glücklich, wenn ich anderen Menschen helfen kann“, sagt Yasemin Yüksel. Anderen zu helfen ist eine Lebensaufgabe für die Heilerziehungspflegerin. Die 43-Jährige hat noch drei Brüder, doch sie übernahm die Pflege ihres Vaters. „In türkischen Familien ist das Thema Demenz fast unbekannt. Da reden alle von Alterskrankheit.“ Um gewappnet zu sein, wenn mal etwas mit „Mama passiert“, entschied sie sich für das Ehrenamt. Tagsüber gibt Yasemin Yüksel Sprachkurse und betreut ihre drei Kinder. In der Freizeit ließ sie sich zur Notfallbegleiterin ausbilden und nahm an dem Kurs als Demenzbetreuerin teil. „Notfallbegleiter werden zu Unfällen gerufen und müssen dort zuhören.“ Als Demenzbetreuerin ist sie langfristiger für die Patienten zuständig.
Oft wird sie gefragt: „Yasemine, warum arbeitest du auch noch ehrenamtlich?“, erzählt sie. Die engagierte Frau erzählt dann von dem Glück, wenn eine ältere Dame sie anlächelt – und froh ist, dass ihre jemand zugehört hat. „Dann bin ich doppelt glücklich.“
Wissen wird im Bekanntenkreis weitergegeben
Privat hat sich Asiye Kahraman schon immer engagiert. Die Türkin, die seit drei Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit hat, begleitete Bekannte zum Arzt, half oft beim Übersetzen. Von einem anderen Ehrenamtlichen, der zuvor den Kurs zum Demenzbegleiter machte, wurde die 40-Jährige angesprochen, ob sie mitmachen wolle. „Viele türkische Menschen sind unbewusst dement. Sie kennen den Namen der Krankheit nicht.“ Deshalb war es der Hausfrau, die ebenfalls Notfallbegleiterin ist, wichtig, etwas über die Krankheit zu lernen. Ihr Wissen gibt sie nun auch im Bekanntenkreis weiter und klärt auf.
Singend kommt die Erinnerung wieder
Einmal, da war Christiane Becker mit einem Patienten spazieren. „Es war ein tolles Gespräch, aber der Mann suchte immer mal wieder nach einem Wort.“ Da versuchte es die 47-Jährige mit singen. „Er war so textsicher“, erzählt sie. „Da haben wir dann all die alten Lieder gesungen. Von der Reeperbahn, 17 Jahr’ und vom Kuckuck.“
Aus privaten Gründen hatte sich Christiane Becker eigentlich vorgenommen, als Ehrenamtliche in einem Hospiz zu arbeiten. „Allerdings hatte ich zwei kleine Kinder, da hat es nicht gepasst.“ Als der Nachwuchs schließlich groß genug war, entdeckte die Duisburgerin einen Artikel in der Zeitung, dass Demenz-Betreuer gesucht würden. Ein Zufall, aus dem nun ihr Ehrenamt wurde.
„Die Leute können noch so verwirrt sein. Am Ende sagen immer alle ,Danke’“, beschreibt sie. Neulich wollte eine Patientin gar, dass Christiane Becker bei ihr übernachtet. Aber da warteten schon andere Patienten, die sich auch auf ein Gespräch mit ihr freuten.