Duisburg. Die alte Geschichte von der Stadtmaus und der Landmaus erlebt eine Renaissance. Horst Kriese hat die Geschichte illustriert und seine Testseher sind begeistert
Sie hat keine Schlafzimmeraugen, deren Lider wie Kastagnetten klappern. Sie trägt auch keinen orangefarbenen Pelz. Und sie besitzt weder einen blauen Elefanten, noch eine vorwitzige Ente als Kumpel. Dennoch ist sie eine Maus zum Verlieben, wie sie durch die Felder wandert, frohgemut mit Stock und Brotbeutel, die kleinen Öhrchen gespitzt, ein Lächeln im Gesicht. Es gibt Bilder, die einen Menschen ein Leben lang begleiten. Bilder, die wärmende Erinnerungen wecken. Kein Wunder, dass sich Ulrike Thelen umgehend in den von Horst Kriese gemalten Nagezahn verguckte.
Die wandernde Maus ist eine seiner Illustrationen für eine Neuauflage der alten Geschichte von der Land- und der Stadtmaus. Und genau diese Erzählung über die Begegnung der ungleichen Schwestern kann Ulrike Thelen seit ihren Kindertagen nicht vergessen: „Das war der erste Film, den ich in meinem Leben gesehen habe, ein Puppenfilm. Die Bilder habe ich bis heute in meinem Herzen.“
Just das ist es, was der Illustrator und Werbedesigner Horst Kriese erreichen will, wenn er mal keine Zeichnungen für Plakate, Zeitungen und Prospekte, keine Layouts und keine Storyboards für Werbespots anfertigt, sondern für Kinder malt: „Ich möchte Kindern eine Welt zeigen in Bildern. Ich will ihnen ganz viele Bilder geben, die sie berühren und die sie deshalb im Herzen tragen.“
Neugestaltung der griechischen Fabel
Die Neugestaltung der alten Fabel des griechischen Dichters Aesop (um 600 v. Chr.) war für Kriese seit langem schon eine Herzensangelegenheit. Und so malte er die Geschichte in Öl, etwas altertümlich anmutenden, aber in höchst anrührendem Stil. Dafür bekam er von mehreren Kinderbuchverlagen zwar Lob für die Illustrationen, aber erntete überall Absagen. Zumeist mit der Begründung, die Geschichte passe leider nicht ins Programm.
Dabei funktioniert seine Erzählweise durchaus, denn die Nachbarskinder Ben (6) und Helene (4) sind begeistert. „Die beiden müssen immer als Testpersonen für mich herhalten“, lacht Kriese. Was sie so gern machen, dass Helene darauf besteht, seine Geschichten von ihm vor dem Schlafengehen zu hören, und Ben bereits jetzt in seinem zarten Alter felsenfest beschlossen hat, später mal den gleichen Beruf wie Kriese zu ergreifen.
Format der alten Mecki-Bücher
Nach all den Absagen hatte Kriese sein Projekt mit der Mäusegeschichte erstmal auf Eis gelegt. Bis er eines Tages im „Farbklecks“, Ulrike Thelens Laden für Rahmungen, Künstlerbedarf und allerlei erfreuliche Accessoires, ein Bild rahmen ließ. Die beiden kamen ins Gespräch, Kriese zeigte Thelen seine Mausbilder und umgehend beschlossen beide, das Buch in Eigenregie zu veröffentlichen.
Es soll das Format der alten Mecki-Bücher haben, mit denen beide aufgewachsen sind. Es soll einen Gesamtumfang von 44 Seiten haben, davon elf farbige Doppelseiten. Und Kriese wird seine Geschichte über die beiden Mäuse Anton und Pasquale vorlesen. Denn die ist nicht ganz so, wie man sie bislang kennt. „Pasquale, den Anton in der Stadt besucht, führt die Feldmaus in die feine Gesellschaft ein, die über diese Landpomeranze die Nase rümpft“, erzählt Kriese. In der Speisekammer schlagen sich alle die Bäuche voll, bis plötzlich die Köchin mit zwei Katzen auftaucht.
Geschichte über Überfluss und Armut
Alle Stadtmäuse flüchten umgehend in die ihnen bestens bekannten Schlupflöcher. Nur Anton weiß nicht wohin und schwebt in Lebensgefahr. Kriese: „Alle lassen ihn im Stich. Das ist nicht die alte Idee vom Schuster, der bei seinen Leisten bleiben soll. Das Thema ist vielmehr Freundschaft. Mir geht es darum, zu fragen, wie es in unserer Gesellschaft zugeht. Was und wen akzeptieren wir? Wem helfen wir? Das ist ein aktuelles Thema, vor allem angesichts der Flüchtlinge, die jetzt zu uns kommen.
Es geht in der Geschichte eben auch um Überfluss und Armut. Und darum, dass jemand in Gefahr im Stich gelassen wird.“ Natürlich sei das alles „prächtig verklausuliert“, meint Kriese selbstironisch. „Denn in erster Linie hat das Buch ein Ziel: den Kindern Spaß zu machen.“ Und ihnen schöne Bilder zu schenken, die sie ein Leben lang begleiten.